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Das Rokoko des Signor Zocchi

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Ein Baedeker-Sternchen wäre fällig, um seine kulturelle Bedeutung zu würdigen und mindestens zwei, um seinen Seltenheitswert entsprechend zu markieren. Aber da das „Pietra-Dura-Zimmer” im Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg nicht zu den Schauräumen gehört, sondern eine „An- tecamera” der Präsidentschaftskanzlei ist, bleibt es meist VIPs, Diplomaten und Staatsbesuchen Vorbehalten, die Kostbarkeiten in diesem weiß-goldenen Interieur zu bewundern. Ein erster flüchtiger Blick freilich zeigt nur eine kleine Galerie von Bildern des 18. Jahrhunderts, wie es sie auch anderswo geben mag. Erst bei genauerer Betrachtung offenbart sich die ungewöhnliche Eigenart der Werke: nicht der Pinsel hat sie geschaffen, sie sind aus Dutzenden, ja oft Hunderten farbiger Steinpartikel zusammengesetzt.

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Ein Baedeker-Sternchen wäre fällig, um seine kulturelle Bedeutung zu würdigen und mindestens zwei, um seinen Seltenheitswert entsprechend zu markieren. Aber da das „Pietra-Dura-Zimmer” im Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg nicht zu den Schauräumen gehört, sondern eine „An- tecamera” der Präsidentschaftskanzlei ist, bleibt es meist VIPs, Diplomaten und Staatsbesuchen Vorbehalten, die Kostbarkeiten in diesem weiß-goldenen Interieur zu bewundern. Ein erster flüchtiger Blick freilich zeigt nur eine kleine Galerie von Bildern des 18. Jahrhunderts, wie es sie auch anderswo geben mag. Erst bei genauerer Betrachtung offenbart sich die ungewöhnliche Eigenart der Werke: nicht der Pinsel hat sie geschaffen, sie sind aus Dutzenden, ja oft Hunderten farbiger Steinpartikel zusammengesetzt.

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Doch zum Unterschied vom üblichen Mosaik verschwindet im Gesamten die Struktur der Einzelteile, und so entsteht eine reizvolle, täuschend malerische Wirkung. Deshalb bürgerte sich für diese virtuose künstlerische Technik auch sehr bald die Bezeichnung „Malerei in Stein” ein, fachlich heißt sie „Pietra Dura” oder „Pietre Dure”, je nachdem, ob man es im Singular oder im Plural sagen will. Das Verfahren hat in Florenz eine uralte Tradition. Zu recht der italienische Name - „harte Steine” -, denn das Material muß mindestens den Härtegrad 6 der Mohs-Skala aufweisen. Es sind erlesene Stoffe aus vielen Zonen: Jaspis, Achat, Karneol, Lapislazuli, Chal- cedon, Onyx, Malachit, Serpentin und andere Halbedelsteine, dazu auch Marmore und petrifiziertes Holz. Eine reiche Palette, die alle Nuancen ermöglicht. Leopoldo Cicognara, ein italienischer Kunsthistoriker der Romantik, läßt ganz im Geist der Alchimisten „die fernen Nachgeborenen das geheimnisvolle Wirken des unterirdischen Feuers und Wassers bestaunen, das diesen Brüchen ihre Leuchtkraft und Härte verlieh”.

Unter den Mediceern der ausklingenden Renaissance wurde eine eigene Werkstätte gegründet, das „Opi- ficio delle Pietre Dure”, das bis heute existiert und anfangs, wie andere staatliche Manufakturen des Großherzogtums Toscana, seinen Sitz sogar in den Uffizien hatte. Der erste bedeutende Aufträg betraf die Ausgestaltung der großherzoglichen Gruftkapelle bei der Kirche San Lorenzo, neben Michelangelos berühmten Mediceer-Gräbern. Nach dem ursprünglichen Plan sollten die Wände des riesigen Raumes bis zur Kuppel mit „marmi mischi a musaico”, also Pie- tra-Dura-Werken, verkleidet werden. Dazu kam es nie, doch schon die ausgeführten Wappenzyklen, Altartische und Omamentfelder zeugen vom beachtlichen künstlerischen Rang und der singulären Eigentümlichkeit solchen Schaffens.

Bald hatte das am Arno-Ufer gelegene Opificio in der gesamten damaligen Kulturwelt hohes Ansehen und Geltung, viele seiner Schöpfungen - Zierstücke, Kunstmöbel, besonders Steintische - gelangten als Geschenke oder Erwerbungen in die Residenzen Europas und begeisterten fürstliche Sammler. Der Pietra-Dura-Technik eignete seit je etwas eminent Artistisches, wahrhaft Ausgefeiltes und Exquisites, das dem Geschmack der Epoche der Kunst- und Wunderkam- mem durchaus entsprach. In Prag errichtete Kaiser Rudolf II. eine neue Werkstätte und berief Toskaner. Ihre Steinbilder weichen im Stü von der herkömmlichen Gestaltung ab, aus heutiger Sicht wirken sie fast wie bunte Collagen. (Nim im Kunsthistorischen Museum.) Ein größerer Bestand original florentinischer Arbeiten des Barocks befindet sich im markgräflichen Schloß Rastatt bei Karlsruhe.

Während des 18. Jahrhunderts verstärkte sich, wie ein Experte, der verstorbene Wiener Kunsthistoriker Erwin Neumann, schrieb, „das Streben nach .somiglianza al vero’, das Streben nach möglichst naturgetreuer Wiedergabe der darzustellenden Gegenstände oder nach möglichst getreuer Nachahmung der äußeren Erscheinung und Wirkungsweise von Gemälden.”

Dieser Phase einer neuerlichen Hochblüte gehören die Wiener Pietre Dure an. Insgesamt 59 richtige gerahmte Tableaus: Allegorien, Ruinenlandschaften, Palastarchitekturen, die Schönen Künste und die Vier Jahreszeiten, Szenen aus dem toskanischen Hafen Livorno, Motive adeligen Pląi- sirs - alles ungemein phantasievoll, bestechend im Kolorit, technisch von verblüffender Raffinesse und Perfektion. Eine theatralisch schöne, bunte Rokoko-Welt vielfältiger Erscheinungsformen, belebt durch genrehafte Figuren.

Die Vorlagen zu diesen Zyklen lieferte der florentinische Maler und Vedutenstecher Giuseppe Zocchi, den die Manufaktur als Entwerfer beschäftigte. Es sind kleinmeisterliche Gemälde, sie wurden genauestens ins

Steinmosaik übertragen, mit allen Schattierungen, Feinheiten und Übergängen, denn Signor Zocchi erlaubte sielt alle malerischen Freiheiten, wußte er doch, welch hohe Ansprüche er an das Geschick der Steinschneider stellen durfte. Louis Siries hieß der Mann, der die Arbeiten leitete, ein zugewanderter Franzose, er stammte noch aus der Ära des letzten Medici-Großherzogs Gian Gastone, nach dessen Tod Anno 1737 Toskana an Franz Stephan von Lothringen fiel. Durch die Personalunion mit der Kaiserwürde ergaben sich die direkten Verbindungen zwischen Florenz und Wien. Franz L, der sein südliches Großherzogtum nur kurzfristig in Florenz regiert hatte, wollte auch in der Hofburg hervorragende Musterstücke der berühmten toskanischen Kunst- fertigkeit vor Augen haben.

Wie entstanden die Pietre Dure? Am Verfahren hat sich seit Jahrhunderten kaum etwas geändert. Zunächst werden die rohen Halbedelsteinblöcke vorsichtig zu dünnen Platten zersägt, Zentimeter um Zentimeter, das dauert Tage. Solche Tafeln sind dann das Ausgangsmaterial, der „Farbenkasten” für das eigentliche „commesso”, die Zusammensetzung des Bildes. Dem Entwurf gemäß sucht der Steinschneider Platten in den erforderlichen Tönungen aus. Dabei nimmt er auf natürliche Gegebenheiten Bedacht, die der Bildwirkung dienen können, etwa wenn eine bläulich-milchige Maserung den Eindruck eines wolkigen Himmels vermittelt.

Nach sorgfältiger farblicher Abstimmung paust man die einzelnen Teile auf den jeweiligen Steingrund und schneidet sie mit einer Drahtsäge aus. Ein äußerst mühseliges, langwieriges Beginnen, denn oft, namentlich bei den Rokoko-commessi, war für die Übertragung der Büdaufbau in eine Unzahl von Segmenten zu zergliedern, viele davon winzig klein. Helligkeiten und Schatten eines gerafften Vorhangs, eines Faltenwurfs oder gebauschten Reifrocks etwa zerfallen so in lauter vertrackt konturierte Plättchen. Es bedarf enormer manueller Fertigkeit, um alle Partikel präzise zu sägen und so zurechtzuschleifen, daß sie schließlich, völlig fugenlos verbunden mit einem erhitzten Gemisch aus Kolophonium, Gips und Wachs, auf eine Grundplatte gekittet werden können. Dann folgt - in möglichst staubfreier Luft-die „lucidatura”, der Schliff der Oberfläche bis zur Marmorglätte, und der Poliervorgang, der dem Büd Glanz, Leuchtkraft der Farben und den typischen „harten” flächigen Pietra-Dura-Charakter verleiht.

Die Florentiner selbst besitzen ein Museum vieler kennzeichnender und meisterhafter Leistungen aus der Entwicklung dieses Kunstzweigs, doch in der Herrscher-Residenz, dem Palazzo Pitti, wurde erst 1794 ein Pietra-Dura-Zimmer eingerichtet. Damals regierte in der toskanischen Se- cundogenitur bereits Großherzog Ferdinand, der Sohn des als „Gran- duca Pietro Leopoldo” in Florenz noch immer unvergessenen späteren Kaisers Leopold II., und Ferdinand konnte - man staune - an Ort und Stelle nicht mehr solche Rarissima und Kostbarkeiten vereinigen, wie einst der hohe Ahnherr in Wien. Der Hofburg blieb die künstlerische Priorität. Jener Raum in der Gemächerflucht am Ballhausplatz ist, um wieder Erwin Neumann zü zitieren, „mit seiner einheitlichen, ein geschlossenes Ensemble bildenden Ausstattung ein Denkmal von wahrscheinlich unikaler Bedeutung”.

Allerdings: ein Schatz unter dem Siegel des staatsmännischen Protokolls.

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