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Das Schattengefecht geht weiter

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Die Auseinandersetzung um die Ostverträge ist nach dem Übertritt des SPD-Abgeordneten Hupka zur CDU und nach der Verunsicherung der Regierungskoalation durch Gerüchte um weitere Abgeordnete weiter eskaliert. Es steht heute in Bonn annähernd 1:1. Und auch die Argumentation — etwa anläßlich der ersten Lesung der Ostverträge im Bundestag — hat nichts Neues gebracht.

Die wirklich große Rede, in der einer der Redner hätte aufhorchen lassen, in der gesagt worden wäre, was der innerste Kern der Brandtschen Ostpolitik ist, blieb aus. Weder hat die Regierungsfront ein großes Konzept entwickelt noch hat die Opposition ausgesprochen, was sie für den letzten Sinn dieser Politik hält. Entweder haben sich die Parteien ihre großen Trümpfe für das letzte Gefecht aufgehoben, das ja erst vor der Abstimmung stattfindet, wenn die Verträge die Ausschüsse passiert haben, oder sie wollen überhaupt nicht sagen, warum sie es — die einen — so eilig hatten, Verträge unterzeichnen zu lassen, die völlig einseitig den Interessen der Sowjetunion dienen, oder warum sie — dies gilt für die Opposition — die Folgen der Verträge füi so gefährlich halten. Man ging, von beiden Seiten, um die Sache herum wie — volkstümlich gesprochen — die Katze um den heißen Brei. Wer aufmerksam hinhörte, meinte die Scheu vor einigen Tabus durchzufühlen, an die weder die Opposition noch gar die Linkskoalition rühren will.

Daß es der Koalition nur um den „Frieden“, einen nebulosen, seit Brandts Auszeichnung mit dem Nobelpreis von früh bis spät strapazierten Frieden geht, ist schon deshalb nicht recht glaubhaft, weil dazu einfachere, weniger riskante Erklärungen genügt hätten, wie sie schon seit Adenauers Zeiten von Bonn immer wieder abgegeben wurden. Daß die Opposition wirklich nur fürchtet, die westlichen Verbündeten, die doch immer wieder versichern, sie seien für Brandts „Entspannungspolitik“, könnten böse werden, weil die Deutschen sie nicht mehr für die Verteidigung deutscher Interessen und Rechtsansprüche einspannen, ist ebensowenig glaubhaft. Auf eines könnte die Opposition mit gutem Grund verweisen, wenn man ihr dann nicht nachsagen würde, ihre Ablehnung der Verträge sei nichts anderes als Neid auf die verlorene Macht. Es handelt sich um das doch sehr bestechende Argument, daß die Regierung, wenn sie nur den Frieden und die Entspannung gewollt und wenn sie gemeint hätte, dafür große nationale Opfer bringen zu müsssen, doch gar nicht erst versucht hätte, diese Politik mit einer hauchdünnen Mehrheit durchzusetzen. Wenn es Brandt darum zu tun gewesen wäre, einen Strich unter das Provisorium von Potsdam zu ziehen und von der Nation ein großes Opfer zu fordern, dann hätte er doch wahrhaftig besser daran getan, mindestens seine Außenpolitik von Anfang an auf die vollste Übereinstimmung mit der CDU/CSU anzulegen, statt diese in brüsker Form von jeder Mitbestimmung auszuschließen.

Wenn Brandt — so sagen die Vernünftigen unter den Vertriebenen, den heftigsten Gegnern der Verträge — vor die Nation getreten wäre wie einst Churchill mit seiner berühmten

„Blut-und-Tränen“-Rede vom Sommer 1940, wenn er erklärt hätte, daß uns schwere Gefahren drohen, daß die hochgerüstete Sowjetunion darauf besteht, ihre Kriegsbeute legalisiert zu bekommen, daß uns nichts anderes übrig bleibt, als zwei Fünftel von Deutschland zu opfern, um die drei verbleibenden zu sichern, wenn er die Nation zu solchem Opfer, aber auch zu Trauer und Klage über die nun erst besiegelte Katastrophe aufgerufen hätte, dann wäre ihm die große Mehrheit gefolgt, aber dazu hätte er sich nicht mit der bankrotten FDP verbünden, sich nicht die Macht erschleichen dürfen. Dann hätte er vor allem diese Politik der Opfer nicht als Erfolge ausgeben, nicht einen ewig lächelnden Allerweltsunterhalter auf den Stuhl Bismarcks setzen dürfen.

Und warum sagt das die Opposition nicht? Das ist tatsächlich die schwerer zu beantwortende Frage. Es hängt damit zusammen, daß der größere Teil der Opposition, vor allem die CDU, selbst nicht an den Ernst der Lage glaubt, daß sie Brandt die ^Friedenspolitik“ abnimmt, daß sie selbst die Außenpolitik für einen Handel mit Passierscheinen hält und sich ihrerseits auch fürchtet, einer im Leichtsinn der Wohlstandsgesellschaft versinkenden Nation zu sagen, wieviel es geschlagen hat. Darum muß sie die Auseinandersetaung auf dem Felde führen, das ihr die von der Neobourgeoisie und den Monopolen getragene Regierung als Kampfplatz vorschreibt.

Das gilt wahrscheinlich nicht für die CSU, nicht für Franz Josef Strauß. Die einzige eiskalte Analyse der Ostpolitik — so wie man sie auf dem rechten Flügel der Union beurteilt — hat vor einiger Zeit der „Bayernkurier“, das Blatt Franz Josef Strauß', gebracht: das Ziel der SPD (von der FDP, dem Trittbrettfahrer der SPD, lohnt es sich nicht, zu sprechen) sei das sozialistische Europa, wie es vor der Niederlage der Labour Party Brandt, Wilson, Kreisky und die Skandinavier bereits geplant hatten. Um ein solches sozialistisches Europa — auf der von den „Jusos“ offen proklamierten Linie Schweden-Jugoslawien — durchsetzen und halten zu können, bedarf es aber der Verständigung mit der Sowjetunion. Die Spaltung der Arbeiterklasse, an der in den dreißiger Jahren die alte Internationale gescheitert sei, müsse überwunden werden, nicht auf der Plattform der Parteien, sondern auf der Plattform der Staaten. An dieser Politik könne man die Unionspar-teien nicht beteiligen. Man müsse sie rasch und um jeden Preis durchsetzen. Wenn dieses Ziel erreicht sei, werde aber — hieß es im „Bayernkurier“ — Europa auf unabsehbare Zeit ein sozialistisches Europa sein.

Das fürchten weite Kreise der Unionsparteien. Es offen auszusprechen, ist aber Tabu, denn die Herrschaft der Linken über die Massenmedien macht es der CDU/CSU unmöglich, mit dieser Analyse von Brandts Ostpolitik vor die Nation zu treten, nicht zuletzt deshalb, weil die Union darüber zerbrechen könnte. Darum spielt man mit verdeckten Karten, redet man um das Problem herum, ist der große Kampf um die Verträge ein riesiges Schattengefecht.

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