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Das Scharnier

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Es ist nicht möglich, die Ereignisse auf Zypern und ihre politischen Weiterungen kommentarlos zu übergehen. Von neuem zeigt es sich, daß Unsicherheit und Spannungen an der Nahtstelle zwischen Europa und dem Nahen Osten immer vorhanden sind. Das ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts so, trotz wechselnder politischer Verhältnisse auf dem Balkan, in Rußland, in der Türkei und in der arabischen Welt. Einst war es die Dardanellenfrage, die zwischen Rußland und Großbritannien zu Spannungen führte, ein anderes Mal störte die Prä

senz der Engländer in Ägypten ihr Verhältnis zu Frankreich. Dann war es die Rivalität zwischen Österreich-Ungarn und Rußland auf dem Balkan, die zum Krieg von 1914 führte. Zur Zeit Hitlers hat das Ringen zwischen Deutschland und Rußland um die Staatenwelt Mittel- und Osteuropas das Schicksal dieser weiten Gebiete bestimmt.

Als Amerika Ende der vierziger Jahre Griechenland und die Türkei unter seinen Schutz nahm und diese beiden Staaten in die militärische Organisation des Nordatlantikbündnisses eingliederte, wurde dieser Raum zum Scharnier zwischen der russischen und amerikanischen Präsenz auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeer.

Die Sowjetunion konnte nicht die Einbeziehung der Insel in das amerikanische Stützpunktesystem dulden, und für die Amerikaner war die Neutralität’ Zyperns ein Dorn im Auge.

Rückblickend kann man sagen, daß die Haltung des Präsidenten Makarios außenpolitisch erfolgreich, innenpolitisch aber verfehlt war. Er hat die Insel gegen die Befürworter des Anschlusses an Griechenland und damit an die NATO geschickt verteidigt. Aber Makarios hat die Türken auf der Insel nicht nur nicht zufriedengestellt, sondern sie politisch und wirtschaftlich benachteiligt. Der Haß zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen erhielt immer neue Nahrung, da die Probleme des Zusammenlebens und der Gleichberechtigung von Griechen und Türken im Staate Zypern nicht gelöst worden waren.

Daß eine so kleine politische Einheit zu einem großen Konflikt führen konnte, hat seinen doppelten Grund darin, daß der alte Gegensatz zwischen Griechen und Türken dort seinen letzten Zankapfel besaß, und zusätzlich in der militärgeographischen Lage Zyperns zwischen den Einflußbereichen Rußlands und Amerikas. Die kleine Insel hat nur deshalb Bedeutung, weil sie am Schnittpunkt großer Interessen liegt.

Ob, wie die Russen behaupten, die amerikanischen NATO-Inter- essen hinter dem Staatsstreich gegen Makarios standen, ist nicht erwiesen.

Es ist tragisch, daß der Kon-- flikt zwischen Griechenland und der Türkei in einem Augenblick akut wurde, da in diesen beiden Staaten demokratische Regierungen ihre Völker von harten Militärdiktaturen befreit hatten. Das beweist einmal mehr, daß natio-nale Beweggründe stärker sind als Ideologien und die von ihnen produzierten politischen Regimes. Die auf Zypern lebenden Türken

sind solidarisch mit der Politik Ankaras. Ihre Wortführer betonen, daß sie auch in Zukunft auf die Präsenz des türkischen Mili-tärs auf ihrer Insel bauen, weil sie sonst fürchten müßten, daß in ein paar Jahren die Griechen sie von neuem drangsalieren könnten. Griechenland will seinerseits die Teilung der Insel in zwei getrennte Gebiete und Verwaltungen nicht akzeptieren; aber der Regierung in Athen fehlen die militärischen Machtmittel, um ihr Konzept eines zyprischen Einheitsstaates verwirklichen zu können. Die Türkei sitzt in diesem Streit am längeren Hebelarm. Daß aus Zorn über die wohlwollende Haltung Amerikas der Türkei gegenüber, Griechenland sich von seinem amerikanischen Protektor abwandte, ist eine patriotische Reaktion.

Der israelische General Herzog beurteilt in einem Artikel die Lage der . amerikanischen Mittel- meerflótté pessimistisch. Er glaubt, daß die „türkische Haltung gegenüber der NATO durch die Ereignisse im Mittelmeerraum ungünstig beeinflußt worden ist, .,. und daß die Erfolgsaussichten für die Sechste US- Flotte… geschrumpft sind.“ Offenbar glaubt der israelische General nicht, daß sich die wohlwollende Haltung Amerikas gegenüber der Türkei bezahlt machte. Er weist auch darauf hin, daß Italien, das er für den „wichtigsten NATO-Stützpunkt im westlichen Mittelmeer“ hält, aus Gründen der italienischen Innenpolitik unsicher geworden sei. Es fiel endlich auf, daß die portugiesischen Zeitungen und das Radio dieses Landes die Nachricht verbreiteten, daß arabische Staaten der portugiesischen Regierung eine große Summe geboten hätten, damit sie nicht länger die Stützpunkte auf den Azoren den Amerikánem überlasse. Trotz offiziellen Dementis bleibt ein psychologischer Druck Portugals auf Amerika bestehen.

Die Dinge sind im Fluß. Von Portugal bis Israel und Ägypten sind die Ausläufer des Erdbebens auf Zypern zu spüren.

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