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Das „Opium“ als Heilmittel?
Nicht zur politischen Pilgerfahrt, sondern möglichst nur zu einer religiösen soll Mitte Jänner die Romreise Lech Walesas werden: so jedenfalls' möchte der polnische Kardinalprimas Wyszynski den ersten Westbesuch des polnischen Gewerkschaftsführers und Volkstribunen programmieren.
Obschon Walesa einer Einladung der italienistnen Gewerkschaften folgt (auch der größten, der kommunistischen CGIL) und dadurch die polnische „Solidarnosé“ politischen Rückhalt gewinnen könnte, will Polens Kirche „ihren“ Walesa auch in Rom nicht von der Hand lassen. Selbst den Flug zahlt ihm der Kardinal.
Die römische Kurie beteiligt sich nicht an der Italienreise Walesas. Für sie gibt es da nichts als einen Audienztermin: Am 14. Jänner empfängt Johannes Paul II. seinen berühmten Landsmann wie jeden anderen prominenten Besucher.
Denn bei all seiner Abneigung gegen das „allzu Politische“ hat er - und mit ihm die Kuriendiplomatie - durchaus begriffen, daß es gegenwärtig im Lebensinteresse der polnischen Kirche liegt, das entstandene Machtvakuum im Lande mit eigenen kontrollierbaren „Ordnungskräften“ zu füllen, statt es dem riskanten Vorwärtsdrängen liberaler Geister oder gar einer drohenden Anarchie zu überlassen.
M ißtrauische Sowjets
In dieser Sorge trifft sich Wyszynskis Strategie durchaus mit der vatikanischen Ostpolitik. Denn diese ist langfristig darauf angelegt, atheistische Regime zu überzeugen, daß Religion und Kirche nicht subversive Rivalen, sondern Faktoren innerer Ruhe sein können - wenn man sie in Ruhe läßt. Was Wyszynski zur „Rettung des Vaterlandes“ für nötig hält, gehört zu den eigenen Versuchen des Vatikans, Moskaus grundsätzliches Mißtrauen zu beschwichtigen.
Dort sah man seit dem Beginn der polnischen Krise im Sommer jene Befürchtungen bestätigt, die schon 1978 nach der Papstwahl aus altrussischen wie kommunistischen Vorurteilen entstanden waren. Auch die harmonisch verlaufene Polenreise des Papstes hatte sie nur wenig mildern können.
Geradezu bekräftigt aber wurden sie, als Jerzy Turowicz, ein alter Krakauer Vertrauter des Papstes, in Italiens katholischer Tageszeitung „Avvenire“ schrieb, „der polnische August wäre ohne die Gegenwart eines Polen auf dem Thron Petri unmöglich gewesen.“
Gleichwohl flüchteten die Sowjets nicht in wilde Polemik, sondern versuchten sich zu vergewissern, ob sich solche „Macht“ des polnischen Papstes nicht auch zum Krisenmanagement in Polen nutzen ließe.
Schon am 4. September traf sich ein Diplomat des Moskauer Außenministeriums namens Adamaschin in Rom mit Kardinalstaatssekretär Casaroli; äußerer Anlaß war die Vorbereitung der Madrider KSZE-Konferenz, eigentliches Thema - wenn scheinbar auch nur gestreift - war Polen. Man kam überein, in Kontakt zu bleiben.
Dazu bietet sich auch ohne formelle diplomatische Beziehungen in Rom leicht Gelegenheit: so als die Sowjetbotschaft in Rom dem Vatikan im Oktober plötzlich die lange erwartete Genehmigung gab, eine Wagenladung Papier (zum Druck von Brevieren) an die katholische Kirche Sowjetlitauens zu schicken; so auch, als der neue Sowjet
botschafter in Italien, Nikolai Kunköv, im November dem Doyen des Diplomatischen Korps - dem päpstlichen Nuntius - seinen Antrittsbesuch abzustatten hatte; so schließlich, als der Außenamtschef des Moskauer Patriarchats, Metropolit Juvenaly, am 16. Dezember - genau am Tage der dramatischen Denkmalseinweihung in Danzig - in Rom eintraf und sofort vom Papst empfangen wurde.
Juvenaly beklagte sich zwar, daß die ukrainisch-katholischen Bischöfe der Emigration ihre römische Synode Anfang Dezember dazu benutzt hatten, um wieder einmal - und gerade jetzt - Protest zu erheben gegen die Zwangseingliederung ihrer Kirche in die russisch-orthodoxe (1946). Aber diese Abneigung gegen die „Unierten“, die Katholiken des östlichen Ritus, ist weder neu noch eine russische Spezialität.
Für Juvenaly war es nur das Stichwort, das den Papst zu einer sehr viel aktuelleren Versicherung veranlassen sollt.e: daß es der römischen Kirche fernliege, die Nationalismen Osteuropas anheizen zu wollen.
Immerhin hatte die Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ den ukrainischen Versuch, die Polenkrise und Moskaus Verunsicherung auszunützen, geflissentlich ignoriert. Andererseits scheute der Kreml auch nicht vor faulen Tricks zurück, um den Vatikan zu beschwichtigen und von „gefährlichen Schritten“ (so die Sorge eines römischen Sowjetdiplomaten) abzuhalten.
Ende Nqvember wurde die tschechoslowakische Regierung, mit der es der Vatikan stets am schwersten hat, zu einer Scheinaktion vorgeschickt: Seit im Jänner bei einer Verhandlungsrunde in Rom gewisse Vereinbarungen erreicht zu sein schienen, hatte der Vatikan vergebens auf eine Bestätigung aus Prag gewartet. Jetzt, als sich die polnische Krise wieder zuspitzte, wurde der Sondernuntius Poggi plötzlich nach Prag gebeten.
Als er aber nach drei Tagen, am 12. Dezember, von dort wieder abreiste, hatte er nichts als eine Vertröstung aufs nächste Mal in Händen. Warum man ihn eingeladen hatte? Und warum nichts herausgekommen war?
Absprachen mit Rom
Die Antwort für beide Fragen liegt in der Furcht vor der „Macht“ des polnischen Papstes. Seine Telegramme an die Bischöfe von Danzig und Stettin, denen er am Tage der Denkmalseinweihung am 16. Dezember „für alle Bewohner der Ostseeküste“ die Versöhnungsparole übermittelte, beseitigten auch in den Augen der Sowjets jeden Zweifel am engen Zusammenwirken zwischen polnischem Episkopat und Vatikan. Deren gemeinsame Linie war im Laufe des Herbsts immer präziser zum Vorschein gekommen.
Vor sechzig Jahren, als Lenins Rotarmisten an die Weichsel marschierten und dann doch wieder - es war das berühmte „Wunder“ - kehrtmachten, witterten sie sogar in geplünderten polnischen Pfarrersküchen „den wohlriechenden Zorn des Vatikans“ (so Issaak Babel).
Heute jedoch scheint es, als sollte der Geruch von Heiligkeit, der einen Walesa umweht und seinen Papst Wojtyla nicht hindert, Diplomat zu sein, nicht nur Polen, sondern auch die sowjetischen Patentmarxisten aus ihrem Dilemma retten. Ist aus dem schädlichen „Opium“ plötzlich ein Heilmittel geworden?
Fast genau zum Zeitpunkt, da in Tokio die Hinrichtung des südkoreanischen Oppositionsführers Kim Dae Jung befürchtet wurde, erfolgte in Seoul unerwartet die Freilassung eines anderen prominenten Vertreters der Opposition. Der weltbekannte katholische Dichter Kim Chih Ha war 1974 zu einer 20jährigen Gefängnisstrafe für Teilnahme an einer Studentenverschwörung verurteilt worden, nachdem die erst verhängte Todesstrafe gemildert worden war. Auch sieben andere in diesem Jahr verhaftete Dissidenten wurden mit ihm freigelassen.
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