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Das „politische Lied“ der Katholiken

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Als Beobachter der österreichischen Szene kann man das Anschwellen der Tonstärke politischer Lieder im Lager der Katholiken kaum überhören. Sie antworten auf Dissonanzen von rechts und von links und sind selbst nicht ganz frei davon. Um bei dem Bild zu bleiben: die Chöre scheinen etwas durcheinandergeraten, und nicht wenige Sänger sind ratlos, wo sie in Zukunft mitsingen sollen und wie das Musikprogramm aussehen wird.

Noch vor zehn Jahren hörte sich manches anders an. Der Frühling schien angebrochen zu sein und hatte viele Stimmen zum Klingen gebracht. Die Parteien, auch die SPÖ, hatte sich weltanschaulich geöffnet, die Kirche eine neue Basis des Dialoges zu ihnen gefunden. Zur Orientierung an Evangelium und Lehre der Kirche war mehr und mehr eine Sachorientierung im politischen Denken und Handeln von Katholiken hinzugekommen. Das führte zu einer Vielfalt politischer Lösungsmöglichkeiten sowohl in der Theorie, als auch in der Praxis.

Man entdeckte, daß es Möglichkeiten gab, als Christ in verschiedenen Parteien wirksam zu werden, daß Gemeinsamkeiten in den kirchlichen Soziallehren und den Parteiprogrammen sind, man baute manch Vorurteile und manches Mißtrauen ab. Innerkirchlich liefen Pluralismus und schwerpunktverschiedene Aktivitäten katholischer Verbände und Einrichtungen nicht immer ganz konfliktlos ab. Parallel dazu wurde die pastorale Sorge der Kirche - eine Gemeinschaft für alle Christen zu sein, egal welcher Partei sie ihre Sympathien schenken - stärker betont und es gab eine gute Anzahl traditioneller SPÖ-Wähler, die sich in der Kirche, in kirchlichen Organisationen und Bewegungen daheim fühlten.

Auf all das ist ein Reif gefallen. Spätestens seit dem Fristenlösungsbeschluß ist klar geworden: die Regierungspartei, die nicht zuletzt mit Hilfe vieler Katholiken die Mehrheit bekam, führt eine Gesellschaftsreform durch, die neben manch Positivem auch

Dinge bringt, die der Überzeugung von Katholiken widerspricht.

Die Dissonanz ist nicht mehr zu überhören. Können Katholiken noch im Chor der SPÖ mitsingen, wenn sie sich ihrem Glauben und ihrer Kirche verpflichtet fühlen? Von Seiten anderer Katholiken erhalten sie eigentlich nur die grundsätzliche Erklärung, daß sie es können und dürfen, aber sehr viel Kritik, wenn und wie sie es tun, und so gut wie keine Hilfe, es gut zu machen.

Die ÖVP wirft der Kirche vor, ihre Bemühungen nicht genügend zu unterstützen und katholische Politiker im Stich zu lassen. Ist es denn wirklich allein der Kirche anzulasten, wenn fast die Hälfte der Katholiken sozialistisch wählt und manche Katholiken sich nicht entschließen wollen, in der ÖVP politisch tätig zu sein? »

Übersehen im kirchlichen Bereich nicht manche, daß Katholiken in der Kirche u n d in der Partei ihr politisches Lied singen können und sollen und daß das zweierlei ist, in aller Redlichkeit auseinandergehalten werden muß?

Es ist zu hoffen, daß der kurze Frühling doch einige dauerhafte Früchte gebracht hat, daß wir alle aus der nahen und weiter zurückliegenden Vergangenheit gelernt haben und daß wir Katholiken mit unseren politischen Liedern nicht unserer Macht und unserem Einfluß, sondern der Wahrheit und Gerechtigkeit, der Versöhnung und Liebe eine Gasse bahnen. Dazu scheint mir eine intensive spirituelle Rückkoppelung auf das Evangelium notwendiger denn je, ganz abgesehen davon, daß es die einzige Basis ist, auf der wir Katholiken uns alle treffen, aber auch die Botschaft, die nur Christen dieser Welt bringen können.

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