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Das Schlafpulver-System

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Nicht nur bei der Pensionsversicherung, sondern auch bei den Krankenkassen kriselt es. Für Herbst sind neue Honorarverhand-hingen -mit den Ärzten vorgesehen, welche für die Krankenkassen angesichts ihrer ohnehin schon prekären Situation sehr problematisch sind. Dazu kommt noch die chronische Finanzmisere der Spitäler, welche durch das neue Krankenanstalten-gesetz eher schlimmer als besser wurde.

Die durchwegs desolate Finanzsituation läßt erwarten, daß nach den Wahlen die Krankenversicherten selbst und ihre Arbeitgeber — allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz — zur Kasse gebeten werden, Nun sieht gewiß jeder vernünftige Österreicher ein, daß ein ordentlicher Gesundheitsdienst auch etwas kostet, und daß es noch immer besser ist, die Kosten ehrlich zu deklarieren, statt sie durch steigende Bundeszuschüsse noch mehr zu verschleiern.

Was er allerdings nicht einsieht, sind diverse kostspielige Experimente am Gesundheitsdienst, die angesichts der ohnehin zu kurzen Finarazierungsdecfce besonders provokant wirken. Ebenso ist evident, daß das Ganze nicht nur ein finanzielles Problem ist, sondern auch ein strukturelles. Die heute gestopften Löcher reißen morgen doch wieder auf und werden noch größer sein. Wir haben die Konsequenzen einer seit Jahrzehnten betriebenen sozialen Großmannssucht zu tragen, die der öffentlichen Hand Leistungen Ohne jeden Gedanken an ihre Finanzierbarkeit aufhalste, während gleichzeitig jede vernünftige Regelung der Finanzierung abgelehnt wurde.

Die ganze Problematik kommt bei dem bevorstehenden Konflikt mit der Ärztekammer wieder zum Vorschein: die Ärztekammer fordert 20 bis 22 Prozent Honorarerhöhunig, der Hauptverband der Krankenver-sicherungsträger offeriert 12 Prozent. Ob man sich nun über die Milchmädchenrechnung der Krankenkassen, nach welcher diese ihr Offert errechnet haben, alteriert oder über die nicht gerade bescheidene Forderung eines nicht gerade armen Berufstandes, ist dabei sekundär. Man geht nämlich mit solchen Überlegungen an der eigentlichen Problematik vorbei: Die Forderungen der Ärzte sind letztlich nur ein Ausdruck ihrer Malaiise über ihre wenig erfreuliche Arbeitssituation und über die vielen Ungerechtigkeiten des gegenwärtigen Zu-standes.

Falsch ist das ganze Honorarsystem mit der pauschalen Abgeltung pro Krankenschein. Es ist lei-stiungsfeindlich, fördert das unpersönliche Fließbandsystem in den Praxen, ja es bestraft sogar die Leistung des Arztes.

Bin vor kurzem in Kärnten ausgebroohener Konflikt zwischen Ärzten und Kassen illustriert dies: Dort sollen Ärzte angeblich zu viel verrechnete Honorare zurückzahlen. Diese weigern sich aber und halten ihre Forderungen für berechtigt. Der Streit basiert auf jener Bestimmung des Vertrags zwischen Kassen und Ärzten, welche eine degressive Honorierung der vorgelegten Krankenscheine vorsieht. Die Kasse argumentiert nämlich — nicht ganz zu Unrecht — damit, daß jeder Arzt nur eine gewisse Anzahl von Patienten ordentlich betreuen kann. Werde diese Zahl überschritten, so werde keine vollwertige Leistung mehr vollbracht.

So berechtigt dies auch im Falle der notorischen Krankenscheinsammler unter den Ärzten ist, die gleiche undifferenzierte Pauschalmaßnahme trifft aber auch jene pflichtbewußten Ärzte, welche eben mehr als ein gewisses Pensum leisten.

Die Kärntner Ärzte argumentieren nun, die höheren Honorarforderungen für das vergangene Jahr basierten auf echten Mehrleistungen, welche während einer Grippeepidemie erbracht worden seien. Deshalb verlangen sie die volle Vergütung.

Solche Konifliilkite kommen heraus, wenn man ein falsches System mit falschen Mitteln zu sanieren sucht. In der Sprache der Medizin nennt man derartiges Kurpfuscherei.

Das EinzeEetstungs-Honorierungs-system, von jenen Ärzten, welche nicht bloße Krankenscheinakkumu-lierer sein wollen, propagiert, wird von den Kassen wegen der Unmöglichkeit, es zu kontrollieren, abgelehnt. Nun gäbe es aber ein außerordentlich probates Mittel der

Kontrolle: Man führe beim Patienten einen Selbstbebalt für Ärztehonorare, Medikamente, Kurmittel usw. ein, so daß dieser ein persönliches Interesse an einer exakten Verrechnung hat.

Aber Selbstbehalt iit in Österreich ein Reiizwort, das nicht laut ausgesprochen werden darf. Als es der steirische Ärztekammerpräsident und scheidende ÖVP-Abgeordnete, Piaty, vor kurzem doch aussprach, erntete er nicht nur eine wütende Replik durch den Soziaiminister, sondern wurde vom Gesundheitssprecher seiner eigenen Partei korrigiert.

Es fragt sich aber, ob ein solches System, dessen soziale Härten sich durchaus abschleifen ließen, in Österreich wirklich so unpopulär wäre. Mit seiner Hilfe soll ja der Gesundheitsdienst nicht verschlechtert, sondern verbessert werden: Es soll den Arzt von der großen Zahl scheinbar Kranker befreien, damit er sich den wirklich Kranken mehr widmen kann, und den Medikamen-tenmißforauch eindämmen. Es soll auch jener FehMenkung der Mittel steuern, durch die zwar jedes Sehlafpülverohen von den Kassen zur Gänze bezahlt wird, ein für einen Schwerkranken lebenswichtiges Medikament aber nicht, daß kein Luxus zu groß für Bagatellfälle ist, während gleichzeitig Menschen unibetreut auf den Gängen von Spitälern sterben müssen.

Echte Sozialmaßnahmen sind unbedingt zu bejahen, nicht aber jenes Schlafpulver-System, welches bei uns seit Jahrzehnten praktiziert wird und das Gesundheitswesen immer dubioser macht.

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