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Digital In Arbeit

Das Signal von Rio

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In der Theorie nimmt sich die Sache ganz einfach aus: Ökonomische und ökologische Ziele müssen einander nicht widersprechen. Warum setzt sich diese Erkenntnis in der Praxis nicht durch?

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In der Theorie nimmt sich die Sache ganz einfach aus: Ökonomische und ökologische Ziele müssen einander nicht widersprechen. Warum setzt sich diese Erkenntnis in der Praxis nicht durch?

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Ökonomische Entscheidungen fallen dann ökologisch verträglich, wenn sie die richtigen Rahmendaten in ihre Kalkulationen einbeziehen (müssen). Umweltverbrauch muß im Preis- und Kostenkalkül der Wirtschaft voll berücksichtigt („internali-siert") werden. Das Wesen der Wirtschaft, über knappe Ressourcen rational zu disponieren, ist ihre Stärke, auch in der Umweltpolitik.

Vollständig durchgesetzt haben sich diese Erkenntnisse in der öffentlichen Meinung noch nicht. Die wird noch immer zum Teil von Vorurteilen gemacht. Etwa, daß Wirtschaftswachstum auf jeden Fall umweltschädlich ist. Unsinn! Es ist zu fragen, welches Wachstum? Wie es arbeitssparenden wirtschaftlichen Fortschritt gab und gibt - und die entsprechenden Technologien und Verhaltensweisen - so gibt es auch arbeitsbrauchenden Fortschritt: dann, wenn Arbeit als Wert und weniger als Leid gesehen wird. Ebenso gab und gibt es zweifellos umwelt(ver)brau-chende wirtschaftliche Entwicklung.

Aber es ist auch umweltschonender Fortschritt denkbar und möglich, durchaus auch im Rahmen der Marktmechanismen; sobald eben die Erhaltung der Umwelt von der Wirtschaft, letztlich von den Konsumenten, höher bewertet wird als ihr Verbrauch.

Widersprüche treten erst auf, wenn ökonomische oder ökologische Ansprüche verabsolutiert werden: wenn die Ökonomie ohne Rücksicht auf die Umwelt wirtschaftet, aber auch, wenn Umwelt ohne Blick auf die ökonomischen Kosten konserviert werden soll.

Das ist implizit der Fall, wenn man das Volk pharisäisch befragt: „Wollt Ihr in der Stopfenreuter Au, einem der letzten Naturparadiese Mitteleuropas, einen Nationalpark und ein kostbares Erbe für künftige Generationen, oder wollt Ihr dort eine Beton-Staumauer?" Statt richtigerweise: „Wollt Ihr dort einen Nationalpark, den Ihr mit einer Erhöhung der Stromtarife um x Groschen werdet bezahlen müssen?"

Pharisäische Befragung

Immerhin waren grundlegende Positionen der Wissenschaft, nämlich der Ökonomen und der Ökologen, vor der Gipfelkonferenz in Rio de Janeiro noch nie so einhellig: Umweltschäden sind nicht einseitig eine Konsequenz von Wohlstand, sie sind mindestens ebensosehr, jedoch in anderer Form, auch eine Begleiterscheinung von wirtschaftlicher Unterentwicklung. Armut und Umweltschädigungen können weitgehend parallel mit den gleichen Instrumenten bekämpft werden.

Wohlstand kann zumindest mit sehr unterschiedlichen Graden von Umweltverbrauch erreicht werden. Umweltschäden sind nicht zwangsläufig eine Folge privaten Profitstrebens. Sie sind im Gegenteil in jenen Ländern in der Regel größer, in denen die Wirtschaft verstaatlicht ist. Anspruchsvolle Umweltstandards können die wirtschaftliche Entwicklung fördern, nicht einmal nur auf lange Sicht. Zu den wirkungsvollsten Mechanismen, den Umweltverbrauch zu reduzieren oder die Umwelt zu verbessern, zählt der ökonomische Preismechanismus. Demgegenüber haben staatliche Regulierungen vielfach erhebliche Nachteile an Effizienz und Effektivität.

So weit, so harmonisch. Warum dann keine Eintracht auf dem Gipfel in Brasilien? Warum unverbindiche Erklärungen und zu viele schöne Worte? Warum nach wie vor erbitterte Auseinandersetzungen zwischen „der Wirtschaft" und „den Ökologen"? Warum titelt heute die Financial Times „Green fashion dulls edge of German Chemical industry" („Die grüne Mode kostet die deutsche Chemie ihre Kraft")?

Harmonie von Ökonomie und Ökologie setzt voraus, daß sich die herkömmlichen Preis- und Kostenstrukturen - teilweise drastisch -verschieben. Umweltbelastung muß kosten, Umweltschonung muß wirtschaftliche, nicht nur ideelle Erträge versprechen. Fundamentale Veränderungen der Preisstrukturen sind immer auch Verschiebungen von Einkommensstrukturen: zwischen Individuen, zwischen Unternehmen, zwischen Branchen, zwischen sozialen Schichten, zwischen Volkswirtschaften, global. Einkommensumverteilung bringt dem einen das, was es den anderen kostet. Kurzfristig ist das häufig ein Null-Summen-Spiel, längerfristig nicht.

Dem Betroffenen erscheint es aussichtsreicher, sich gegen Verschiebungen zu wehren, als das neue Preissystem innovativ und gewinnbringend zu nutzen. Für manche erscheint es kaum möglich, sich anzupassen, sie müssen ihre wirtschaftliche Basis aufgeben. Die Vertreter bestehender, etablierter Interessen sind in der politischen Landschaft in der Regel stärker als die Vertreter künftiger Interessen (= Preisstrukturen). Diese treten zudem oft mit absoluten Ansprüchen auf und können leicht ins Out verwiesen werden.

Und außerdem tritt in einer solchen Situation leicht das Phänomen des Trittbrettfahrens auf: auch der hat Vorteile von den Bemühungen der anderen, der dazu nicht beitragen will. Daher war in Brasilien wie auf ähnlichen Anlässen das Spiel „Jokele, geh Du voran" so beliebt.

Ist daher Pessimismus angebracht? Ich vermag nicht zu sagen, wie lange der Umbau der weltweiten Preissysteme brauchen darf. Mir scheint aber, daß selbst ohne greifbaren Erfolg die Signale, die von Rio kamen, der Politik, Wirtschaft und Bevölkerung eine klare Richtung in die Zukunft weisen.

Der Autor ist Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO).

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