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Das Schulkind als kleiner Erwachsener

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„Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen undKönnen auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen. Die jungen Menschen sollen zu gesunden, arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewußten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden …“ So heißt es im § 2 des Schulorganisationsgesetzes 1962.

Die Volkspartei hat sich in vier Bildungskonferenzen mit dem äußerst komplexen Thema Schule auseinandergesetzt und versucht, ihre grundsätzlichen Werte, Intentionen und Maßnahmen in diesem Bereich zu entwickeln. Parteiobmann Josef Taus hat betont, daß ihm keine Oppositionspartei bekannt sei, die derart deutlich ihre Zielrichtung, ihre Alternativen zum Ausdruck bringe. Er wolle damit die Öffentlichkeit informieren, welche Wertvorstellungen die ÖVP vertrete und weiter, welche Wege sie im Jahre 1979 bei einem eventuellen Regierungsantritt .gehen würde.

Immer wieder wurde hervorgehoben, daß bei aller Veränderung der Gesellschaft - ja vielleicht gerade deshalb - und neben der Kritikfunktion der Schule die im § 2 des Schulunterrichtsgesetzes gegebenen Wertvorstellungen als Grundlage jeder Reform weiterhin dienen müssen, um die „Kontinuität“ zu wahren.

Der Münchner Hochschullehrer Theodor Hellbrügge sprach von der kindzentrierten Schule, der kindzentrierten Erziehung. In allen Erziehungsbereichen müsse man das Kind in den Mittelpunkt stellen und sämtliche Maßnahmen auf das Bedürfnis, das Wesen des Kindes abstimmen. Das derzeitige Schulsystem unterliege einem grundsätzlichen Irrtum: Das Kind sei ein kleiner Erwachsener.

Es ist lebensentscheidend, ob das Kind in seiner frühpädagogischen Zeit durch richtiges Behandeln Sozialverhalten gelernt hat. Nur dann nämlich entwickelt es Lernfähigkeit, wird der später erwachsene Mensch in die Lage versetzt, Leistungen zu erbringen. Das Kind ist nicht in der Lage, auch durch noch so hohe Intelligenz den Mangel an Konzentrationsfähigkeit, hervorgerufen durch Aggression und innere Belastung, auszugleichen. Hellbrügge fordert aüs diesem Grund das „soziale Lernen“: Man gebe Chancengleichheit durch individuelle Hilfestellung, Betreuung, Zuwendung. Als bedeutendes Ziel soll die Ausbildung aller vorhandenen Fähigkeiten angesehen werden.

Aus diesen Erkenntnissen heraus ergibt sich die Forderung nach altersgerechter Schulstundenanzahl, größere Betonung der körperlichen Betätigung sowie das Lernen in der kleinen Gruppe, um Individualbehandlung zu gewährleisten.

Die ÖVP hat allen Anzeichen nach spät, aber doch zu einem Oppositionsverständnis in Sachen Bildungspolitik gefunden. Nach sieben Jahren Opposition hat sie erstmals versucht, eigene, ihren Grundsätzen entsprechende Bildungsaltemativen auszuarbeiten und aufzuzeigen. Nach der bildungspolitischen Ära Piffl-Mock hatte man offensichtlich den Faden verloren und sich darauf beschränkt, bei Gesetzesbeschlüssen in den parlamentarischen Ausschüssen hemmend, mäßigend wirksam zu werden.

Am Parteitag im März 1977 zeichneten sich neue Wege ab. Die ÖVP entwickelt konkrete Zielsetzungen, um der sozialistischen Politik zu begegnen: „Die Schule muß allen gleich zugänglich spin und den Schwächeren helfend beistehen. Die Schule ist jedoch nicht dazu da, alle gleichzumachen und Begabte nicht aufsteigen zu lassen. Einen solchen Mißbrauch der Schule aus gesellschaftspolitischer Zielsetzung lehnen wir ab.“ Man sucht Wege, den Schwachen besser zu erreichen, aber auch den Leistungsfähigen zu fördern. Mut zur geistigen Elite als Notwendigkeit in der Gesellschaft.

Während die Öffentlichkeit im bildungspolitischen Bereich sensibilisiert wird, entwickelt sich die Fähigkeit, gesellschaftliche und menschliche Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren. Erst dieses Wissen versetzt die Fachleute in die Lage, Lehrpläne, Lehrplanstrukturen inhaltlich so zu gestalten, daß die gesamtheitli- che Formung des Menschen - Him, Herz und Hand - gewährleistet wird. Die Berücksichtigung und weiter die „Verfeinerung“ des Menschlichen, des emotionellen Bereiches.wird als wesentliche Aufgabe erkannt und in die Bildungspolitik miteinbezogen.

Man bekennt sich zur Doppelnatur des Menschen - zum Bild der schönen Blumen, man verwirft das sozialistische Bild: eine schön gemähte Wiese.

Man spricht sich im Rahmen der tradierten Wertvorstellungen für eine permanente Weiterentwicklung aus, um die von der menschlichen Gesellschaft vorgegebenen Ziele zu erreichen.

Man sucht die Lebensbezogenheit der Bildung. Demgegenüber steht das Wesen des Kindes, das seinerseits prägend auf die Gesellschaft wirken soll.

Es werden sicherlich einige Vorschläge zu überdenken sein, wie etwa die Einführung von Zeitblöcken in den Hauptgegenstanden: Das Unterrichten eines Gegenstandes während einer Zeitdauer von 2 bis 3 Stunden könnte an der in diesem Alter geringeren Konzentrationsfähigkeit der Schüler - zumindest bis zum 14. Lebensjahr - scheitern.

Die Konferenz zum Thema „die neue Hauptschule“ befaßt sich grundsätzlich mit dem Ziel, eine neue Struktur zu finden, um das Bildungsniveau der

400.000 Hauptschüler anzuheben und den in der Öffentlichkeit diskriminierten Hauptschul-B-Zug fallenzulassen. Als neue Bezeichnung wurde „allgemein bildende mittlere Schule“ ins Auge gefaßt - etwa im Sinne einer mittleren Reife.

In der Diskussion um die Lehrin- halte kam neben der Betonung der Anwendbarkeit, der Gegenwarts- und Praxisbezogenheit, der adäquaten Transmission der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der schülergerechten Aufbereitung des Lehrstoffes die Überzeugung zum Ausdruck, daß die Vergangenheit, das Traditionelle unser Sein mitgeformt hat und dazu zum besseren Verständnis des Menschen weitergegeben werden muß, wenn es aiuch zugunsten der Gegenwart und Zukunft zwangsläufig in einem gewissen Maß zu reduzieren ist.

Aus der Überzeugung heraus, daß die Zukunftsgesellschaft eine Bildungsgesellschaft ist und die Schule zur Weiterentwicklung der Wertvorstellungen in der Gesellschaft dienen soll, muß die Diskussion um Schule und Erziehung eine permanente sein. Dabei könnte auch der internationale Erfahrungsaustausch wertvolle zu- cätylirVip Krkpnntnissp brinsen.

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