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Das Reich Gottes und die Institution Kirche

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Das schlechthin Christliche am Christentum ist Jesus Christus, sagt Karl Rahner in seinem Grundkurs des Glaubens. Christus ist und bleibt das Evangelium in Person. Dem ORF- Studienprogramm ist zu gratulieren; es zielt achtmal in diese Mitte.

Der Inbegriff allen Redens und Tuns Jesu, die Quintessenz seines Lebens und Sterbens, ist das „Kommen des Reiches Gottes”. Was ist das? Selbstgebastelte Reich-Gottes-Begriffe gibt es verwirrend viele. Iforchen auf das biblische Denken und Reden ist daher unumgänglich.

Als Israel am Schilfmeer vor den Toren des Todes steht und sie ihm zum Leben geöffnet werden, preist es Gott als seinen König: „Er ist König, der Herr für immer und ewig!” (Mos 15, 18). Gottes „Königtum”, sein „Reich”, ist also nicht ein Territorium; seine Königsherrschaft ist machvolles Walten, herr-liches Handeln: ein Retten ins Leben. Es tut sich etwas - nämlich Heil - und das von Gott her… wie es innerweltliche Königtümer und Gewalten nicht vermögen, weil sie nie und nimmer in diese Tiefen des Unheils reichen.

Wenn also Jesus der Menschenwelt etwas endgültig Wohltuendes bringen wollte, muß es das Reich Gottes sein: „Jesus verkündete das Evangelium Gottes: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe. Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium!” (Mk 1, 14 f.). Wahrhaftig eine Frohbotschaft: daß Gott selbst dabei ist, „des Unheils Herr zu werden”, das Böse „anzuherr- schen”! Herrschaftsfreiheit gibt es nicht. Es käme alles nur darauf an, einer letztlich befreienden Macht unterstellt zu sein. Reich Gottes bedeutet, daß der absolut Nicht-Böse, der absolut Gute, in die Universalherrschaft des Bösen einbricht und sie zerbricht: daß Gott die rettende Zukunft wird.

Reich Gottes ist Befreiung von Gott her.

Hier möchte unsere Phantasie ausbrechen und Gott programmieren, wie sein Erlösen ausschauen müsse: schlagartig auf der ganzen Linie oder zumindest als augenblickliche Ausrottung aller Übeltäter - was aber für mich und dich nicht ganz ungefährlich wäre. Gottes Reich kommt anders, so schwer es uns eingehen will: Es kommt mit Jesus, in Jesus. In seinen guten Worten an die vielfach geknechteten Menschen, in den Wohl-Taten an ihnen, in den Wundern, hat es klein angefangen. Aber diesem kleinen Senfkorn steht in beglückender Diskrepanz ein Riesenbaum als Zukunft bevor (Mt 13, 31 f.). Mit Jesu Kommen ist das Reich Gottes im Kommen - die ganze Weltzeit hindurch.

Aber gekommen ist einstweilen die Kirche als sehr kompakte Institution, ihrerseits mit vielen Institutionen: dem Amt, den Sakramenten, der unauflöslichen Ehe. Institutionen, „gefrorene Antworten auf fundamentale Fragen” (J. K. Feibleman), haben als Reglementierungen des Zwischenmenschlichen keinen guten Ruf, weil sie das wechselvolle Miteinander in langlebige, starre Formen pressen. Soll der Mensch neben den vielen weltlichen auch noch unter religiösen Institutionen leiden, wo doch Gott Geist und Freiheit ist?

Institutionen sind, bevor sie böse sein können, zuerst einmal gut. Sie hüten das Leben vor dem Zerfließen; denn sie bringen Ordnung in das Chaos der unzähligen möglichen Verhaltensweisen zueinander.

Haben nun Reich Gottes und Kirche - als Institution - etwas miteinander zu tun? Ja, weil beide sehr viel, wenn nicht alles, mit Christus zu tun haben. Wer Reich Gottes und Kirche als Institution für unvereinbar hält, muß sich fragen lassen, ob er das, was Reich

Gottes ist, am Antlitz des auferstandenen Gekreuzigten abliest (und nicht anderswo), und dann, ob er dessen Menschwerdung ernst nimmt. Christus ist die dauernde Einwurzelung Gottes in die Menschenwelt, seine „Ehe” mit ihr ist unauflöslich. Er ist das von Gott selbst eingerichtete, „institutionalisierte” Sein Gottes mit uns, für uns. Der Gekreuzigte ist „fest”, nur der Teufel ist „los” (W. Willms). Die Sache Jesu ist zu wichtig und zu notwendig für die Menschheit, sie muß eine feste „Dauereinrichtung” sein. Freilich erweist sich sofort die Kategorie „Institution” als überboten, weil Christus in jedem Augenblick ein Ereignis der freiesten Liebe Gottes ist.

Die Kirche als Christi welthafter Leib hat an beidem teil, auch sie muß Institution der Liebe Gottes und Ereignis der Liebe Gottes zugleich sein. Wenn sich die beiden Aspekte verselbständigen und dadurch Gottes Tat um ihre Entschiedenheit bringen, kommt es daher, daß sie zu „fern vom Herrn” pilgert. Ständig ist darum ihre Bitte: „Dein Reich komme!”

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