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Das Parteienspektram ist breit, die Auswahl gering

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General de Gaulle hat einmal geklagt, es sei sehr schwierig, eine Nation zu regieren, die mehr als 100 Käsesorten fabriziere. Diese ironische Bemerkung bezog sich natürlich auf die Tendenz der Franzosen, sich in zahlreiche politische Parteien zu zersplittern. Manche dieser Parteien sind nicht einmal im Parlament vertreten. Auch zu Beginn des Wahlkampfes, der im März 1978 seinen Höhepunkt erreichen soll, stellen sich die verschiedensten Parteien vor und versprechen für den Fall ihres Sieges das irdische Paradies.

Jede Partei will sich überdies als die bedeutendste politische Kraft des Landes darstellen und setzt zu diesem Zweck alle Räder und Hebel ihres Triebwerks in Bewegung. Der erste Sekretär der sozialistischen Partei, Mitterrand, verkündet stolz die Vorrangstellung der SP. Doch auch Georges Marchais nimmt den ersten Platz für sich in Anspruch. Ein Politologe könnte sich tatsächlich der Ansicht anschließen, daß die KPF die mitgliedsstärkste und bestorganisierte Partei des Landes sei.

Die Strukturen von SP und KPF weisen große Divergenzen auf. Die Sozialistische Partei ist eine Wählerpartei, in deren Tendenzen sich recht heterogene Elemente mit rein sozialistischen Lehren zu einer zweifelhaften Legierung vereinen. Unter der Führung Mitterrands arbeiten dort die ergrauten Sozialisten der III. und IV. Republik mit linken Christdemokraten, Umweltschützern und einer Schar junger Technokraten zusammen, die von einer Selbstverwaltung der Betriebe träumt und sich damit bereits der extremen Linken nähert Im Falle einer Krise besteht also für diese Partei die Gefahr, daß sie auseinanderbricht. Dem Generalstab Mitter- rands ist es noch nicht gelungen, all die zahlreichen sozialen Gruppen in die Partei zu integrieren. Die Sozialisten besitzen nicht jenen gefährlichen „starken Arm”, den die Kommunisten bei jeder Gelegenheit ihren Partnern entgegenstrecken. Die mächtige Gewerkschaft CGT nämlich, mit ihren beinahe zwei Millionen Mitgliedern, ist ein Speer, der auf die Brust Mitter- rands gerichtet ist. Die Kommunisten verfügen über eine höchst effiziente Organisation, die von über 22.000 Zellen getragen wird Ungefähr 700 hauptamtliche Mitarbeiter sind das Skelett einer Bewegung von 600.000 Mitgliedern, die wie ein Staatim Staate fungiert Im Falle einer Linksregierung besäße die KPF das wirkungsvollste Instrument, um ihre sozialistischen Partner und die linken Radikalsozialisten permanent zu provozieren und in eine Sackgasse zu drängen.

Richtet man den Scheinwerfer auf die regierende Majorität, so fallen manche in den letzten Monaten erfolgte Änderungen ins Auge. Jacques Chirac, Präsident der gaullistischen RPR, schenkt seinem Amt als Bürgermeister von Paris’ zur Zeit wenig Aufmerksamkeit Er widmet alle Kräfte seiner Partei und inszeniert Meetings sowie Kontakte mit den verschiedenen Berufsständen. Ohne Zweifel bestätigt sich das RPR als eine Gruppe, die nach wie vor über eine breite Massenbasis verfügt. Aber die Meinungsumfragen der vergangenen Wochen lassen erkennen, daß die gaullistische Bewegung nicht mehr die erste Kraft innerhalb der Majorität darstellt Mag es sich auch nur um wenige Prozente handeln, so ist doch der Vormarsch der unabhängigen Republikaner Giscard d’Estaings nicht zu unterschätzen. Ihnen gelang es, in relativ kurzer Zeit 80.000 neue Mitglieder zu gewinnen und eine Jugendorganisation aufzubauen, die nach der kommunistischen die zweitstärkste des Landes ist Die Spannungen, von denen im Frühjahr die MajoritätsParteien nahezu gelähmt wurden, hatten ihren Ursprung darin, daß Chiracs RPR nicht gesonnen war und ist, das ‘Steuer aus der Hand zu geben und auf die Führung der Regierungsmajorität zu verzichten. Dem Bürgermeister von Paris stehen noch einige Wochen zu Verfügung, um. innerhalb seiner Partei jenen kämpferischen Geist zu mobilisieren, der die Gaullisten zu Beginn der V. Republik ausgezeichnet hat.

Die kleineren Parteien des Zentrums sind dagegen über ihre bisherigen Grenzen nicht hinausgewachsen. Ihre Bedeutung darf jedoch nicht unterschätzt werden, denn sie sind es, die den Wahlkampf 1977/78 entscheiden werden. Manchmal staunt man, welchen Eiertanz Georges Marchais aufführt, um die Wähler des Zentrums, die kleinen und mittleren Selbständigen, davon zu überzeugen, daß ihnen im Falle eines Erfolges der gegenwärtigen Präsidentschaftsmehrheit schwerste soziale und materielle Verluste bevorstünden. In den letzten Wochen scheint es allerdings Lecanuet und seinen Freunden gelungen zu sein, dem Pessimismus 3er leitenden Angestellten, Betriebsinhaber und Repräsentanten liberaler Berufe entgegenzuwirken und sie wieder in die Mehrheit zurückzuführen. Die neuesten demoskopischen Untersuchungen bestätigen dies.

Die extreme Rechte, unter dem Namen „Nationale Front” angeführt von Le Pen (er trägt, wie Mosche Dayan, eine schwarze Binde über dem Rest des Auges, das er in einem der Kolonialkriege eingebüßt hat), besitzt, trotzdem sie sehr oft als kriegerisches Rollkommando in Erscheinung tritt, keinerlei Chance, auch nur einen Abgeordneten ins Parlament zu entsenden.

Schließlich gibt es „in der Mitte” mehrere Persönlichkeiten, von denen man nicht recht weiß, was sie eigentlich wollen. Hier sei in erster Linie der frühere Außenminister Pompidous, Michel Jobert, genannt, der nach eigenem Bekenntnis weder rechts noch links steht, sondern „anderswo”. Dieses ,.anderswo” ist bisher nicht definiert worden.

Um diese knappe Aufzählung abzuschließen, sei auch noch die extreme Linke genannt, die - in unzählige Sekten zerfallen - in letzter Zeit an Einfluß verloren hat Immerhin kann die extreme Linke mit einem gewissen Anhang aus dem Lager der Schüler und Studenten rechnen, obwohl sie sich als „die Arbeiterpartei schlechthin” deklariert Gemäß demoskopischen Umfragen dürften im März 1978 etwa drei Prozent der Stimmen auf die extreme Linke fallen. Wohin aber werden sich diese Wähler wenden, wenn es darum geht in der Stichwahl den definitiven Kandidaten zu küren?

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