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Das religiöse Lächeln

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L Streusand und Entrückung

Ob Diskothek oder Piaristen-kirche: schon seit langem befleißigt man sich dessen, was das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) erst seit kurzem wissenschaftlich empfiehlt: durch Parodie und integrierende Persiflage die überlieferte Kunst in eine zeitgemäße, die klassische Musik in eine neue überzuführen. Verhöhnt sei das Genie, ausgepeitscht, mit Dornen gekrönt! Nehmt den Jazzbesen und kehrt rhythmisch den Streusand in das Kreisen eines Klangkörpers, kehrt Bremsschotter in die Himmelsmechanik des wohltemperierten Klaviers und seines ersten Präludiums, damit es trotz dem widerstandslosen Modulieren nicht an Hemmnisen fehle. Erst wenn der Reibsand knirscht und quietscht, hat der Zeitgenosse das Gefühl des Echten. Wer ist heute noch so gutgläubig, daß.man ihm die reibungslose Idealität einer Quintenzirkelbewe-gung und materiellen Entrückung zumuten dürfte?

Die zünftigen Parodisten wissen, was sie tun: Weil Kunstwerke, widmungsgerecht aufgeführt, in vorprogrammierten Ohren keine Empfindung mehr hervorrufen, verheizt man deren handwerkliche Substanz. Verbrenne Bibelpapier, um Kaffeewasser zu kochen! Bach bleibt auch künftighin ein achtsamer Rohstoff, vergleichbar den fossilen Fischen und Seesternen, die wir im Auto als Benzin verpuffen.

II. Die Gorgo

Wenn ich mich selber auf Herz und Nieren prüfe, besinne ich mich so mancher Begegnung, da meine Empfindung dem Gegenstand ebenso wenig angemessen gewesen war wie der Jazzbesen dem 1. Präludium. Wie ist es mir in Kerkyra und in Palermo vor der Medusa ergangen? Dank meiner eifrigen Lektüre wußte ich zwar, was ich vor diesem Schreckenszeichen hätte empfinden sollen,, in Wahrheit amüsierte mich das Kraftbild des Grauens, als wollte mir die Gorgo die Zusammenhänge von Zähnefletschen, Grimasse und Lachen, die Verwandlung von aktueller in ritualisierte Aggression veranschaulichen. Die Mundwinkel sind so weit zur Seite gespannt, daß die Eckzähne in ihrer Beißenergie hauerartig hervorstechen. Was ficht dich an, du frommer Grieche anno 600 v. Chr. Geburt? Indem du dich dem Tempel näherst, grinst dich die Medusa an, den Fletschmuskel über Gebühr hinaufgezogen, zeigt sie dir die Zunge, verspottet dich, ein schlecht erzogener Fratz, der es niemals zur teuflischen Fratze, zur scheußlichen Götzenlarve bringen wird, denn dazu mangelt es dem Sonnenrund und Milchkindergesicht an Talent zur Bosheit, deren Reich, ebensowenig wie das der Güte, nur von dieser Welt ist.

An der Differenz von Empfindungssoll und Empfindungshaben läßt sich am ehesten ermessen, wie sich die Bewußtseinslage in einer Kultur abändert. Noch schärfer als die Hauer der Gorgo war der Zahn der Zeit. Sehr bald ist die Gorgo aus den Giebelfeldern verschwunden. Entweder vermochte sie als Schreinwächter nicht mehr jenes Grauen zu verbreiten, das sogar Odysseus in die Flucht schlug, sobald er vermutete, die Gorgo rücke ihm in der Unterwelt auf den Leib, oder sie mußte einer neuen eindringlicheren religiösen Gebärde weichen.

III. Vom Grinsen zum Lachen

In dem Angrinsen und dessen fühlbarer Angriffsenergie wurden muskuläre Bewegungen bereitgestellt, deren sich ein völlig anderes Ausdrucksbedürfnis bedienen konnte: die freundliche Zuwendung zum Du. Dieselben anatomischen Grundlagen, Eckzahn- und Jochbeinmuskel, schaffen zusammen die Ausdruckskulissen ebenso für den Angriff wie für den Nichtangriffspakt, ebenso für den Haß wie für die Liebe.

Somit ist uns die Sicht auf die physiognomische Entwicklung von dem zähnefletschenden Wächter des Schreines auf dessen lächelnde Kultplastik freigegeben. Flüchtig war das Grauen. Jahrhundertelang aber empfing die Gottheit mit archaischem Lächeln den Beter in ihrem Innenraum. Auf dieses Lächeln mußte die christliche Kunst zunächst verzichten.

Die Kulturphysiologie legt nahe, einer Ausdrucksgemeinschaft günstige Prognosen zu stellen, sofern Ernst und Lächeln ebenso eng aufeinander wie auf die Wahrheit bezogen bleiben. In polytheistischen Religionen verhalten sich die Götter arbeitsteilig: die einen sagen die Wahrheit im Ernst, die anderen nur im Lachen. Vermutlich haben Athene, Diana und Apoll aus stilistischen Gründen niemals das Weiß ihrer Zähne gezeigt und daher nie ins homerische Gelächter miteingestimmt. Einige Jahrzehnte lang ist im griechischen Theater der Wechselbezug von Ernst und Heiter, beziehungsweise jene Wahrheit, die sich erst als Resultierende aus beiden ergibt, künstlerische Gestalt geworden. Sobald aber das homerische Gelächter im banausischen Gespött unterging, mußte ein neuer Ernst geschaffen werden. Das Ausdruckserbe, der nun folgenden stoischen Faltenstrenge hat das Christentum angetreten, weil es über den reichsten Inhalt verfügte. Inmitten einer parodistischen Theologie des Heidentums konnte allerdings das Lächeln Christi, sein tatsächlich gelebtes Lächeln, nicht äquivalent in das Bewußtsein der geschichtlichen Epoche eindringen.

Solange hellenistische Bildwerke mit freundlicher Miene zur geschlechtlichen Bereitwilligkeit ermunterten, war das Lächeln zu sehr belastet, als daß die Kräfte ausgereicht hätten, die triebliche Materialisation durch Verklärung aufzuheben. Erst nach tausendjähriger körperlicher Schonzeit und geistiger Bereitstellung konnte das „Und mir geschehe nach deinem Worte“ im ältesten physiognomischen • Signal der

Bejahung wieder aufleuchten: im Lächeln.

Auch darin unterscheidet sich das Christentum von anderen Religionen — wie etwa dem Islam — daß es auf das Lächeln nicht verzichtet hat. Im griechischen Tempel verkörpert sich die systolische, im hinduistischen die diastolische Gebärde. Der christliche Baugedanke schwingt zwischen beiden, zwischen Verdichtung zum Baukern und zur vegetativen Öffnung im gotischen Spitzturm und in der barocken Zwiebel. Ähnliches gilt auch für den Ausdrucksgegensatz von Ernst und Heiter.

IV. Der lächelnde Glaube

Zu Frankreichs Sendung gehört es, das gläubige Lächeln zweimal zurückerobert zu haben, zunächst für den Bereich des künstlerischen Ausdrucks in der Kathedralenplastik des 13. Jahrhunderts und sechs Jahrhunderte später für den Bereich des Gebetserlebnisses, wie es im Antlitz der hl. Therese vom Kinde Jesu aufleuchtet. .

In den Bildwerken vom Typ der schönen Madonna ebenso wie in der russischen Ikonenmalerei mildert das Lächeln die hieratische Strenge von Himmelskönigin und Heiland durch ein irdisches Substrat zwischenmenschlichen Einverständnisses. Doch je nach der Höhe des Kunstwerkes und dessen religiöser Eindringlichkeit überstrahlt das Lächeln jede psychologische Deutung. Wenn dann die Madonna ohne Kind abgebildet und der Ausschnitt auf das Antlitz konzentriert wird, beweist auch diese Ikonographie, daß ihr Lächeln anders gemeint ist: Einverständnis in das Unverständliche. Wo sind wir diesem Lächeln schon begegnet? Vielleicht an den griechischen Mädchen, den Weihegaben für Verstorbene in Selinunt: archaisches Lächeln, nicht, als Vorklang organischer psychischer Ausdrucksfähigkeit zu begreifen, sondern als Leben im Tod.

Freilich verläuft die künstlerische Entwicklung im Zickzack und zuweilen verfallen so bedeutende Künstler und religiöse Menschen iwie Bot-ticelli oder Filippino Lippi dem schauspielerischen Ausdrucksüberschuß, so daß Lachen und Weinen wiederum zu einer Grimasse verschwimmen. Davor gefeit bleibt Michelangelo, dessen Temperament dem Lachen ebenso abhold ist wie jeder Ironie. Diese überlaufenen Matterhörner unserer Genielandschaft mußten aufgefädelt werden, um deutlich werden zu lassen, wie das Lächeln des Bußpredigers Johannes von Leonardo da Vinci im Letztgültigen beschlossen und daher einsam bleibt.

V. Die freundliche Buße

Giocondas Lächeln zwingt dem Beschauer ein Körpergefühl auf, denn wir spüren, wie die seitliche Spannkraft des linken Jochbeinmuskels gegen den festen Lippenverschluß wirkt und die rechte Hälfte einen Zug von Kühle, ja von Grausamkeit gegen die freundliche rationale Gesichtshälfte ausspielt. Die dekorative Symmetrie der Gorgo ist längst dahin. Zwischen zwei ungleichen Gesichtshälften, zwischen Ja und Nein ein Balanceakt: das ist es, was nun „Seele“ heißt.

Mit dieser Ausdruckstechnik — von seinen Schülern bereits für allerlei Koketterie mißbraucht — erschließt sich Leonardo die Möglichkeit, in zwei Bildideen — im Johannes dem Täufer und in Anna selb-dritt — einen unsäglichen Schwebezustand zwischen Ernst und Heiterkeit zu verkörpern. Dem lächeln-. den Leideinverständnis von Johannes und Anna genügt nur noch die Partnerschaft des Kreuzes. Leonardos Sfumato, die Konturen lockernd, eint sich der inneren Öffnung des Gesichts und läßt uns die Preisgabe des Individuellen an das Absolute miterleben. Gleich weit entfernt vom archaischen Lächeln der Selbstgewißheit wie vom dekadenten Lächeln der Befriedigung schenken Johannes und Anna das Lächeln des Friedens. In dieser Ausdrucksgebärde findet die religiöse Weltkunst über ein Jahrtausend, über Kontinente und Konfessionen hinweg ihre Einheit. Etwa tausend Jahre vor Leonardo spendet dieses Friedenslächeln der prinzliche Bodhi-sattva im Typus des Maitreya — das heißt: erfüllt von Wohlwollen — dessen vollkommenste Ausprägung, der Maitreya von Kyoto, dem siebenten Jahrhundert angehört.

Welch innere Erfahrung mit der Natur und der Einsamkeit muß Leonardo beseligt haben, als er den rauhen Bußprediger zum lächelnden Zeugen des Kreuzes werden ließ! Immerfort und überall ist das Lächeln bedroht, eine Werbefassade im Stil des: „Bitte recht freundlich“ und keep smiling abzugeben. Um so wunderbarer, wenn die hl. Therese von Lisieux inmitten eines frivolen Europa dem Lächeln die Reinheit wiedergewinnt und es zu einem Gebetsausdruck erhöhte. Derselben Sehnsucht hat ein Dichter wie Jean Giraudoux ein Leben lang in seinen reifsten Werken nachgehangen und auf seine Weise in „Suzanne und der Pazifik“ Ausdruck verliehen.

VII. So also leben wir:

1. An Stelle des Ernstes die Murrhaltung! Mit herabhängenden Mundwinkeln im Maskenkäfig gefangen gesetzt, ersparst du dir die Versuchung des Lächelns und des Kitsches, aber auch des echten Ernstes.

2. An Stelle des Lächelns — paro-distische Verzerrung. Wo immer das Vollkommene wahrgenommen wird (siehe den Anfang dieser Betrachtung) muß es gedemütigt werden. Bach wird unsere Parodie überstehen. Wir nicht.

3. Wir beseitigen das lächelnde Kultbild und richten wieder die Variation einer Gorgo auf. Künftighin soll das mimische Gelände so aussehen wie der Schutzumschlag von Peter Handkes wunschlosem Unglück: Verödung des Geländes als bester Schutz gegenüber rührigen Bodenspekulanten. Kann man soziale Probleme durch freiwillige Verarmung der Physiognomie lösen? Und ist es es nicht Verarmung, wenn die künstlerische Strategie nur noch mit dem Uberrumpeln durch Schocks und mit dem Trommelfellfeuer an der Schmerzgrenze operiert? Wo bleiben die Zwischentöne, die Ubergänge?

Zufolge eines Naturgesetzes und nicht bloß zufolge einer Denkgewohnheit ist die Natur polarisiert und jedem Positiven ein Negatives zugeordnet. Doch das Lächeln, die sanfteste und zugleich stetigste Bewegung in diesem Spannungsfeld, ist allem dazu befähigt, das Nein in Ja, die Hinnahme in Überwindung zu verwandeln.

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