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Das SPD-Canossa

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Auf einem Sanderparteitag im Bürgerbräukeller, wo vor Jahren anläßlich einer Griechenlanddebatte die ersten Keime für jenen Streit gelegt wurden, der zur großen Niederlage bei den kürzlichen Landtags- waMen führte, hat sich die Münchner SPD in ihrer großen Mehrheit um einen neuen Anfang bemüht. Das Sogenannte „Friedenspapier“, in dem die übergeordneten Parteigremien dem Münchner Unterbezirk de facto einen umfangreichen Wohlverhal- tens-Katalog zudiktiert hatten, wurde -mit 191 gegen 103 Stimmen „züstimmend zur Kenntnis genommen“ und ein Dringlichkeitsantrag der Jusos, der in einer Art Präambel die kritischen Punkte ausdrücklich entschärfen wollte, mit einem ähnlichen Mehr von 187 Stimmen abgelehnt. Der Schock vom 27. Oktober, wo 12 von 13 Arbeitervierteln in München plötzlich CSU wählten und die von Eigenheimen geprägten Wohngegenden geschlossen gegen sozialistische Enteignungsthesen protestierten, hat die SPD zu Reaktionen genötigt, die ihr noch vor einem Monat keiner zugefcraut hätte: sie geht den Weg nach Ganossa.

Vorerst für Sack und Asche entschlossen haben sich etwa 130 Delegierte einschließlich fast aller profilierten Vorstandsmitglieder. Sie, die früher als Mitte-Links-Block unentwegt die Positionen der Ultras in wesentlichen Teilen stützten, haben nun einer Vorlage zugestimmt, die in ihrer Hauptsache besagt: „Die Münchner SPD muß ln den Inhalten ihrer politischen Aussage und im Er- scheinungsbüd klarstellen, daß sie unverkennbar auf der Grundlage des Godesberger Programms arbeitet, sich als Volkspartei, zur Vertretung der Interessen breiter Bevölkerungsschichten und nicht als Klassenpartei versteht, das private Eigentum an

Grund und Boden in Übereinstimmung mit dem Godesberger Programm und den Hannoveraner Parteitagsabschlüssen bejaht und insbesondere das Eigentum an Eigenheimen und Eigentumswohnungen ohne jede Einschränkung schützt und achtet.“ Darüber hinaus muß sie zeigen, daß sie „sozialdemokratische Anliegen auch in öffentlichen Aktionen Vertritt“, aber gemäß Parted- ratsbeschluß vom 13. November 1970 keine wie immer geartete Aktionsgemeinschaft mit Kommunisten eingeht (weil zwischen der Sozialdemokratie und dem Kommunismus unüberbrückbare Gegensätze bestehen), gesellschaftliehe Konflikte lösen und nicht zum Zwecke der Mobilisierung vertiefen will; eine bürgemahe Arbeit betreibt, um die Bürger für sozialdemokratische Reformen zu gewinnen, nicht aber um sie gegen die eigene Partei und die von dieser getragene Regierung oder Stadtverwaltung zu mobilisieren; sich gegen jeden wendet, der die parlamentarische Demokratie in Frage stellt oder den Staat als Werkzeug des Kapitalismus diffamiert.

Die Annahme dieser Thesen und Bedingungen kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie bei den meisten — trotz einiger Vorbehaltsklauseln des Vorstands — wider Willen, gegen besseres Wissen und in einer Zwangssituation zustande gekommen Ist.

Diese Pressionen und der wachsende Unmut in anderen bayrischen Parteiorganisationen über die Münchner Querelen haben ihre Wirkung getan. Aber den entscheidenden Ausschlag gäbe® jene Überlegungen, die Farteichef Schöfberger an diesem Abend mit langer Diskussion am drastischesten ausmalte: Wenn die Partei nicht schleunigst ihr Erscheinungsbild ändert, dann gehen nicht nur die nächsten Bundestagswahlen, sondern auch die nächsten Stadtratswahlen verloren, womit dann für manche Delegierte eine existentielle Gefährdung verbunden wäre. Die Abstimmung war somit — wie es Pressesprecher Ude formulierte — „nicht Ausdruck unseres politischen Willens, sondern Ausdruck unseres politische»! Müs- sens“. Und da dieses „Muß“ bleibt, bestehen zumindest gewisse Chancen, daß sich die vom Landesvorsitzenden Vogel ultimativ geforderte und von seinem Stellvertreter Ga- bert vorbildlich praktizierte „Politik der Vernunft“ in der Münchner Sozialdemokratie wieder stärker durchsetzt. Für den harten Kern von 100 Delegierten bedeutet dies dann allerdings Resignation oder — was wahrscheinlicher ist — Kampf mit anderen Mitteln. Der Konflikt geht somit unter anderen Vorzeichen und wahrscheinlich etwas gedämpfter weiter.

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