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Das Reiterlied

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„Drüben am Wiesenrand

Hocken zwei Dohlen —

Fall ich am Donaustrand?

Sterb ich in Polen?

Was liegt daran!

Eh sie meine Seele holen,

Kämpf ich als Reitersmann.

Drüben am Ackerrain Schreien zwei Raben — Werd ich der erste sein, Den sie begraben? Was ist dabei!

Viel Hunderttausend traben In Oest'reichs Reiterei.“

Zwei Jahre, drei Jahre lang während des ersten Weltkriegs war dieses „Oesterreichische Reiterlied“ bekannter, berühmter als irgendein anderes. Aber den vielen, die es sangen, war wohl kaum der Name des Dichters geläufig und sie wußten auch nicht, daß es die Verse eines Toten waren, eines in den ersten Schlachten schwer Verwundeten, der wenig später, 1915, im Lazarett gestorben war.

Schon mit diesem frühen Soldatentod begann, vorerst ganz allmählich, das große Vergessen. Denn als die hohe kaiserliche Auszeichnung eintraf, die damals üblicherweise eine Adelserhebung nach sich gezogen hätte, war niemand mehr da, der sie hätte in Empfang nehmen können. Die junge Gattin des Dichters, kinderlos, vereinsamt, verzweifelt, hatte sich an seinem Grab erschossen.

Damit aber nicht genug. Freunde sammelten die handvoll skizzenhafter oder auch vollendeter Verse, die alle noch des letzten Schliffs entbehrten, ein wenig kunterbunt wie jenes „Salzburger Diarium“, das so anhebt:

„Es war ein Tag ohne Zusammenhang.

Kein Vorspiel und kein Nachgesang.

Ein dies intercalaris.

Da lag wie ein trunkener Winzer der Tod,

Und ein Kirchlein schämte sich rosenrot

Und ein Erzbischof hieß — Paris.“

Verse, die der kaum Vierunddre-ßigj ährige hinterlassen hatte und über die samt und sonders der frühe Tod seinen Schatten warf. In einer ersten, zweiten und dritten Auflage erschienen sie zu Kriegszeiten im Druck. Dann aber verschwanden die schmalen Bände beim Zusammenbruch des alten Reiches sehr rasch aus den Auslagen. Wie peinlich waren doch auf einmal diese hochgestimmten soldatischen Gedichte, die eine übernationale Armee besangen, Gedichte, deren Verfasser für ein Staatswesen verblutet war, das unter so vielen Völkern auch dem seinen, dem jüdischen, Heimstatt gewährt hatte.

Und Judentum war dann am Ende auch das Stichwort für die letzte und radikale Vernichtung. Auf den Scheiterhaufen des Dritten Reiches dürften so ziemlich alle Bücher des „Habsburg-Juden“ Hugo Zuckermann, die letzten antiquarischen Restbestände, emsig und mit berserkerhafter Tüchtigkeit .eingesammelt, verlodert und zu Asche zerfallen sein. Nichts blieb übrig. Suchanzeigen heute, nach so vielen Jahrzehnten, sind zwecklos. Nur die österreichische Nationalbibliothek verwahrt Exemplare der Bücher Zuckermanns, und es dürften ihrer nicht mehr als drei sein. Überhaupt: daß der Dichter des verschollenen Reiterlieds Hugo Zuckermann hieß, woher er kam, wie er lebte und wie bald er starb, erfährt heute einer, der sich des Liedes erinnert, nur durch Zufall. Ein Leben also, das so sehr zu einem Liede wurde, daß es mit diesem im Winde verwehte. *

Hugo Zuckermann, dieser „schwerfällige, linkische Mann“, als den ihn seine Freunde beschrieben, kam am 15. Mai des Jahres 1881 in .Eger, Böhmen, zur Welt. Studium in Brünn und in Wien. Die Botschaft

Theodor Herzls wurde zum Signal seines geistigen Erwachens, seine Verse begannen zu strömen:

„Erbaue Zion wieder! Gib Deinem Volk barmherzig nur ein Stückchen Erde Oh starker Gott!“

Er las die Bibel, er schuf eine Nachdichtung des Hohenliedes, er studierte das jüdische Mittelalter, er übersetzte und gab damit dem deutschen Sprachraum die Werke ostjüdischer Dichter, darunter des später berühmt gewordenen Schalom Asch. Er leitete eine Jugendzeitschrift und gründete den Studentenverein „Theodor Herzl“, er trat in die Leitung des jüdischen Nationalvereins für Österreich ein. Doktor der Rechte geworden, bemühte er sich um die Gründung einer jüdischen Bühne in Wien. Verehelicht mit einer Frau aus christlichem Hause, die seine Kampfgefährtin geworden war und neben ihm — ihrer Zeit um ein halbes Jahrhundert voraus — auf dem Wiener Zioni-stenkongreß erschien, verlebte Zuk-kermann die letzten ruhigen Jahre seines dennoch mit höchster Intensität gelebten Lebens als Rechtsanwalt in Meran. Dann kam der Krieg und Zuckermann ging mit seinem Landwehrregiment (das er besang) an die Front. War Israel, das damals noch sehr ferne, noch fast unerreichbare, die Heimat seines Herzens, so bot ihm Österreich-Ungarn, das vielgestaltige, jene Heimstatt für die Freiheit des Geistes und die Entfaltung der Eigenart, die er bereit war, mit seinem Leben zu verteidigen. Verkündete er an dem Tage „als wir die Grenze überschritten“:

„Wir bahnen den Wff ttf wuchtigem Streich Mitten durch feindliche Marken.

In unserem Lager ist Oesterreich,

Das Oesterreich der Starken!“ war dies freilich alles eher denn reglementierter Hurrah-Patriotismus aus dem Geiste des Kriegs-Presse-Hauptquartiers, viel eher stand es, wie alles, was er schrieb, unter der Ahnung des frühen Endes, denn wenige Verse später variiert er das Kriegslied zu besinnlicheren und Freundlicheren Tönen:

„Die Waffen hart und die Herzen weich

Und die Brust voll Erinnerungen:

In unserem Lager ist Oesterreich,

Das Oesterreich der Jungen!“

Wie jung nämlich diese Jugend war, die damals, von Leben überschäumend, in den Tod zog, damals, im Aufgang des Jahrhunderts, als noch niemand das Wort von „Abenddämmern der Monarchie“ und vom „Rieseln im Gemäuer“ kannte, und niemand, hätte er es gekannt, dergleichen auf sich und die Seinen bezogen hätte — wie jung mit einem Wort diese schöpferische Jugend war, kann heute, da das Jahrhundert mit seinen letzten, gesättigten Jahrzehnten niedersinkt, kein Nachgeborener mehr ermessen.

Auf einer Feldpostkarte erklärte Zuckermann diesen eben aufgeflammten Krieg zu seinem ganz persönlichen „Rachezug für Kischinew“, zur Vergeltung für russische Judenpogrome, und noch sein letztes Gedicht, „Makkabäer 5675“, von dem zu Tode Verwundeten mit. Tintenstift auf einen Zettel gekritzelt, kaum noch leserlich, steht völlig unter dem Eindruck dessen, was er jenseits der österreichischen Grenze gesehen und mit Entrüstung vorgefunden hatte:

„Noch ist nicht die Zeit voll-pirtfer:

Noch ist nicht das Land gereinigt,

Noch wird unser Volk gesteinigt,

Unsere Tempel werden geschändet. 1 In den weihedunklen Schulen

Stampfen die Kosaken-rosse...“

Aller Zorn aber und aller kreative Schwung des jungen Juden und Österreichers reichen nicht heran an den einen, unvergleichlichen Wurf 'des „Reiterliedes“, an diese seine versonnene, skizzenhafte, unbekümmert vor sich hin gesprochene Improvisation:

„Drüben im Abendrot Fliegen zwei Krähen — Wann kommt der Schnitter Tod,

Um uns zu mähen?“

Nur damals und nie mehr wieder war dieses Nebeneinander von tiefer Erschütterung und von Alltagswendungen, die gefährlich ans Banale streifen, nie wieder diese schillernde Stimmung des Jugendstils möglich, nie wieder das ritterlich Verhaltene, Naive, Noble, das, leichthin und dem Schicksal verschworen, seinem Tod und dem Vergessenwerden entgegenreitet, und mit einer fast lässigen Handbewegung behauptet: „Es ist nicht schad', es ist nicht schad'!“

Aber es wäre schade. Es wäre schade um diese unsere heutige Generation, würde sich am Ende nicht doch einer unter ihr finden, der Zuckermanns „Reiterlied“ erwähnt, in einer Vorlesung auf der Neustädter Akademie vielleicht; würde nicht einer am Ende doch den Namen des Dichters auf einen Stein oder in eine Tafel eingraben, irgendwann, irgendwo. Würde am Ende nicht doch wieder dieser öder jener junge Österreicher — diesmal aber in Frieden und ferne dem Kampf--lärm der großen Städte — im Geiste mit Hugo Zuckermann hinaustraben in die Weiten des Ostens, aus denen Joseph Roth kam, um uns zu versichern, daß dort draußen das alte Reich stärker, großartiger, gläubiger und echter gewesen sei als in seiner stets ein wenig labilen Mitte.

Zeichnungen: Susanne Thaler

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