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Das Reich Gottes - ein Boxring?

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Es ist leider nur zu wahr, daß wir aus dem Barock nicht nur eine Konzeption der Kirche und ihrer Hierarchie übernommen haben, die von der spätmittelalterlichen Vorstellung der Kirche als Machtinstitution geprägt war, sondern auch eine pompöse äußere Erscheinungsform, die eher parvenühaft als königlich oder herrscherlich wirkt. Nicht jeder kann ungestraft den Sonnenkönig spielen. Alle Kirchen„fürsten“ aber hielten, selbst wenn sie persönlich ganz schlichte Menschen waren, eine Art von Königtum von Gottes Gnaden für den ihrer Stellung einzig angemessenen Lebensstil, und „Hof- Atmosphäre schien ihnen die einzig atembare Luft zu sein. Schon das Wuchern der Titulaturen ist hierfür bezeichnend: aus „Ehrwürden“ wurden seit dem 17. Jahrhundert lauter „Hochwürden“; das genügte ihnen aber noch nicht, und nachdem die Kardinale, die sich bisher mit dem Titel „Illustrissime“ begnügt hatten, ihn durch „Eminenz“ ersetzten, bemächtigten sich die Bischöfe eiligst dieses abgelegten Attributs. Da sie auf „Hoheit“ noch keinen Anspruch zu erheben wagten, legten sie sich, bevor sie zur „Exzellenz“ aufrückten, den Titel „Seine Gnaden“ zu. Die Restauration erlaubte ihnen, zum „Monsignore“ aufzusteigen, ein Recht, das unter dem Ancien Regime nur den sechs geistlichen Pairs von Frankreich zugestanden hatte.

Das Gleiche gilt für den Ornat. Da der Purpur außer Reichweite war, fingen die Bischöfe etwa um die gleiche Zeit an, sich mit dem Violett der r römischen Prälaten zu schmük- ken, nicht ahnend, daß es sich dabei ursprünglich um nichts anderes als die Livree der päpstlichen Dienerschaft gehandelt hatte, wobei diese Livree ihrerseits die Attribute übernahm, die im Römischen Reich die Staatssklaven als Zeichen ihres unfreien Stande trugen (noch heute haben in Rom die Polizisten, Totengräber und Müllkutscher Anspruch auf sie!)… Doch Schluß damit, wenn darüber auch noch viel mehr zu sagen wäre. Es ist jedoch besser, nur ein paar komische Züge herauszugreifen und die dunkleren Aspekte, an denen wahrhaftig kein Mangel ist, mit Stillschweigen zu übergehen.

Es war also Zeit, höchste Zeit, sich daran zu erinnern, daß die Hierarchie ein „ministerium“, das heißt ein „Dienst“, ist; denn sie vertritt hier unter uns denjenigen, der, als er Fleisch annahm, nichts als die Stellung und Funktion eines „Knechtes“ wollte, obwohl er unser aller Herr und Meister ist. Es genügt nicht, wie Pater Congar sehr richtig bemerkt hat, zu sagen, das heilige Amt müsse im Geist des Dienens ausgeübt werden (das ist zu allen Zeiten, und sei’s auch nur als Lippenbekenntnis, gesagt worden), es muß wieder neu erfahren werden, daß es Dienst ist. Wem das bei der Lektüre der Evangelien und der Epistel des heiligen Paulus und Petrus noch nicht klär geworden, ist, der braucht nur den Brief Gregors des Großen an den Patriarchen von Konstantinopel zu lesen.

Und so wie innerhalb der Kirche der Klerus, angefangen bei seiner höchsten Spitze, nicht Höheres anstreben sollte, als „Diener der Diener Gottes“ zu sein, so müßte sich auch die Kirche als Ganzes bewußt werden, daß sie aufgerufen ist, der Menschheit zu dienen, nicht aber, sie zu beherrschen — und sei es auch angeblich zu ihrem Heil.

So weit, so gut. Leider — und hier hört das Evangelium auf, und die Mythologie fängt an — scheinen sich die Katholiken heutzutage, wenn sie „Diener“ sagen, dabei nur noch Lakaien vorstellen zu können. Man fragt sich, ob ihr „Triumphalismus“ von einst im Grunde vielleicht nur die Mentalität von Dienstboten war, die sich mit ihrem betreßten Plunder brüsten und dabei zu vergessen suchen, daß er nur das Prachtgewand ihrer Selbstentfremdung ist. Die Mentalität hat sich offenbar nicht geändert, nur die Ausdrucksformen haben sich modernisiert.

Die Aussage, die Priester, angefangen beim höchsten Klerus, seien Diener der Kirche, bedeutet heutzutage nicht mehr, daß sie als Leiter und Lehrer für sie verantwortlich sind, sondern daß sie hinter der Herde herzutrotten haben, anstatt ihr voranzugehen. Einem Oberst der Nationalgarde, der während der

Revolution von 1848 untätig der auf- lösung seiner Truppe zusah, wird der köstliche Ausspruch zugeschrieben: „Da ich das Haupt der Truppe bin, muß ich ihr wohl oder übel folgen.“ Man hat manchmal, besser gesagt: oft, den Eindruck, als ob sich heute alle unsere Schriftgelehrten dieses Wort zur Devise erkoren hätten, die Bischöfe und in ihrem Gefolge Priester und Gläubige können sagen und tun, was immer sie wollen: „Vox populi, vox Dei.“ Alles wird mit vollendeter Indifferenz gutgeheißen, am liebsten das, was noch vor dem Konzil verurteilt worden wäre. Auf die Pilatus-Frage: „Was ist Wahrheit?“ fällt den Verantwortlichen offenbar nur noch eine Antwort spontan ein: „Alles, was ihr wollt, liebe Freunde!“ Das Reich Gottes gehört denen, die Gewalt anwenden und es an sich reißen; dieses Wort wird jetzt, könnte man meinen, in dem allzu billigen Sinn verstanden, daß das Reich Gottes ein Boxring ist. Newman wurde zwanzig Jahre lang kaltgestellt, weil er so unvorsichtig war, an eine historische Tatsache zu erinnern: nach dem Konzial von Nicaea war eine ganze Generation lang praktisch jede Autorität außer Kraft gesetzt. Das Zweite Vaticanum wird die nahezu totale Demission der Kirche als Lehrender zur Folge haben. Demission auf wie lange? Wer könnte das sagen! Mit jener Fähigkeit zur Vereinfachung, die seine Stärke und Schwäche zugleich war, hat Laberthonniere1 bemerkt: „Konstantin hat aus der Kirche ein Imperium gemacht, der heilige Thomas ein philosophisches System, der heilige Ignazius eine Polizeitruppe.“ Heute könnte man fast sagen, das Konzil habe sie zu einer Abtei von Theleme2 gemacht.

Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, was aus dem Gedanken, daß die Kirche im Dienst der Welt steht, gemacht worden ist. In die Sprache von heute übersetzt, heißt das: Die Kirche darf nicht mehr die Welt bekehren, sondern sie selbst muß sich zur Welt bekehren. Sie hat der Welt nichts mehr zu sagen, sie hat ihr nur noch zuzuhören. Aber die Heilsbotschaft? wird man fragen. Ist es nicht gerade das Wesentliche am Dienst der Kirche,

der Welt diese Botschaft zu vermitteln? Aber ich bitte Sie! Das haben wir doch alles geändert! „Das Heil ohne Evangelium ist, wie ein typisch nachkonziliarer Buchtitel lautet, jetzt unser Evangelium. Aber auch diese Formel ist — wie bei einer Pokerpartie, bei der ein Bluff auf der einen Seite sofort einen neuen auf der anderen provoziert — schon wieder überholt. Wie mir einer unserer modernen Theologen kürzlich versicherte, ist allein schon die Idee des Heils eine Beleidigung der Welt als Schöpfung Gottes und darum für den Menschen von heute unannehmbar! Reden wir nicht mehr davon. Ist nicht eigentlich schon die Behauptung oder auch schon die bloße Vermutung, der Mensch sei ein Geschöpf Gottes, eine noch viel unerträglichere Beleidigung des Menschen? Gott ist tot. Wußten Sie das noch nicht? Das kommt davon, wenn man keine „progressiven“ katholischen Publikationen liest! Wenn er tot ist, kann er logischerweise als Schöpfer nicht in Frage kommen …

Der Welt dienen heißt heute nichts weiter, als ihr zu schmeicheln und zu lobhudeln, so wie man früher dem Pfarrer in seiner Gemeinde schmeichelte, dem Bischof in seiner Diözese lobhudelte und den Papst auf dem Stuhl des heiligen Petrus beweihräucherte. Und ist das nicht auch ganz natürlich, wenn es erst einmal so weit gekommen ist, daß der Kirche dienen nicht mehr in erster Linie heißt, ihr die Wahrheit des Evangeliums zu bringen, und wenn unsere Priester von den höchsten Stufen der Hierarchie bis hinunter zur fünfundzwanzigsten sich plötzlich ihrer alten patriarchalischen Würde so schämen, daß sie am liebsten eigenlich nicht mehr Väter sein, sondern zu jener Sorte von Großvätern gehören möchten, die nicht mehr erziehen, sondern nur noch verziehen können und wollen? " : x

Aus dem Werk des französischen Oratorianers Louis Boyer „Der Verfall des Katholizismus“, Verlag Kösel.

1 Luoien Laberthonniere, 1860 bis 1932; Theologe und Philosoph; Freund Blondels.

2 Theleme ist ein sprichwörtlich gewordener, literarischer Topos im Werk Francois de Rabelais (1494 bis 1553). In dieser utopischen Abtei läßt Rabelais Menschen Zusammenkommen, die als Gleichgesinnte unter dem Wahlspruch leben: „Pais ce que voudras“ (tue, was du willst)

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