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Das Publikum durchschauen..

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Bruno Kreisky, Bundeskanzler der Republik Österreich und Vorsitzender der Sozialistischen Partei, feiert seinen 65. Geburtstag. Seine Persönlichkeit zu durchleuchten und seine Bedeutung zu erspüren — dieser sehr umfassenden Aufgabe haben sich — seit Kreisky an der Spitze einer Bundesregierung steht — sehr viele Autoren mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen unterzogen. Es gibt Kreisky-Biographien, eine Sammlung von Kreisky-Aussprü-chen und Kreisky-Witzen, eine Veröffentlichung von Kreisky-Brlefen.

Kreisky selbst nennt — etwa gar programmatisch? — Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ sein liebstes Buch, hat selbst viel, sehr viel geschrieben; seine Reden, was gewiß nicht die Regel unter seinesgleichen ist, im übrigen immer selbst. Nach Durchsicht der Literatur von und über Bruno Kreisky wird gewiß: Der „ganze Kreisky“ ist das nicht, kann es auoh gar nicht sein. Bruno Kreisky hat angekündigt, daß er zu Beginn der achtziger Jahre von der Regierungsbühne abtreten und intensiver zu schreiben beginnen werde. Das erstere ist nicht mehr ganz so seine Sache, wie er glaubt; letzteres nährt die Hoffnung, doch noch einmal den „ganzen Kreisky“ kennenzulernen.

Denn nur soviel ist bekannt: Er ist von bürgerlicher Herkunft und dem Los der Armen verpflichtet; er ist Jude, was ihm und seinem Land stets Spannungen beschert hat; er emigrierte nach Schweden; kehrte 1950 nach Österreich ein; widmete sich gleich an hervorragender Stelle (als Sekretär von Bundespräsident Körner) der Politik; wurde rasch Abgeordneter zum Nationalrat, Außenminister, Landesobmann der SPÖ-Niederöster-reioh, Anfang 1967 Bundesvorsitzender der SPÖ und im April 1970 Bundeskanzler der Republik Österreich. Er hat viele Wahlen geschlagen und die wichtigsten davon gewonnen: 1970 führte er seine Partei in die relative Majorität, 1971 holte er für seine Partei die absolute 1 Mehrheit, und 1975 wiederholte er diesen nicht wiederholbar geglaubten Erfolg.

Warum? — wohl vor allem deshalb, weil er, so wie keiner von Spielwitz und Spürsinn erfüllt, ein tiefes Gefühl für das Mögliche und Unmögliche in der Politik hat. Insofern war er seiner Partei immer voraus, der Oppositionspartei jedenfalls über lange Strecken. Als „Zauberer“ vermag nur zu reüssieren, wer das Publikum durchschaut. Diese Fähigkeit zeichnet ihn aus, wie nicht so bald einen zweiten, nicht nur in der österreichischen Politik.

Man hat Bruno Kreisky den „Doyen der europäischen Realisten“ genannt. Das ist sicherlich eine grobe Vereinfachung mit einem starken wahren Kern. Realistisch war er immer insofern, als er rechtzeitig seinen Irrtümern auf die Spur kam und die Linie korrigierte. Der bundesdeutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt meint von sich, daß er zwischen Karl Popper und Karl Marx stehe, Positivist und Sozialdemokrat sei. Bei Bruno Kreisky ist das ähnlich. In der Theorie ist er ganz bestimmt Marxist, mehr als das die meisten in seiner Partei — aber auch in den Oppositionsparteien — von ihm glauben würden; in der Praxis aber agiert er nach dem Prinzip von „trial and error“, probiert i viel, weil das nun einmal übers Studieren geht, bis dann die Richtung stimmt. Das muß gar nicht immer die Richtung sein, an die er ursprünglich gedacht hatte.

Das macht Bruno Kreisky auch unberechenbar. Diese Fähigkeit, neben anderen, über sich und seine Handlungen reflektieren zu können, hat ihm seine Ausnahmestellung verschafft: als ein Intellektueller, der als positivistischer Marxist agiert. Ein Widerspruch in sich? Gewiß; eben!

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