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Das Spiel von Christi Geburt

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Viele alte Gebräuche, sind bereits in Vergessenheit geraten. Umso erfreulicher, daß in dem kleinen Ort Oberufer in der Slowakei noch ein Weihnachtsspiel stattfindet.

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Viele alte Gebräuche, sind bereits in Vergessenheit geraten. Umso erfreulicher, daß in dem kleinen Ort Oberufer in der Slowakei noch ein Weihnachtsspiel stattfindet.

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Iin Oberufer - heute ein Randbezirk von Bratislava mit dem slowakischen Namen Prievoz setzt man bis heute die Tradition der Ober-uferer Weihnachts- und Passionsspiele fort und behält sogar die mittelalterliche Spielweise bei. Ein Denkmal alter dramatischer Volksdichtung, die in einer Reinheit und Vollständigkeit erhalten ist, wie man sie nur äußerst selten findet.

Die Art der Darstellung, die von gelehrtem Einfluß unberührte Einfalt der Sprache, die nur an die geistlichen und weltlichen Lieder des Mittelalters, sowie teilweise an Hans Sachs erinnert, schließlich die Tatsache, daß die ursprüngliche Darstellungsweise in Oberufer (Prievoz) fast unverändert erhalten blieb, bilden den unermeßlichen Wert dieses seltenen Kulturdenkmales.

Der Germanist Karl Julius Schröer, geboren 1825 in Preß bürg, gestorben 1900 in Wien, war 1852 bis 1861 Professor an der Oberrealschule in Preßburg. Er war es, der die Weihnachtsspiele der Oberuferer Bauern um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wiederentdeckte und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sie lenkte. Er wohnte 1853 einer Aufführung der Spiele bei und befaßte sich dann in seinem 1858 erschienenen und längst vergriffenen Werk eingehend damit.

Schröer stellte außerdem fest, daß die Bauern von Oberufer Nachkommen jener „Exulanten” sind, die um 1620 bis 1630 aus Österreich einwanderten. (Die „Exulanten” waren, besonders dann im 17. Jahrhundert, Verbannte beziehungsweise aus den habsburgischen Ländern um ihres Glaubens willen Vertriebene.) Zu jener Zeit wanderten ganze Gemeinden aus Österreich aus, die sich in Preßburg und seiner nächsten Umgebung sowie in mehreren Orten jenseits der Donau, auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes und entlang der heutigen ungarischen Grenze niederließen.

Schröer war es auch, der feststellte, daß der Text der Oberuferer Weihnachtsspiele mit den Spielen von Hans Sachs viel Ähnlichkeit habe, da sie in Form und Charakter mit den Versen Hans Sachs' genau übereinstimmen. Die Oberuferer Weihnachtsspiele dürften aber erst nach Hans Sachs geschaffen worden sein, wobei einzelne Stellen aus Hans Sachs wörtlich übernommen wurden. In der dramatischen Ausbildung der Handlung übertrifft aber das Oberuferer Spiel bei weitem Hans Sachs, der Volksgeist hat es zur Tragödie vertieft.

Vom ersten Adventsonntag bis zum Dreikönigstag finden jeden Sonn- und Feiertag Aufführungen statt. Das Spiel besteht aus dem „Christigeburtspiel”, dem „Spiel vom Sündenfall” (auch „Paradeisspiel” genannt) und dem Fastnachtsspiel „Schuster und Schneider”. Die meisten Weisen der Spiele sind noch in Gesangbüchern des 17. Jahrhunderts aufzufinden und reichen oft bis ins tiefe Mittelalter zurück. Den Originaltext der übernommenen Lieder, der oft lateinisch ist, hat man den Spielen entsprechend variiert oder einen neuen Text hiezu geschaffen.

Die vererbte Spiellust

Die Original-Texthefte der in Preßburg gespielten Oberuferer Weihnachtsspiele befanden sich noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Besitz der Familie Wiebauer in Preßburg, heute im Städtischen Museum von Bratislava. Die geistlichen Spiele haben sich in Oberufer von Vater auf Sohn, von Sohn auf die Kinder jahrhundertelang vererbt. Wenn im Herbst die Arbeit in Haus und Feld zu Ende war, trat die sogenannte „Singschul” unter Leitung eines Lehrmeisters zusammen, Burschen wurden gewählt, und man begann anfangs Oktober mit dem Einstudieren. Die „Singschul” bestand ausschließlich aus Männern und Jünglingen, die, wie es auch im Mittelalter der Brauch war, auch die Frauenrollen darstellten.

Das eigentliche Weihnachtsspiel ist das „Christigeburtspiel”. Die Hauptdarsteller sind Maria und Joseph, die drei Hirten Gallus, Stiehl und Witok, die drei Könige aus dem Morgenland Melchior, Walthauser und Kaspar. Der Text des Spiels hält sich streng an die Bibel. Im ganzen

Stück wird kaum gesprochen. Der Engel und Maria singen nach einer kirchlichen Weise. Interessant ist, daß die Darsteller nie stehend rezitieren, sondern dabei auf- und abgehen, und zwar drei Schritte nach vorne und drei zurück, und das immer im Takt des Verses. Beim vierten Takt dreht sich der Spieler um. Sooft Joseph einen Satz beendet, hustet er, auch das ist Tradition.

Auch die Szenierung ist originell. Früher wurden die Spiele in der Mitte des Zuschauerraumes, ohne Bühne und Dekoration aufgeführt. Das Publikum saß im Kreis um die Spieler, nur eine Seite blieb zum Eintreten und Abgehen frei. Später wurden die Spiele - wegen zu großen Andranges - auf eine Bühne verdrängt.

Ein kurioser, jedoch in der Neuzeit abgekommener Brauch: Zwischen den deutschen Gemeinden der Umgebung Preßburgs war ein Übereinkommen getroffen, daß eine fremde Spielgesellschaft nur dort spielen dürfe, wo die Einheimischen das Spiel nicht einstudiert und noch nie aufgeführt hatten. Die Frage danach wurde aber in poetischer Weise gelöst, nämlich durch Rätselfragen, eine uralte Sitte, die schon in mythischen Zeiten vorkommt. Wenn nun eine fremde Spielergesellschaft an einen Ort kam, wo man gerüstet war und die Spiele eingeübt hatte, trat der heimische Hauptmann des Hero-des dem fremden Hauptmann gegenüber und hatte das Recht zu fragen. Natürlich konnte der Fremde die Rätsel nicht lösen. Da antwortete der Einheimische selbst, und der Fremde mußte mit seiner Gesellschaft geduldig stillstehen, bis sein Gegner alle Fragen beantwortet hatte. Worauf er tief beschämt und reich belehrt mit den Seinen abzog, indes die Einheimischen triumphierend ihrem „Hauptmann des flerodes” zujubelten.

Der Auszug der Darsteller

Vor der ersten Vorstellung des Jahres findet - ähnlich, wie es im Mittelalter und später bei den Aufführungen der Meistersinger üblich war - stets ein „Auszug” der Darsteller statt. Sämtliche Darsteller versammeln sich in der „Singschul”, wo sie das Spiel einstudiert haben, und ziehen in geschlossenem Zug zum Spielort. Voran der Teufel, zum Schluß der Hauptmann des Herodes, der den Baum der Erkenntnis - einen Wacholderbaum mit bunten Bändern und Äpfeln geschmückt -trägt. Dieser Baum bildet die Verbindung zwischen dem „Christigeburtspiel” und dem „Spiel vom Sünden-fall”, das sich an ersteres anschließt.

Zuletzt folgt das „Hirtenspiel”. Der Reihe nach kommen die Hirten Gallus, Stiehl und Witok, die sich über die schweren Zeiten beklagen, über ihre Armut, und schließlich den Wunsch äußern, der angekündigte Messias möge recht bald kommen. Sie beschließen, sich niederzulegen und etwas zu schlafen.

Genau, wie in der Bibel beschrieben, erscheint ihnen der Engel im Traume. Er schreitet feierlich über die Rücken der Hirten, wobei die sich mit keinem Atemzug verraten dürfen, daß sie eine Schwere verspüren. Denn durch diese Szene soll vergegenwärtigt werden, daß der Engel ein überirdisches Wesen ist, das kein Gewicht hat. Der Engel bleibt schließlich vor den Hirten stehen und singt das ,Gloria, gloria in Excel-sis', dann befiehlt er ihnen, ,zum Kindlein, zum Kripplein, zum Jesulein' zu laufen.”

Die Oberuferer Weihnachtsspiele werden alljährlich auch in Wien, in einigen Orten Kärntens und in Deutschland aufgeführt.

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