6850014-1976_43_03.jpg
Digital In Arbeit

Das Senfkorn bringt Frucht

19451960198020002020

Ein — kirchlichen Belangen durchaus aufgeschlossener — ORF-Mitarbeiter sagte mir kürzlich, Missions-Reportagen würden ihm langsam langweilig. Sie liefen immer auf dieselben zwei Erkenntnisse hinaus: Daß die „einheimischen“ Priester in den Entwicklungsländern die Führung übernehmen müßten, und daß die Kirche mehr und mehr eine Kirche der Dritten Welt werde. Viel mehr ist heute über Mission wirklich nicht zu sagen. Außer, daß sie wichtig ist. So wichtig, wie sie vor fünfzig Jahren war, als der erste Sonntag der Weltmission gefeiert wurde. Noch wichtiger wahrscheinlich.

19451960198020002020

Ein — kirchlichen Belangen durchaus aufgeschlossener — ORF-Mitarbeiter sagte mir kürzlich, Missions-Reportagen würden ihm langsam langweilig. Sie liefen immer auf dieselben zwei Erkenntnisse hinaus: Daß die „einheimischen“ Priester in den Entwicklungsländern die Führung übernehmen müßten, und daß die Kirche mehr und mehr eine Kirche der Dritten Welt werde. Viel mehr ist heute über Mission wirklich nicht zu sagen. Außer, daß sie wichtig ist. So wichtig, wie sie vor fünfzig Jahren war, als der erste Sonntag der Weltmission gefeiert wurde. Noch wichtiger wahrscheinlich.

Werbung
Werbung
Werbung

Mission — davon zu sprechen verlangt zunächst einmal die Definierung des eigenen Standpunktes. Mission ist die entscheidende Frage an das eigene Gewissen: Wie wichtig ist mir das Christentum? Wertschätzung der Mission, Zustimmung, Ablehnung — das alles entwickelt sich logisch aus der Antwort auf diese Frage.

Denn nur zwei Standpunkte scheinen möglich. Bedeutet mir selbst das Christentum wenig, dann hat Mission keinen Wert. Dann werde ich die Entwicklungshilfe ausreichend finden, jenes ungemein wichtige Engagement für die Völker der Dritten und Vierten Welt, das auf humanitären und materiellen Grundsätzen aufbaut. Ist aber das Christentum ein bestimmender Faktor meines persönlichen Lebens, dann muß ich die Mission fordern und fördern. Denn ich kann nicht gleichzeitig überzeugt sein, daß Christsein erst wahres Menschsein ermöglicht — und sagen, daß jeder nach seiner Fasson selig werden möge.

Im Klartext gesprochen: Ich liebe meinen Nächsten nur dann, wenn ich will, daß er all das hat, was mir selbst wichtig ist. Und wenn ich dazu beitrage, daß er es bekommen kann. Mission — das ist die Gretchenfrage an jeden von uns. „Wie hältst Du's mit der Religion?“ Gestellt mindestens einmal im Jahr, wenn wieder der Missionssonntag kommt.

Zweitausend Jahre1 nach Gründung der Kirche entspricht die religiöse Situation der Menschheit nicht dem, was die Erfüllung des erhaltenen Auftrages hätte bewirken müssen. Dieser lapidare Satz ist nicht kritische Äußerung eines kirchlichen Außenseiters; er stammt aus der Botschaft Papst Pauls VI. zum Weltmissionssonntag. Wo liegen die Gründe, daß anderes Geistesgut heute so viel attraktiver erscheint, als das des Christentums? Der Papst zitiert den Apostel Paulus und hat damit eine einfache Erklärung zur Hand: „Statt aber die Schuld dem Starrsinn der Heiden oder ihren falschen Anschauungen zuzuschreiben, sah er die Erklärung im mangelnden apostolischen Eifer der Christen.“ 2000 Jahre später paßt das Wort wieder. Der missionarische Eifer ist selten geworden.

Die Hoffnung, daß bei einer linearen Entwicklung der Missionstätigkeit einst die ganze Erde christlich sein werde, muß heute zurückweisen, wer Statistiken lesen kann. Wohl gibt es genügend ermutigende Zahlen, wie stark die Zahl der Christen, der Priester, der Kardinäle aus den Entwicklungsländern wächst. Aber daneben gibt es auch andere Zahlen, und die besagen, daß die gesamte Weltbevölkerung sich rascher vermehrt als die Zahl der Getauften. Das heißt, daß eine lineare Christianisierung nicht zu einer total christlichen Welt führen würde — sondern zu einer Welt ohne Christen. Um 1900 lebten noch 85 Prozent der Christen in Europa und Nordamerika. Im Jahr 2000 werden mehr als die Hälfte der Christen aus Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien kommen. Zukunftsforscher prognostizieren 58 Prozent. Doch von der Weltbevölkerung werden mehr als vier Fünftel in diesen Gebieten leben.

Die „Dritte Kirche“ kommt — daran kann nicht gezweifelt werden. Doch sie kommt zu langsam. Vor 50 Jahren gab es in Afrika, Asien, Ozeanien noch keinen einheimischen Kardinal. Heute gibt es deren 24. Italien mit seinen 54 Millionen Einwohnern hat allein 33. 102 Millionen Katholiken in den genannten Erdteilen sind zwar fast zehnmal so viele wie vor 50 Jahren. Aber sie verschwinden gegenüber der Milliarde Menschen, die heute allein in China lebt. Freilich, die letzten Zahlen berücksichtigen nur die Katholiken, und die Missionierung der evangelischen Kirchen darf ihrerseits auf bedeutende Erfolge verweisen. Aber das Gesamtbild ändert sich nicht. Die christliche Mission scheint im Rennen um die Menschheit hoffnungslos abgeschlagen zu sein.

Daß sie es dennoch nicht ist, verdankt sie jener Dimension, die sie nun einmal mehr hat als alle anderen. Mission muß eben außer mit Statistiken auch mit dem Bibelwort gemessen werden, daß die Kirche nicht untergehen werde. Wer nicht daran glaubt, Jür den ist die Mission ohnedies nicht der richtige Job. Wer aber daran glaubt, der übernimmt damit auch die Verpflichtung, für die zu sorgen, die in den armen Ländern der Welt im Einsatz stehen und ihren doppelten Kampf führen: Gegen das Elend und für den Glauben.

35 Millionen Schilling flössen im Vorjahr an Spenden den Päpstlichen Missionswerken in Österreich zu. Sie sicherten damit 20 afrikanischen Diözesen im Kongo, in Uganda. Malawi und der Zentralafrikanischen Republik den Lebensunterhalt. Sie sorgten für die Heranbildung afrikanischer Priester und Katechis'en. Sie finanzierten zahllose große und kleine Projekte in jener Welt, die wir die Dritte nennen. 850 Österreicher sind unter jenen Missionaren, die noch immer und noch viele Jahre lang unentbehrlich sind, wenn sie auch wissen, daß die Zukunft denen gehört, die sie ausgebildet haben.

Wie der Ubergang zur „einheimischen Kirche“ aussehen soll, das schildert ein Berufener auf dieser Seite: Emmanuel Milingo, der Erz-bischof von Lusaka.

Doch Mission ist keine Einbahnstraße — mit diesem Schlagwort wirbt seit einiger Zeit das Päpstliche Missionswerk. Es ist mehr als ein Schlagwort. Sprechen wir daher zu diesem Missionssonntag nicht vom Geben, sprechen wjr vom Nehmen. Das Senfkorn, das die Missionare der „Alten Welt“ ausgesät haben, wird Frucht bringen. Wird unsere Theologie, unsere Religion, wohl auch unser Leben beeinflussen. Es wird es befruchten. Es wird uns wieder missionieren, unsere materialistische Gesellschaft. Die „Dritte Kirche“ wird Probleme ganz automatisch lösen, die uns unüberbrückbar erscheinen. Sie wird Trennendes zwischen den Kirchen einfach aufheben, weil sie nicht aus der Kultur und Tradition gewachsen ist, in der die Schranken errichtet wurden. Die „Dritte Kirche“ wird unsere Kirche werden, denn ihre Missionare werden die Fehler nicht wiederholen, die unsere Botschafter Gottes einst gemacht haben.

Mission ist unentbehrlich — auch unseretwegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung