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Das Recht der Räder

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Wenn Herr Müller seine vier Räder unter dem Gesäß hat, schimpft er fürchterlich auf die Zweirad-Fahrer. Das Erfindungsvermögen seiner Flüche wird die künftigen Duden-Ausgaben bereichern.

Und er flucht mit Recht: Radfahrer beachten die Verkehrsregeln nicht, tauchen plötzlich vor der Stoßstange auf, lavieren zwischen den zum Warten verurteilten Autos, fahren in der Nacht ohne Blinklicht auf der Fahrbahn. Kurzum: die Radfahrer sind für die Autofahrer eine Plage, sie benehmen sich fast so wie in Amsterdam.

Wenn derselbe Herr Müller aus sportlichen oder aus Spargründen auf seinem Fahrrad unterwegs ist, flucht er unentwegt auf die Autofahrer, und das mit vollem Recht:

Sie benehmen sich wie Okkupanten in einer besetzten Stadt, machen sich überall breit, nutzen schamlos ihre Stärke dem wehrlosen Zweiradmenschen gegenüber aus — und selbst wenn sie nicht fahren, verbauen sie mit ihren parkenden Blechkisten die Fahrradwege.

Sollte Herr Müller mal zu Fuß gehen, was man einem Besitzer von zwei Fahrmaschinen eigentlich nicht zutrauen kann, wird er die Autofahrer und die Radfahrer gleichermaßen verwünschen.

Wie wir Sehen, hängt die Position eines Menschen davon ab, wo, wie und worauf er sitzt. Das Recht wird also von dem Gesäß bestimmt. Das Recht der Autofahrer ist gewichtiger — ihre Fahrzeuge wiegen mehr und haben doppelt so viele Räder wie die der Radfahrer. Die Radfahrer bestehen dafür aber hartnäckiger auf ihren Rechten — dies tun die Schwächeren immer.

Die Fußgänger haben selbstverständlich keine Rechte, weil sie keine Räder haben.

Aus dieser Rechtslage entsteht auf den Straßen eine recht gefährliche Lage. Wenn alle lebend und heil bleiben wollen — die mit vier und mit zwei Rädern und jene ganz ohne Räder —, müßten alle die kleinen Räder-chen mehr bemühen, die sie im Kopf haben.

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