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Das Pfund auf dem Hund

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Als historisches Ereignis, das die Währungsbeziehungen für viele Jahre auf eine neue, solide Grundlage stellen und die Krise endgültig bereinige, wurden, insbesondere von amerikanischer Seite, die Washingtoner Vereinbarungen vom 19. Dezember 1971 gefeiert. Die Realisten freilich trauten schon damals dem offiziellen Jubel nicht.

Ihre Skepsis war nur allzu berechtigt: ein halbes Jahr später ist die neue Währungskrise schon da. Diesmal wurde sie nicht vom Dollar, sondern „nur“ vom Pfund ausgelöst.

Aber Abwertungen des Pfundes hat es schon viele gegeben; sie sind beinahe schon Routinesache. Wenn das jetzige Floating und die zu erwartende spätere Fixierung des Pfundes auf einem niedrigeren Niveau eine solche Unruhe verursachen können, daß sich die europäischen Notenbankpräsidenten und anschließend in Luxemburg die Finanz- und Außenminister der EWG treffen müssen, um Maßnahmen zu beraten, so zeigt das, wie unerhört labil die vielgepriesene neue Währungsordnung ist.

Die EWG-Mindster und -Notenbankpräsidenten hatten zwar auch keine Lösung des Problems zu bieten, sie trachteten bloß, die Krise möglichst zu isolieren, und in der EWG wurde der Rütlischwur bezüglich der verengten Bandbreiten erneuert. Es wird versucht, Änderungen der übrigen Währungsparitäten zu vermeiden, der gleichfalls wackeligen Lira auf die Beine zu helfen und die Notenbanken gegen Spekulationsgelder dicht zu machen. Sogar in Deutschland setzte diesmal der Bundesbankpräsident Klasen gegen den erbitterten Widerstand von Minister Schiller Maßnahmen gegen Auslandskredite durch, womit einer der gefährlichsten Zuflüsse der Devisenschwemme einigermaßen verstopft werden soll; sonst bliebe am Ende als einziger, unwillkommener Ausweg wieder nur eine Aufwertung der Mark übrig. Ob die bisherigen Maßnahmen freilich genügen werden, ist sehr fraglich.

Was bisher weltweit getan wurde, sind brave Sofortmaßnahmen, nicht mehr — nicht ganz erfreuliche Maßnahmen übrigens, denn sie gefährden die mühsam errungene Freizügigkeit des Geld- und Kapitalverkehrs durch eine negative Devisenbewirtschaftung (nämlich eine, die nicht den Abfluß, sondern das Einströmen von Devisen verhindern möchte). Kuriert wird dadurch das so schnell wieder erkrankte internationale Währungssystem noch lange nicht.

Es wird auch nicht kuriert werden, und wenn säch die internationalen Währungsspezialisten noch so subtile Mechanismen und Dirigismen einfallen lassen, solange keine wirksamen Maßnahmen gegen die Überliquidität und die Inflation getroffen werden. Solange nämlich trotz internationaler Geldschwemme weiter durch Sonderziehungsrechte zusätzliches „Papiergeld“ geschaffen wird, solange nicht alle Banken den EWG-Empfehlungen folgen und die Ausgabe weiterer, ach so einträglicher Eurodollarkredite unterlassen, werden die Industriestaaten die Kuk-kuckseier der importierten Inflation einander weiterhin ins Nest legen. Solange anderseits die Regierungen der Finanzierung immer neuer ehrgeiziger und wählerwirksamer Projekte nicht entsagen und solange die

Wirtschaftspartner weiterhin in der Euphorie inflationswirksamer Lohn-und Gewinnmaximierung schwelgen, wird auch die hausgemachte Inflation nicht zum Stillstand kommen, wird der Betrug und Selbstbetrug mit unserem heutigen Schwundgeld fortgesetzt.

Dagegen würde nur eine ehrliche Stabilisierungspolitik der Regierungen helfen, die freilich nur dann funktionieren kann, wenn sie echte Unterstützung seitens der Wirt-schaftspartner erhält. Die einzige andere Alternative wäre eine rigorose Devisenbewirtschaftung wie in der Nachkriegszeit oder wie in den Oststaaten, aber auch sie hat undichte Stellen und bringt insgesamt mehr Nachteile als Vorteile.

Worauf es national wie international ankommt, ist, daß wir uns von dem Aberglauben lossagen, mit Inflation könne auf die Dauer Prosperität geschaffen werden. Eine inflationär angeheizte Konjunktur bringt in Wahrheit immer Substanzverluste, die eines Tages in Krisen münden müssen. Echter Fortschritt kann nur auf den Fundamenten einer stabilen Währung erzielt werden, auch wenn zeitweilig dadurch die Wachstumsraten geringer sind.

Vordergründig ist die jüngste Pfundkrise ein Triumph der Gewerkschaften über die konservative Regierung. Das Opfer dieses Sieges freilich ist England. Was hier geschehen ist, erinnert an die Kinderlogik: „Recht geschieht meiner Mutter, wenn ich meine Hände erfroren habe; warum hat sie mir keine Handschuhe gekauft.“

Es hat sich in England wieder gezeigt, daß die Regierung allein keine Stabilisierungspolitik machen kann, daß die besten Pläne scheitern müssen, wenn die Gewerkschaften nicht mitspielen. An der Haltung der britischen Gewerkschaften, an ihrer Weigerung, bei der Stabilisierung durch Lohndisziplin mitzuwirken, ist bereits Harold Wilson gescheitert; daß den Konservativen erst recht kein Pardon gegeben würde, ist zu erwarten gewesen.

Ihnen wurde bewiesen, daß auch das neue Streikgesetz die Gewerkschaften nicht daran hindern kann, überhöhte Lohnsteigerungen nach Gutdünken durchzudrücken. Das Streikgesetz war aber gar nicht gegen die Gewerkschaften, sondern gegen die wilden Ausstände intendiert und mußte daher zwangsläufig an den Gewerkschaften versagen. Der Triumph ist bei näherem Hinsehen gar nicht so imposant. Es fragt sich auch, ob wirklich eine außerparlamentarische Gruppe das Recht hat, die Wirtschaftspolitik einer Regierung, die auf einer freigewählten Mehrheit basiert, zu sabotieren.

Dazu kommt noch ein anderer Faktor: die Commonwealth-Manie, die Illusion, das ehemalige Empire in einer neuen, demokratisierten Form aufrechterhalten zu können.

Das alles nützte nichts: heute ist das Commonwealth längst eine Fiktion geworden — und Großbritannien muß nun bescheiden an die Tür der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft klopfen, die es einst verschmäht hat.

Das britische Schicksal sollte auch anderen Nationen und Parteien eine Lehre sein, die noch immer glauben, mit Hilfe der Inflation Konjunkturpolitik treiben zu können. Aber unangenehme Wahrheiten werden ungern zur Kenntnis genommen.

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