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Das siebte Grab an der Kremlmauer

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Michael Andrejewitsch Suslow, Moskauer Hohepriester der kommunistischen Heilslehre, ist tot. Sein Ableben kam zu einem Zeitpunkt, da die Lage für die rote Machtzentrale alles andere als rosig aussieht: Polenkrise und der „Glaubensstreit" mit der KPI machen ihr schwer zu schaffen.

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Michael Andrejewitsch Suslow, Moskauer Hohepriester der kommunistischen Heilslehre, ist tot. Sein Ableben kam zu einem Zeitpunkt, da die Lage für die rote Machtzentrale alles andere als rosig aussieht: Polenkrise und der „Glaubensstreit" mit der KPI machen ihr schwer zu schaffen.

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In einer monumentalen Totenfeier, der aufwendigsten seit Stalins Begräbnis im März 1953, wurde Suslow zu Grabe getragen. Als einer der wenigen in der Sowjetgeschichte fand er seine letzte Ruhestätte in der Erde hinter dem Leninmausoleum. Jenen, die neben ihm begraben liegen, hat Suslow in größter Hingebung gedient, deshalb kommt ihm diese besondere Ehre zu. Dort liegt Stalin begraben, seit dessen Leichnam aus dem Mausoleum des Staatsgründers verbannt worden war.

Suslow war Stalins willfähriges Vollzugsorgan in den Säuberungen der dreißiger Jahre, als der blutigste Krieg einer Staatsmacht gegen die eigenen Untertanen in Friedenszeiten geführt worden ist. Der spätere Chef ideologe und Oberzensor ist mitverantwortlich für Tausende von Morden und Verbannungen nach Sibirien.

Neben den Sowjetführern Kali-nin, Woroschilow, Swerdlow haben Schdanow und Dserschinski ihr Grabmal unter den Silbertannen an der Kremlmauer. Mit letzterem teilt Suslow Zeit seines Lebens die absolute Unterwerfung an die Sache der Revolution, der kommunistischen Lehre.

Der Leningrader Parteichef wiederum hat der sogenannten „Schdanowschtschina" seinen Namen gegeben, die kulturellen Säuberungen nach dem Kieg gegen „Kosmopolitismus" und bourgeoisen Nationalismus, also Russifizierung im großen Stil und mit blutigen Opfern auf der Strecke — wiederum unter aktiver Mitarbeit Suslows.

In diesem Sinne unterdrückt Suslow später alles, was an geistigen Schöpfungen im Reiche nicht in das Konzept paßt, und trimmt die Kultur auf graue Mittelmäßigkeit. Er verbietet — um nur das augenfälligste Beispiel zu nennen — die Drucklegung von „Dr. Schi-wago" (wie sich der von Suslow selbst der Zensur unterworfene Chruschtschow später erinnert) und schickt den Autor in die Wüste: Nobelpreisträger ohne Nobelpreis Boris Pasternak.

Wenn Molotow für Jahrzehnte das Bild des sowjetischen politischen Unterhändlers nach außen geprägt hat, dann steht Suslow als das Idealbild des Parteiapparat-schiks an der ideologischen Front: unnahbar, hinterhältig, mächtig, grausam, asketisch.

Suslows Leben ist von der Uberzeugung getragen, daß die schwerste Sünde eines Kommunisten in der Abkehr von der Loyalität zur Sowjetpartei und von der Heilslehre besteht. Ein moralisches und gesetzliches Verbrechen, weit schwerer wiegend als Mord und Totschlag.

Diese Wertung greift auch in den äußeren Bereich der imperialen Macht über. Suslow gelingt 1948 der Ausschluß Titos aus der Kominform, auf seine Initiative wird der ungarische Aufstand niedergewalzt, erstirbt der Prager Frühling.

Ironischerweise fällt es Suslow in den letzten Lebensjahren schwerer, mit Gewalt durchzudrücken, was durch Uberzeugung Platz greifen soll. Im Innern läßt sich die Jugend nicht mehr so willenlos in die ideologische Form pressen, diese ist von der Wucht der ideologischen Erziehung und Propaganda nicht immer begeistert.

In Polen will Suslow nicht mehr mit einem Handstreich gelingen, was in anderen sogenannten Bruderstaaten eingetreten ist. Doch er warnt nach dem Aprilbesuch bei Polens Kania: „Jede Abkehr von der revolutionären Lehre bringt fatale Konsequenzen."

Drohung ist immer noch der Sowjets beste Prophylaxe.

Kommunismus mit menschlichem Gesicht, Reformismus, Liberalismus — schmutzige Worte, schwerste Vergehen für einen Kommunisten in und außerhalb der Sowjetgrenzen. Die Uberzeugung ist bis zur persönlichen Brüskierung gereift: Suslow verweigert dem jugoslawischen Botschafter den Handschlag, wie er Berlinguer auf dem XV. Parteitag (1976) den Gruß verwehrt. Eurokommunismus ist Suslows Alptraum in den letzten Jahren.

Die meisten westeuropäischen kommunistischen Parteien haben aufgehört, Vorhut der KPdSU im kapitalistischen Lager zu sein. Auch Jugoslawien verlangt die eigenen Wege zum Sozialismus, wie sie auf dem XX. Parteitag verbrief, aber niemals gewährt worden sind. An Suslows starrer Haltung bircht das Bündnis mit Mao: eigene Wege und demokratische Spielregeln nur als taktischer Schachzug, der übergreifenden Strategie von weltweiter Ausbreitung dienlich.

Ein Suslow kann niemals billigen, daß die Loslösung von der Mutterpartei faktisch vollzogen wird — auch wenn dies der einzige Weg etwa für die KPI ist, die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten umzuformen.

Suslow ist tot, nicht aber sein Lebenselement, schon gar nicht im Kreise der Sowjetführer, denen nur der Tod die Regierungsgeschäfte entwinden kann. Er stand niemals allein. Angesichts der Polenkrise, von Eurokommunismus und westlichem Einfluß auf die sowjetische Jugend ist an Lockerung der ideologischen Zügel nicht zu denken. Wer immer den Platz Suslows einnimmt, ohne dessen Macht zu besitzen, am Dogma wird nicht gerüttelt — auch nicht gegen besseres Wissen.

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