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Das Rechenbuch der Apokalyptiker

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Im Grazer Landhaushof zeigten Polen jüngst mittelalterliches Musiktheater: den ,,Ludus Danielis“, im 13. Jahrhundert im französischen Kloster Beauvais entstanden. Wegen seiner Apokalyptik und Bedeutung in den christlich-jüdischen Beziehungen ist der Daniel-Stoff gerade heute hoch aktuell.

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Im Grazer Landhaushof zeigten Polen jüngst mittelalterliches Musiktheater: den ,,Ludus Danielis“, im 13. Jahrhundert im französischen Kloster Beauvais entstanden. Wegen seiner Apokalyptik und Bedeutung in den christlich-jüdischen Beziehungen ist der Daniel-Stoff gerade heute hoch aktuell.

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Das hebräisch und aramäisch geschriebene alttestamentliche Buch Daniel erhielt 168-164 vor Christus seine heutige Form. Es ist von apokalyptisch-drängendem Grundton getragen. Der sy-risch-seleukidische heidnische König Antiochos IV. (175-164 vor Christus) hatte mit seinen religi-

onsfrevlerischen Eingriffen in den Jerusalemer Tempelkult das Judentum zuinnerst gespalten. Radikale Progressisten wollten eine religiöse Ökumene mit den Griechen und Syrern eingehen, während die unterdrückten jüdischen Altgläubigen meinten, diese jüdisch-heidnische Koalition sei der grundböse Auftakt zum endzeitlichen Kampf zwischen Glauben und Unglauben.

Der anonyme Verfasser des Da-nielbuches war ein Mitglied einer

Gruppe von Frommen, die sich als Lehrer und als Prediger des Durchhaltens in schwerster Verfolgungszeit in der endzeitlichen Notzeit verstanden. In dreieinhalb Jahrwochen werde das ganze endzeitliche Unheilsdrama sein Ende finden. Dann werde die umstürzende „Endherrschaft vom Himmel her“ die einzige glückliche und unverwüstliche Wirklichkeit sein.

Kein anderes biblisches Buch hatte eine derart kompakte religiöse und politische Wirkungsgeschichte wie das Buch Daniel. Vom Beginn des Christentums an durch das ganze Mittelalter hindurch bis in die moderne Zeit hinein galt das Danielbuch für die jeweilige heilsgeschichtliche Richtigkeit des Glaubens. Argumente und Gegenargumente wurden in beiden Lagern als schlagende Beweise für die eigene Glaubensidentität empfunden. Die Christen errechneten aus dem Danielbuch das Geburtsdatum Christi und die

die Juden verwerfende Tempelzerstörung des Jahres 70 nach Christus. Die Juden kamen auf ganz andere Rechnungsergebnisse: Das Buch Daniel beweise, daß der Messias noch nicht gekommen sei und daß die Christen aus ihrem antijüdischen Affekt heraus die Heilige Schrift nicht richtig erkennen würden.

Aber nicht nur der alltägliche geistig-religiöse christlich-jüdische Boxkampf mit irregulären Schlägen unter die Gürtellinie wurde mit Hilfe des Danielbuches ausgefochten. Auch der beidseitige religiöse Fanatismus fand im Danielbuch seine Nahrung. Wenn ein religiöser Radikalist aufstand und einfache Gläubige davon überzeugen wollte, der von der Offenbarung prophezeite messia-nische Umsturz stehe bevor, man müsse sich für die Ankunft des Messias rüsten, bediente er sich mit Vorliebe der Diktion des Buches Daniel. Es kam deshalb schon in der Spätantike zu Warnungen der Rabbiner vor dem Buche Daniel; es sei Unruhe stiftend und störe ein gedeihliches j ü-disches Gemeindeleben.

Der Ludus Danielis steht abseits von dieser harten Auseinandersetzungsgeschichte. Er orientiert sich an Daniel, dem strahlenden Helden der Jugend. Es wurde von der Jugend verfaßt, wie es zu Beginn ausdrücklich heißt. Es wendet sich gegen die Bösewichte, die zum Abfall von der-unbeding-ten Treue zu Gott aufrufen.

Gleichzeitig will es das Vertrauen wecken, daß Gott die Treue zu ihm belohnen wird und daß das Gute über das antigöttlich Böse obsiegen wird. Es ist in diesem Sinn ein von jugendlich naivem Elan gesetzter Neuanfang des Verständnisses des Danielbuches. Die Verfasser kannten die harten Auseinandersetzungen der jüdischen und der christlichen Erwachsenen des Mittelalters offenbar nicht.

Im Ludus Danielis findet die Hoffnung Ausdruck, daß der Gott Daniels schließlich von allen Völkern verehrt und daß sich die Herrschaft Gottes auf Erden durchsetzen wird. Die Zuspitzung auf die Geburt Christi am Ende

des Stückes ist zwar nicht im originalen Danielbuch enthalten. Die nicht hoch genug zu veranschlagende Leistung dieser jungen französischen Christen hegt aber darin, daß sie ihr Bekenntnis . zum neugeborenen Christuskind von Bethlehem mit keinem judenfeindlichen Ton vermischten. Sie sehen in Christus die Erfüllung und Belohnung aller Bemühungen zur uneingeschränkten Treue zum einen Gott der Juden und der Christen. Deshalb, aber nicht nur deshalb, ist der Ludus Danielis auch für heute von großer Aussagekraft.

Der Autor ist Leiter des Instituts für jüdisch-christliche Forschung^ und Ordinarius für BibelWisseHschaKeh undJüdaistik ander katholisch-theologischen Fakultät in Luzern.

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