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Das Plebiszit der Praxis

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„Boku“-Rektor Rudolf Frauendorfer spricht vom „Plebiszit der Praxis“, das nun stattfinde und über die effektive Geltung des Universitäts-Organisationsgesetzes entscheide. Vor knapp einem Jahr, als das bedeutendste Reformgesetz dieses Jahrhunderts auf Hochschulboden in Kraft trat, fragten sich die Beteiligten, wer nun, nach acht Jahren der Diskussion, wohl recht behalten werde: Werde das UOG, wie die Professoren prophezeiten, zur Verpolitisierung, zur Verbürokratisierung, zur Verminderung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit führen? Oder werde, wie das Ministerium hoffte, die Demokratisierung, die Mitbeteiligung der Assistenten und Studenten an den vielfältigen EntScheidungsprozessen ihre Lust zur Mitarbeit anstacheln und damit der Universität neue Impulse geben? Nach Ablauf des ersten Jahres der Durchführung sieht das Ergebnis auf allen Seiten anders aus als erwartet.

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„Boku“-Rektor Rudolf Frauendorfer spricht vom „Plebiszit der Praxis“, das nun stattfinde und über die effektive Geltung des Universitäts-Organisationsgesetzes entscheide. Vor knapp einem Jahr, als das bedeutendste Reformgesetz dieses Jahrhunderts auf Hochschulboden in Kraft trat, fragten sich die Beteiligten, wer nun, nach acht Jahren der Diskussion, wohl recht behalten werde: Werde das UOG, wie die Professoren prophezeiten, zur Verpolitisierung, zur Verbürokratisierung, zur Verminderung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit führen? Oder werde, wie das Ministerium hoffte, die Demokratisierung, die Mitbeteiligung der Assistenten und Studenten an den vielfältigen EntScheidungsprozessen ihre Lust zur Mitarbeit anstacheln und damit der Universität neue Impulse geben? Nach Ablauf des ersten Jahres der Durchführung sieht das Ergebnis auf allen Seiten anders aus als erwartet.

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Die rein faktenmäßige Bilanz meldet mit ganz wenigen Ausnahmefällen „Ziel erreicht“ — in Details nach den Berichten der für dieses Jahr verantwortlichen Rektoren in der „Hochschulzeitung“ vom 1. Juli nachzulesen. Die Teilung der Fakultäten, die Konstituierung der Kollegialorgane wie der Kommissionen, die Wahlen der Gruppenvertreter und schließlich der akademischen Funktionäre verliefen fast überall reibungslos, „wie das Gesetz es befahl“.

Es wäre unnatürlich gewesen, hätte es bei einem Gesetz dieser Bedeutung und dieser Entstehungsgeschichte nicht schon in der Anlaufphase Schwierigkeiten gegeben. Die tiefgehenden Einwände der Beteiligten aus jeweils verschiedener Sicht waren doch nur zum geringen Teil berücksichtigt worden und mußten daher zum Ausdruck kommen, wenn die Betroffenen nun das von ihnen kritisierte Gesetz durchführen mußten. Daß dies nur in Einzelfällen zu offenen Kontroversen mit der zu-

ständigen Behörde führte, beweist doch wohl die Disziplin und Loyalität, mit der gerade die unmittelbar Beauftragten die neue' Gesetzeslage zur Kenntnis nahmen. Wenn Minister Firnberg nun in der ÖHZ meint, deutlich trete das Bemühen zutage, oft mit recht skrupellosen Methoden das ruhige und kooperative Klima zu stören und die Durchführung des UOG zu hemmen, dann scheint diese Feststellung — solange sie nicht durch konkrete Aussagen untermauert wird — entweder dem in den Jahren der Auseinandersetzung gewachsenen und noch nicht beigelegten Mißtrauen zu entspringen oder aber einer etwas zu positiven Meinung über die inneren Qualitäten des UOG und seiner Durchführungserlässe.

Die „Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft“ hat — noch ohne das Ende des ersten Durchfüh-

rungsjahres abzuwarten — eine erste Analyse des UOG, seines Inhalts, seines ideologischen Kerns, der Einwände der Verfassungsrecht-ler vorgenommen und Vorschläge zur Verbesserung vorgelegt. Die Studie kommt zum Ergebnis, daß trotz der acht Jahre dauernden Diskussion ,— seit ihren Anfängen in Piffls „Rat für Hochschulfragen“ — eine Reihe von organisationstheoretischen und soziologischen Grundsatzfragen ausgeklammert blieb. Trotz der starken Veränderungen vom ersten Diskussionsentwurf über .den Ministerial- zum Regierungsentwurf und zur Letztfassung im Wissenschaftsausschuß, trotz 1400 Manuskriptseiten Stellungnahmen und mehreren Hearings sei der Kompromiß tatsächlich nicht gesucht worden. Das UOG stelle — meint die SWA — ein sozialistisches Konzept dar, obwohl es keine einzige Demokratievorstellung durchgehend verwirkliche.

Die Widerstände, die sich der reibungslosen Durchführung entgegen-

stellten, kamen nun nicht aus diesen ideologischen, nur zum geringen Teil aus den verfassungsrechtlichen Einwänden, die inzwischen zu etlichen Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof geführt haben. Sie kamen zunächst aus Unklarheiten im Gesetz und in den ersten Durchführungserlässen, etwa wenn erst ein , „Zeugniserlaß“ zurechtrücken mußte, was im Gesetz bereits vorgeschrieben worden war, ohne daß die nötigen Voraussetzungen gegeben gewesen wären. Oder wenn die Wahlkommissionen aus eigenem entscheiden mußten, wie die Fluktuation unter den Professoren bei der Zusammensetzung der Kollegialorgane aufgefangen werden sollte. Alles dies waren Bereiche, in denen es unschwer möglich gewesen wäre, „das ruhige und kooperative Klima zu stören“, hätte man dies tatsächlich wollen.

Das erste quietschende Bremsen kam erst aus jenem Erlaß, der die Zusammensetzung der Kommissionen regelte. Er setzte fest, daß die Kommissionsmitglieder auch Vollmitglieder der sie einsetzenden Organe sein müßten — eigentlich logisch, wenn der unerläßliche Informationsfluß zwischen Kollegialorgan und entscheidungsbefugter Kommission sichergestellt sein sollte. „Daß dieser Kreis (der Mitglieder des Gesamtorgans) zu klein sei, ist unzutreffend“, stellt nun Minister Firnberg fest, „da sowohl die Mitglieder, als auch die Ersatzmitglieder des Kollegialorgans eingesetzt werden können“. Aber gerade gegen den Ausschluß der Ersatzmitglieder richtet sich der Protest der Studenten, der die Konstituierung einiger Gremien bisher verhindert hat. Auch Wirtschafts-universitätsrektor Brusatti deutet an, daß erst ein weiterer Durchführungserlaß eine Entschärfung zugunsten der Ersatzleute bringen werde — wer war also schuld am „Pallawatsch“?

Die Ressortleiterin weist mit Recht auf die bisher in der Verwaltungspraxis kaum geübte Vorgangsweise hin, die Durchführungserlässe in engem Kontakt mit den beteiligten Institutionen zu gestalten, eine „neue Form der Transparenz und ständigen Gesprächsbereitschaft“. Wie kann es aber dann dazu kommen, daß die fertigen Erlässe doch unerwarteten Widerstand finden, ja daß sie — wie die SWA feststellt — die Formulierungen des Gesetzes einengen, etwa wenn der Vorsitz in Kommissionen Ordinarien vorbehalten bleibt, obwohl das UOG noch lediglich von „Universitätslehrern“ spricht? Die Frage, ob es

richtig ist, nur einem Ordinarius den Vorsitz in einer Kommission anzuvertrauen, ist durchaus diskussionswürdig. Solange aber das Gesetz anderes verfügt, dürfte doch wohl der Erlaß nicht einengen, denn „die Durchführungserlässe... schaffen kein neues Recht und sind auch keine Korrektur oder Abänderung des Gesetzes ...“ (Firnberg).

Wie weit nun tatsächlich die eingangs geäußerten Besorgnisse über Verpolitisierung, Verbürokratisierung, Verminderung der Leistungsfähigkeit Tatsache werden, kann — wie gesagt — erst das „Plebiszit der Praxis“ zeigen. Daß von einer Stimulierung vermehrter Aktivität bei den Studenten zum mindesten bisher nicht gesprochen werden kann, zeigte schon die erschreckend niedrige Beteiligung bei den Wahlen der Studienrichtungsvertreter Anfang Juni, ja auch — so sehr die

Zurückhaltung die Durchführung erleichterte — die reibungslos abgelaufenen Rektors- und Dekanswahlen. Vielfach ging der präsentierte Einheitskandidat widerspruchslos durch, nirgends bedurfte es auch nur eines zweiten Wahlganges, nur an der TU Graz erhielt ein anderer als der vorher besprochene Kandidat den Zuschlag.

Die Befürchtungen, Assistenten und Studenten könnten gemeinsam „ihren“ Mann gegen die Mehrheit der Professoren durchdrücken — wie es etwa nun wieder an der FU Berlin der Fall war —, waren (diesmal) unbegründet. Die Konstruktion der aus Vertretern aller Gruppen zusammengesetzten Universitätsversammlung als Wahlgremium hat gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Vollversammlung aller Universitätsangehörigen zweifellos ihre Vorteile bewiesen — wie hoch wäre sonst wohl die Wahlbeteilugng gewesen?

Die Rektoren, die dieses Jahr hinter sich gebracht haben, atmen auf, es ging besser vorbei, als erwartet werden konnte. Aber sie sind sich in der Ansicht einig, daß noch lange nichts gewonnen ist, daß die Schwierigkeiten erst auftauchen werden, wenn es gilt, das nun geschaffene Skelett mit Fleisch zu umkleiden, um den noch ungewohnten Strukturen Leben einzuhauchen.

Im Mittelpunkt des kommenden Jahres wird die Neueinteilung der Institute stehen, eine Frage, in der — zum mindesten in der Diskussion der vergangenen Jahre — die Meinungen hart aufeinandergeprallt sind. Die der Professoren, die vielfach noch „allein herrschen“ über „ihr“ Institut und diesen Zustand erhalten möchten, nicht aus Herrschsucht, sondern um die Vorteile der überschaubaren Einheit zu wahren, und die der ideologisch argumentierenden anderen, wo immer sie stehen, denen die „Demo-kratsierung“ mehr wert erscheint als die Funktionsfähigkeit.

Die SWA-Analyse schließt ihre Untersuchung mit einer Reihe von Verbesserungsvorschlägen, die eine künftige Novelle zum UOG berücksichtigen sollte. Dazu gehöre zunächst die Abstellung der in der bisherigen Durchführung aufgetretenen Schwachstellen, vor allem bezüglich des Managements der neuen Strukturen. Dann müßten flexiblere Konstruktionen auf Fakultätsebene geschaffen werden — hier fallen die wissenschaftlichen Entscheidungen, und dafür bedürfe es einer Mehrheit der habilitierten im (verwandten) Fach. Die Fakultät dürfe nicht durch Kommissionstätigkeit entleert werden, die Kommissionen erfüllen nur Hilfsfunktionen, die Kontrolle der Fakultät über die Kommissionen müsse verstärkt werden. Der Senat sollte ein reines Managementorgan sein, bestehend aus den Spitzen der

Gliederungseinheiten, zuzüglich der Vorsitzenden der gesetzlichen Vertretungen von Personal und Studenten (also ohne zusätzlich gewählte Vertreter in bestimmten Proportionen). Die Institutskonferenz sollte als Informations- und Beratungsorgan für den Vorstand aus allen am Institut Tätigen bestehen — nicht nur aus Delegierten. Alle Gremien aber müßten grundsätzlich in der Lage sein, ihre Konflikte selbst zu lösen, nicht sie ans Ministerium abzuschieben. „Die Öffnung hin zum Ministerium — abgesehen von den selbstverständlichen Aufsichtsrechten — korrumpiert. Das Ministerium wird damit zum dauernden Schiedsrichter“, meint die SWA-Analyse.

Weitere Verbesserungsvorschläge betreffen die Verhinderung der politischen Fraktionierung in Instituten, Kommissionen und Fakultäten, die Bereitstellung geschulten Verwaltungspersonals, klare Richtlinien für die Budgetierung, die Schaffung eines Dienstrechts für Universitätslehrer und Bedienstete, Unterstellung der Universitätsdirektoren als Manager unter den Senat und schließlich die Festigung der Verbindung von Forschung und Lehre, denn sonst verstärke sich die Tendenz, die Universitäten zu höheren Lehranstalten zu degradieren und die Forschung in außeruniversitären Instituten zu konzentrieren, wo sie noch stärker politischer Einflußnahme ausgesetzt wäre.

Eine Reform der Reform müßte vom Grundgedanken ausgehen, heißt es in der SWA-Untersuchung zusammenfassend, daß alle Angehörigen der Universität in unbürokratischen Einheiten motiviert werden, in Lehre und Forschung das Bestmögliche herauszuholen. Ein Gegenkonzept müßte daher aus der Wissenschaft herauswachsen, nicht aus Politik und Bürokratie. Es müßte die gemeinsamen Interessen an Leistungen für Forschung, Lehre und Berufsvorbildung vor der Austragung von Interessenkonflikten betonen.

Und Minister Firnberg meint: Wenn neben der angekündigten kritischen Loyalität auch die angekündigte Kooperationsbereitschaft wirksam wird, sind die Anlaufschwierigkeiten der Strukturänderung zu bewältigen und darüber hinaus in gemeinsamer Überlegung jene Korrekturen zu erarbeiten, die sich im Zug der Durchführung als wünschenswert ergeben. Unter diesen Voraussetzungen müßte es gelingen, das gemeinsame Ziel zu erreichen: Leistungsstarke, ihrer Verantwortung bewußte Universitäten, in welchen alle in ihr Tätigen in demokratischer Gestion gemeinsam ihren Aufgaben nachkommen.

Dem wäre eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

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