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Das Opfer und sein Sinn

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Das Stadttheater Klagenfurt brachte die österreichische Erstaufführung der Oper „Maxi- milian Kolbe" nach dem Text von Eugene Ionesco (Musik von Domi- nique Probst) und die Urauffüh- rung eines Ballettspiels „Das Idol" nach dem Libretto von György Se- bestyen (Musik von Ulf Diether Soyka). Der Bogen war also weit gespannt: Von einer Gestalt der Zeitgeschichte, dem Franziskaner Pater Maximilian Kolbe, der im August 1941 als Stellvertreter ei- nes Familienvaters in Auschwitz gestorben ist, bis zu einem namen- losen Flüchtling in einem Ballett, das sich von der ersten Szene an dem Bereich des Übergeschichtli- chen und Archetypischen öffnet. Zwei Stücke von starker Polarität, aus denen sich aber ein Wechselbe- zug der Ideen und Wirkungen er- gab, als wären sie füreinander konzipiert worden: ein ungewöhn- licher Glücksfall des Theaters.

Beide Stücke beginnen mit einer Flucht, sind also verbunden durch die Grenzsituation und den Ver- such, Grenzen zu überschreiten. Der Auschwitzer Stacheldraht markiert ein Ende ohne Erbarmen. Wohin aber flieht der Namenlose im Bal- lett? Wer verfolgt ihn? Ist er ein rassisch Verfolgter? Gejagt vom Fremdenhaß, von totalitären Regi- men? Alle diese Möglichkeiten spie- len in dieser vorbeihuschenden Tanzsymphonie mit. Denn der Namenlose ist in einen Rangier- bahnhof hineingeraten, vielleicht eine Grenzstation mit toten Gelei- sen und abgestellten Werten. In dieser zwielichtigen Welt aus Mo- torik und Stagnation werden auch die Geräusche doppeldeutig: Sind es Trommelschläge oder bereits Schüsse?

Vor all dieser Ungewißheit rettet den Namenlosen ein Mädchen. In deren dämmriger Hütte erhebt sie die Polarität des Geschlechts ins Überpolare der Liebe. Doch die aller Individualität und Traumfähigkeit feindlichen Mächte dringen auch hier ein und zerschlagen die ver- borgene Heimstatt. Den Absolut- heitsanspruch der Zweisamkeit aufgebend muß die Liebe in einer Maskenleihanstalt der Halbwelt nach Kostüm und Rolle suchen, um sich den Notwendigkeiten des Lebens in der Gesellschaft anzu- passen. Glanz und Elend der An- passung warten auf alle, die in der Welt eine Rolle spielen wollen oder müssen - um des lieben Überlebens willen. Die Zugehörigkeit fordert unerbittlich ihren Anteil an Hörig- keit.

Bei dem Versuch, im Konformis- mus, diesem „offiziellen Versteck" Unterschlupf und Geborgenheit zu finden, gerät das Paar in die Pen- sion der Frau von Kladde. Dort begegnet der Namenlose dem Wis- senschaf tler Dr. Wagner und erregt dessen forscherisches Interesse. Er sieht nämlich in dem Namenlosen die Verkörperung eines von ihm schon lange gesuchten und postu- lierten übermenschlichen Rein- heitsideals. Im Spinnennetz, das die ganze Bühne beherrscht, verhed- dert sich der zum Idol erhobene Flüchtling ebenso wie die Menge der Bewunderer. Unvermeidlich verfangen sich die Menschen in ein Lügennetz, weil ihnen ein greifba- res Idol mehr bedeutet als geistig- seelische Ideale.

Der Wissenschaftler, der in Györ- gy Sebestyens Libretto Doktor Wagner heißt und demnach in Goetheschem Kontext zu sehen ist, wird in der überaus wirkungssi- cher gestalteten Choreographie von Herbert Nitsch zum Mephisto ge- steigert, eine Interpretation, die, außer der dämonischen Vehemenz einesTänzers(MarjanKrulanowic), in der von Krisen der Technik ge- schüttelten Epoche viel für sich hat. Im Ballett siegt also - wenigstens in der Deutung des Choreographen - der in der Oper viel zitierte „Fürst der Welt". In der Oper jedoch un- terliegt der „Fürst der Welt". Denn wer auch nur ein Menschenleben um den Preis seines eigenen Lebens gerettet hat wie Maximilian Kolbe, der hat die Welt gerettet.

In diesem Sinne hielt Erwin Rin- gel im Stadttheater einen Einfüh- rungsvortrag. Maximilian Kolbe habe als Nachfolger Christi gehan- delt und deshalb sei es so wichtig, daß diese Oper nach der Kathedra- le von Arras nun auch in Österreich gespielt werde. Den Stellvertreter Christi sprechen zu lassen, dieser ungeheuren Schwierigkeit ist sich Ionesco bewußt gewesen: am Höhe- punkt der Handlung überläßt er dem Franz von Assisi das Wort. Dem Komponisten Dominique Probst ist hier eine ergreifende Partie gelun- gen. Der Wortlaut des Gebets wird nicht „vertont", sondern, so weit es die Verständlichkeit zuläßt, der Welt des Verlautbaren entzogen. Das Orchester aus sieben Solisten entspricht mit seinem asketischen Klang der Szene aufs vollkom- menste.

Auch hinsichtlich der Instrumen- tation gibt der zweite Teil des Abends die Ergänzung zum ersten. Ulf Diether Soyka arbeitet souve- rän mit der üppigen Orchesterpa- lette der Romantik, freilich in ganz anderem Sinne als die Spät- romantiker des 19. und 20. Jahr- hunderts. Soyka vereinigt zwei Seiten, die sehr selten zueinander finden. Einerseits ist er ein Natur- talent des Musizierens, andererseits ein spekulativer Esoteriker des Tons und der harmonikalen Welt, weiß daher sehr genau Bescheid um den Konflikt zwischen Zwölftonmusik und der Obertonreihe. Doch kennt sein Komponisten-Herz Lösungen von denen der Verstand nichts weiß.

Das Ergebnis ist eine amüsante, in den Liebesszenen tief empfun- dene Ballettmusik, deren Schwung der Namenlose (Zoltän Nagy) und das Mädchen (Katalin Hagai) ganz auszuschöpfen vermochten. Unter Herbert Nitschs Leitung gelingt dem Paar eine harmonische Syn- these von klassischem Tanz, expres- siver Pantomime und Akrobatik. Vom Publikum wurde die Meister- leistung mit stürmischen Ovatio- nen bedacht.

Weil die Interpreten der Kolbe- Oper enormen Belastungen ausge- setzt sind, macht sich der Regisseur mit Recht im Programmheft zu deren Anwalt, indem er auf den Konflikt zwischen den moralischen und den ästhetischen Pflichten des Theaters hinweist. Deshalb kom- men die Qualitäten der beiden Antagonisten Maximilian Kolbe (Klaus D. Lerche) und Gefangener (Matteio di Monte) auch am besten zur Geltung wo im Mittelteil die Oper aus einem dramatischen Ge- schehen zu einem Oratorium in wortwörtlichsten Sinn wird: zu einem Gebet.

Die Besonderheit des Abends besteht darin, daß der Zugriff aus zwei entgegengesetzten Richtun- gen, aus der Zeitgeschichte einer- seits und aus der geschichtslosen Symbolik andererseits, aus der Tragik des nachweislichen Gesche- hens und aus der romantischen Ironie von Traum und Gelächter doch dazu führt, daß sich die Auto- ren Eugene Ionesco und György Sebestyen in ihren Absichten fin- den und vereinigen.

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