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Das Recht auf Hoffnung

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Die Sache des Vaterlandes lastet auf unserem Gewissen. Wir spüren es: In uns lebt ein polnisches Gewissen, und zugleich beherrscht es unser ganzes Volk. Seine Stimme führt das Volk durch die Zeiten der Unsicherheit.

Es ist das Gewissen, welches die der Prüfung entsprechende Hoffnung und den dem Mut der Väter entsprechenden Mut erweckt. Die Stimme des polnischen Gewissens führt uns auf den verschlungenen Wegen der Geschichte voran.

Das Gewissen umschreibt in uns ein Feld möglicher und freier Wahl. Die Freiheit in uns ist wie ein Raum, in dem wir uns sicher bewegen können. Dank dem Gewissen wandelt sich Mutwilligkeit zur Freiheit, und die Freiheit ist nicht bloße Einsicht in die Notwendigkeit und ein Sich-Anpas-sen.

Der Mensch ist so frei, wie sein Gewissen es ihm erlaubt. Die Gestalt der Freiheit ist dem Menschen nämlich nicht ein für allemal gegeben. Sie verändert sich entsprechend dem Diktat des Gewissens.

Die Grenzen des Ausmaßes der polnischen Freiheit sind durch das polnische Gewissen festgelegt. Alles, was sich unter der Untergrenze befindet, ist Sklaverei und Schändlichkeit. Alles, was über die Obergrenze hinausgeht, ist Utopie.

Wie sieht unser Eintreten für Polen heute aus? Was ist unser heutiges Zeugnis?

1. Das fundamentale Zeugnis ist eng verbunden mit dem Gefühl für die Menschenwürde. Der Begriff der Menschenwürde läßt sich durch Definitionen nicht bestimmen. Die Menschenwürde ist ein Wert, den man sieht und spürt, über den man aber schwer reden kann.

Man kann jedoch die Aufmerksamkeit auf diesen Wert richten, wenn man seinen Kontext aufzeigt. Den Kontext bilden die Menschenrechte. Die Menschenwürde offenbart sich in den Rechten, die einem Menschen zustehen. Welche Rechte sind das?

Der Mensch hat ein Recht darauf, eine allerhöchste Hoffnung zu haben, eine Hoffnung, die den Menschen und die menschlichen Gemeinschaften mit Gott verbindet.

Es geht hier nicht darum, ob Gott existiert oder nicht, ob die Erzählung von der Befreiung nach dem Tod Trugbild oder Wahrheit ist; das sind Probleme anderer Natur. Darüber kann man diskutieren und sich streiten, dazu kann man verschiedene Standpunkte einnehmen. Es geht um das Recht auf eine solche Hoffnung.

Der Mensch hat auch ein Recht auf sinnvolle Arbeit. Eine sinnlose Arbeit verletzt das Würdegefühl der arbeitenden Menschen, unabhängig davon, welche Form sie annimmt. Sie stellt einen Verrat dar. Man darf aber niemals Verrat üben, weder in Wort noch in der Tat, noch in der Verweigerung einer Tat. Wer Verrat übt, sinkt unter das Niveau des Gewissens.

Der Mensch hat ein Recht auf Versammlung, auf einen wirklichen Zusammenschluß, der die Gemeinschaft der arbeitenden Menschen zum Ausdruck bringt. Die Arbeit selbst verbindet die Menschen miteinander. Arbeit ist ein Gespräch von vielen mit vielen.

Was aber bedeutet heute für uns die Würde des Menschen? Sie ist eine Form seiner Souveränität. Die souveräne Würde der arbeitenden Menschen stellt heute die Souveränität Polens dar. Vielleicht möchte jemand nun wissen, wie souverän heute Polen ist?

Das ist leicht zu sehen: Es ist so souverän, wie das polnische Gewissen souverän ist und wie souverän die in seiner Stimme aufgerüttelten arbeitenden Menschen in Polen sind.

2. Wenn wir uns für die Heimat, für das Vaterland entscheiden, entscheiden wir uns für eine eigene Geschichte. Die Entscheidung für eine eigene Geschichte bedeutet, daß wir gewisse Ereignisse in den Hintergrund rücken und andere uns in besonderer Weise als Muster vor Augen halten. Das hat eine ungeheure Bedeutung. Wenn der Mensch an die Geschichte anknüpft, hat er an der Würde derer teil, deren Werk er fortsetzt.

3. Auf dem Tor der Danziger Werft hing das Bild Johannes' Paul II. Dieses Bild ist heute ein integrierender Bestandteil des Bildes unseres Landes. Dieses Bild war ein Zeichen dafür, daß „er mit uns" ist.

Die Päpste haben die Pflicht, uns an das zu erinnern, was unzerstörbar ist, damit die Menschen und Völker ihr Los mit dem, was bleibt, verbinden. Bisher hat noch niemand von diesem Gesichtspunkt auf Polen geschaut wie Johannes Paul II.

Der Blick Johannes' Paul II. wurde zu einem Teil des polnischen Gewissens. Nicht immer fällt es einem Polen leicht, diesen Blick zu ertragen. Es ist ja bekannt, wie die Polen sind... Aber es ist auch bekannt, daß gerade von diesem Blick her unser heutiges Würdegefühl und unsere geistige Souveränität herrühren und Bestand haben.

Aus: ETHIK DER SOLIDARITÄT. Von Jo-zef Tischner. Styria. 1982.160 S. kart, S 148,-.

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