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Das „repräsentative“ Sample

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Ein Bundesland und eine Landeshauptstadt wählen am kommenden Sonntag, eine mittlere Stadt wählte schon an diesem Sonntag. Damit wird der Oktober 1972 zum ersten echten Test für die innenpolitische Landschaft Österreichs seit einem Jahr. Denn zwischen dem agrarischen Burgenland und der internationalisierten Stadt Salzburg bestehen strukturell so gut wie keine Ähnlichkeiten. Man kann also mit voller Berechtigung feststellen, daß die Wahlen sowohl über das Wahlverhalten in ostösterreichischen armen, kleinbäuerlichen Gebieten wie über das Wahlverhalten im städtischen, durch hohen Lebensstandard und sehr starken Fremdenverkehr gekennzeichneten westösterreichischen Raum Verallgemeinerungen zulassen. Setzt man dazu auch die niederösterreichische Stadt Krems in Relation, dürfte ein gesamtösterreichischer Querschnitt geschaffen sein, den auch Meinungsforscher zur Erarbeitung eines repräsentativen Samples heranziehen würden. Die Frage ist nur noch, ob und wie lokale Gesichtspunkte von entscheidender Bedeutung sind.

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Ein Bundesland und eine Landeshauptstadt wählen am kommenden Sonntag, eine mittlere Stadt wählte schon an diesem Sonntag. Damit wird der Oktober 1972 zum ersten echten Test für die innenpolitische Landschaft Österreichs seit einem Jahr. Denn zwischen dem agrarischen Burgenland und der internationalisierten Stadt Salzburg bestehen strukturell so gut wie keine Ähnlichkeiten. Man kann also mit voller Berechtigung feststellen, daß die Wahlen sowohl über das Wahlverhalten in ostösterreichischen armen, kleinbäuerlichen Gebieten wie über das Wahlverhalten im städtischen, durch hohen Lebensstandard und sehr starken Fremdenverkehr gekennzeichneten westösterreichischen Raum Verallgemeinerungen zulassen. Setzt man dazu auch die niederösterreichische Stadt Krems in Relation, dürfte ein gesamtösterreichischer Querschnitt geschaffen sein, den auch Meinungsforscher zur Erarbeitung eines repräsentativen Samples heranziehen würden. Die Frage ist nur noch, ob und wie lokale Gesichtspunkte von entscheidender Bedeutung sind.

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BURGENLAND

Die Frage, inwieweit es sich bei dem Wahlgang vom 8. Oktober um burgenländische Wahlen handelt, mag Anlaß zu Zweifeln geben. Einerseits ähneln sich die Wahlprogramme und -Versprechungen der beiden großen Parteien fast aufs Haar, die beiden Spitzenkandidaten betreiben eine fast identische Imags-pflege, gesellschaftspolitische Akzentsetzungen sind nicht aufzuspüren; allen geht es schlicht und einfach um ein „besseres“ Burgenland. Unwillkürlich muß sich der Wähler so an der Bundespolitik orientieren.

Die spezifische Sozialstruktur des Burgenlandes macht den Wahlgang am nächsten Sonntag noch interessanter. Nahezu die Hälfte der Beschäftigten arbeitet in der Landwirtschaft (48 Prozent), rund ein Drittel in Gewerbe und Industrie. 49 Prozent der Bevölkerung sind berufstätig, 13 Prozent Rentner und Pensionisten. Eines der Hauptprobleme des Burgenlandes, die Pendler, geben der Wahl einen gewissen überregionalen Anstrich (80 Prozent der Wochenpendler arbeiten im roten Wien, jeweils 10 Prozent in den benachbarten schwarzen Bundesländern Niederösterreich und Steiermark).

Die sieben politischen Bezirke zeigen überdies ein relativ uneinheitliches Bild. Güssing (gefolgt von Jennersdorf und Neusiedl) weist noch starke agrarische Strukturen auf, während Mattersburg als schwächster Agrarbezirk bereits eine Mehrheit von Industrie und Gewerbe zu verzeichnen hat. Dementsprechend ist auch Mattersburg mit fast 60 Prozent SPÖ-Stimmen (Landtagswahlen 1968) der schwächste ÖVP-Bezirk, während in Güssing und Jennersdorf die ÖVP (trotz ihrer Stimmenverluste) noch die absolute Mehrheit halten konnte. Bezirke mit hohem Jungwähleranteil (Güssing) stehen Bezirken mit überdurchschnittlich hohem Anteil von mehr als 65jährigen (Mattersburg und Oberpullendorf) gegenüber. Was das Steueraufkommen betrifft, ist Eisenstadt der einzige Bezirk, der über dem Bundesdurchschnitt liegt.

Gerade der Strukturwandel, der sich im Burgenland stärker als in anderen Bundesländern manifestiert, macht diese Wahl so interessant (siehe „Furche“ Nr. 39/1972). Gilt es doch für die ÖVP, den mit diesem Strukturwandel Hand in Hand gehenden Stimmenverlust aufzuhalten, ja vielleicht sogar eine für sie positive Trendumkehr zu bewirken.

Vorläufig steht es 17:15 für die SPÖ. (Die FPÖ ging 1968 leer aus, die DFP konnte im Burgenland nie Fuß fassen und die KPÖ ist zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft.)

SALZBURG

Die Festspielstadt bildet einen deutlichen Kontrast zum (noch) agrarischen Burgenland. In Österreichs Parade-Fremdenverkehrsstadt findet sich neben den noch immer spürbaren Auswirkungen der Reformationszeit (überdurchschnittlicher Anteil von Protestanten) ein stark nationalliberales Element. Die Verlagerung des wirtschaftlichen Schwerpunktes nach Westösterreich prägt auch das politische Gesicht dieser Stadt. Dies illustriert deutlich das Ergebnis der Gemeinderatswahlen des Jahres 1949, bei denen der damalige VdU mehr Stimmen als die ÖVP erringen konnte. Diese Erfolge erfuhren dann allerdings in der Folge eine Änderung zugunsten der ÖVP (Gemeinderatswahlen der Jahre 1957 und 1962), an der relativen Mehrheit der SPÖ hat sich jedoch bisher nichts geändert. Trotz der noch relativ starken Stellung der FPÖ (bei den Nationalratswahlen von 1971 noch 15,34 Prozent!) zeigt auch die Stadt Salzburg einen deutlichen Trend zum Zweiparteiensystem. Die KPÖ, die 1962 zum letztenmal ein Gemeinderatsmandat erringen konnte, pendelt um 1 Prozent.

Die Mandatsvergabe von 1967 (19 SPÖ, 13 ÖVP, 8 FPÖ) ist deshalb interessant, weil das 13. Mandat der ÖVP nur mit 5 (in Worten: fünf!) Reststimmen gepolstert war, während die Mandate der anderen Parteien eine gute Absicherung zeigten.

Jedenfalls ist zu erwarten, daß gerade im Wirtschafts- und Fremden-verkehrszentrum Salzburg die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung eine gewichtige Rolle bei der Stimmabgabe spielen wird.

Einen ähnlichen Kontrapunkt zum Burgenland stellt auch die niederösterreichische Stadt Krems dar, die eine bürgerlich-liberale Enklave in der agrarischen ÖVP-Hochburg Niederösterreichs darstellt.

Tatsächlich zeigt auch die Gemeinderatswahl vom vergangenen Sonntag einen deutlichen Vormarsch der Sozialisten, die nunmehr 17 Mandate erreichen konnten. Die diesmal selbständig kandidierende FPÖ erlangte 3, die Kremser Wahlgemeinschaft (ÖVP) 19 Mandate.

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