6909058-1981_02_06.jpg
Digital In Arbeit

Das „Opium“ als Heilmittel?

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht zur politischen Pilgerfahrt, sondern möglichst nur zu einer religiö­sen soll Mitte Jänner die Romreise Lech Walesas werden: so jedenfalls' möchte der polnische Kardinalprimas Wyszynski den ersten Westbesuch des polnischen Gewerkschaftsführers und Volkstribunen programmieren.

Obschon Walesa einer Einladung der italienistnen Gewerkschaften folgt (auch der größten, der kommunisti­schen CGIL) und dadurch die polnische „Solidarnosé“ politischen Rückhalt gewinnen könnte, will Polens Kirche „ihren“ Walesa auch in Rom nicht von der Hand lassen. Selbst den Flug zahlt ihm der Kardinal.

Die römische Kurie beteiligt sich nicht an der Italienreise Walesas. Für sie gibt es da nichts als einen Audienz­termin: Am 14. Jänner empfängt Jo­hannes Paul II. seinen berühmten Landsmann wie jeden anderen promi­nenten Besucher.

Denn bei all seiner Abneigung gegen das „allzu Politische“ hat er - und mit ihm die Kuriendiplomatie - durchaus begriffen, daß es gegenwärtig im Le­bensinteresse der polnischen Kirche liegt, das entstandene Machtvakuum im Lande mit eigenen kontrollierbaren „Ordnungskräften“ zu füllen, statt es dem riskanten Vorwärtsdrängen liberaler Geister oder gar einer drohenden Anar­chie zu überlassen.

M ißtrauische Sowjets

In dieser Sorge trifft sich Wyszynskis Strategie durchaus mit der vatikani­schen Ostpolitik. Denn diese ist langfri­stig darauf angelegt, atheistische Re­gime zu überzeugen, daß Religion und Kirche nicht subversive Rivalen, son­dern Faktoren innerer Ruhe sein kön­nen - wenn man sie in Ruhe läßt. Was Wyszynski zur „Rettung des Vaterlan­des“ für nötig hält, gehört zu den eige­nen Versuchen des Vatikans, Moskaus grundsätzliches Mißtrauen zu be­schwichtigen.

Dort sah man seit dem Beginn der polnischen Krise im Sommer jene Be­fürchtungen bestätigt, die schon 1978 nach der Papstwahl aus altrussischen wie kommunistischen Vorurteilen ent­standen waren. Auch die harmonisch verlaufene Polenreise des Papstes hatte sie nur wenig mildern können.

Geradezu bekräftigt aber wurden sie, als Jerzy Turowicz, ein alter Krakauer Vertrauter des Papstes, in Italiens ka­tholischer Tageszeitung „Avvenire“ schrieb, „der polnische August wäre ohne die Gegenwart eines Polen auf dem Thron Petri unmöglich gewesen.“

Gleichwohl flüchteten die Sowjets nicht in wilde Polemik, sondern ver­suchten sich zu vergewissern, ob sich solche „Macht“ des polnischen Papstes nicht auch zum Krisenmanagement in Polen nutzen ließe.

Schon am 4. September traf sich ein Diplomat des Moskauer Außenmini­steriums namens Adamaschin in Rom mit Kardinalstaatssekretär Casaroli; äußerer Anlaß war die Vorbereitung der Madrider KSZE-Konferenz, eigent­liches Thema - wenn scheinbar auch nur gestreift - war Polen. Man kam überein, in Kontakt zu bleiben.

Dazu bietet sich auch ohne formelle diplomatische Beziehungen in Rom leicht Gelegenheit: so als die Sowjet­botschaft in Rom dem Vatikan im Ok­tober plötzlich die lange erwartete Ge­nehmigung gab, eine Wagenladung Pa­pier (zum Druck von Brevieren) an die katholische Kirche Sowjetlitauens zu schicken; so auch, als der neue Sowjet­

botschafter in Italien, Nikolai Kunköv, im November dem Doyen des Diplo­matischen Korps - dem päpstlichen Nuntius - seinen Antrittsbesuch abzu­statten hatte; so schließlich, als der Au­ßenamtschef des Moskauer Patriar­chats, Metropolit Juvenaly, am 16. De­zember - genau am Tage der dramati­schen Denkmalseinweihung in Danzig - in Rom eintraf und sofort vom Papst empfangen wurde.

Juvenaly beklagte sich zwar, daß die ukrainisch-katholischen Bischöfe der Emigration ihre römische Synode An­fang Dezember dazu benutzt hatten, um wieder einmal - und gerade jetzt - Protest zu erheben gegen die Zwangs­eingliederung ihrer Kirche in die rus­sisch-orthodoxe (1946). Aber diese Ab­neigung gegen die „Unierten“, die Ka­tholiken des östlichen Ritus, ist weder neu noch eine russische Spezialität.

Für Juvenaly war es nur das Stich­wort, das den Papst zu einer sehr viel aktuelleren Versicherung veranlassen sollt.e: daß es der römischen Kirche fernliege, die Nationalismen Osteuro­pas anheizen zu wollen.

Immerhin hatte die Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ den ukraini­schen Versuch, die Polenkrise und Moskaus Verunsicherung auszunützen, geflissentlich ignoriert. Andererseits scheute der Kreml auch nicht vor faulen Tricks zurück, um den Vatikan zu be­schwichtigen und von „gefährlichen Schritten“ (so die Sorge eines römi­schen Sowjetdiplomaten) abzuhalten.

Ende Nqvember wurde die tschecho­slowakische Regierung, mit der es der Vatikan stets am schwersten hat, zu ei­ner Scheinaktion vorgeschickt: Seit im Jänner bei einer Verhandlungsrunde in Rom gewisse Vereinbarungen erreicht zu sein schienen, hatte der Vatikan ver­gebens auf eine Bestätigung aus Prag gewartet. Jetzt, als sich die polnische Krise wieder zuspitzte, wurde der Son­dernuntius Poggi plötzlich nach Prag gebeten.

Als er aber nach drei Tagen, am 12. Dezember, von dort wieder abreiste, hatte er nichts als eine Vertröstung aufs nächste Mal in Händen. Warum man ihn eingeladen hatte? Und warum nichts herausgekommen war?

Absprachen mit Rom

Die Antwort für beide Fragen liegt in der Furcht vor der „Macht“ des polni­schen Papstes. Seine Telegramme an die Bischöfe von Danzig und Stettin, denen er am Tage der Denkmalseinwei­hung am 16. Dezember „für alle Be­wohner der Ostseeküste“ die Versöh­nungsparole übermittelte, beseitigten auch in den Augen der Sowjets jeden Zweifel am engen Zusammenwirken zwischen polnischem Episkopat und Vatikan. Deren gemeinsame Linie war im Laufe des Herbsts immer präziser zum Vorschein gekommen.

Vor sechzig Jahren, als Lenins Rot­armisten an die Weichsel marschierten und dann doch wieder - es war das be­rühmte „Wunder“ - kehrtmachten, witterten sie sogar in geplünderten pol­nischen Pfarrersküchen „den wohlrie­chenden Zorn des Vatikans“ (so Issaak Babel).

Heute jedoch scheint es, als sollte der Geruch von Heiligkeit, der einen Wa­lesa umweht und seinen Papst Wojtyla nicht hindert, Diplomat zu sein, nicht nur Polen, sondern auch die sowjeti­schen Patentmarxisten aus ihrem Di­lemma retten. Ist aus dem schädlichen „Opium“ plötzlich ein Heilmittel ge­worden?

Fast genau zum Zeitpunkt, da in To­kio die Hinrichtung des südkoreani­schen Oppositionsführers Kim Dae Jung befürchtet wurde, erfolgte in Seoul unerwartet die Freilassung eines anderen prominenten Vertreters der Opposition. Der weltbekannte katholi­sche Dichter Kim Chih Ha war 1974 zu einer 20jährigen Gefängnisstrafe für Teilnahme an einer Studentenver­schwörung verurteilt worden, nachdem die erst verhängte Todesstrafe gemil­dert worden war. Auch sieben andere in diesem Jahr verhaftete Dissidenten wurden mit ihm freigelassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung