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Das standestaatliche Prinzip - horizontal

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Die eben vom Parlament beschlossenen Gesetze über die Marktordnung lassen es angezeigt erscheinen, das Problem dessen, was man die Sozialpartnerschaft in Österreich nennt, wieder einmal zu überdenken. Gemeiniglich wird darunter die Kooperation aller Berufsstände zur gemeinsamen Lösung wirtschafts- und sozialpolitischer Aufgaben verstanden. Diese Definition bedarf aber einer Ergänzung.

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Die eben vom Parlament beschlossenen Gesetze über die Marktordnung lassen es angezeigt erscheinen, das Problem dessen, was man die Sozialpartnerschaft in Österreich nennt, wieder einmal zu überdenken. Gemeiniglich wird darunter die Kooperation aller Berufsstände zur gemeinsamen Lösung wirtschafts- und sozialpolitischer Aufgaben verstanden. Diese Definition bedarf aber einer Ergänzung.

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Zunächst umfaßt die auf freiwilliger Grundlage basierende Institution -i- auch dieser Ausdruck ist nicihit ganz korrekt, eben weil die gesetzliche Grundlage mangelt — nicht alle Berufsgruppen. Die freien Berufe sind trotz aller Bemühungen ihrer Kammern nach wie vor von einer Mitwirkung ausgeschlossen — eine höchst undemokratische Tatsache! — und das Exekutivorgan unserer österreichischen Sozialpartnerschaft, die Paritätische Kommission, hat sich im Laufe der Zeit zu einem Forum entwickelt, das die wirtschaftliche und zum Teil auch die innenpolitische Situation Österreichs stark beeinflußt. Es ist nicht uninteressant, in diesem Zusammenhang festzustellen, daß das ursprüngliche, von Julius Raab und Franz Olah entwik-kelte Konzept keineswegs so weitgehend gewesen ist. Die Paritätische Kommission wurde damals ausschließlich zur Behandlung von Lohn- und Preisfragen ins Leben gerufen und außerdem gehörten ihr als stimmberechtigte Mitglieder auch der Bundeskanzler und die mit Wirt-' Schafts- und Sozialkompetenzen befaßten Bundesminister an. Letzteres änderte sich unter der Regierung Klaus, als die Regierungsmitglieder auf ihr „Stimmrecht“ in der Paritätischen Kommission verzichteten.

Österreich wurde und wird noch immer um dieses System der Sozialpartnerschaft vom Ausland beneidet. In einigen Staaten, so etwa in den Niederlanden, versuchte man ähnliches. Daß es nirgends zu einem wirklichen Erfolg führte, hat unterschiedliche Ursachen. Daß es in Österreich bisher funktioniert hat, kann daher als ein spezificum austriacum bezeichnet werden. Das Bemerkenswerteste an der österreichischen Sozialpartnerschaft oder, besser gesagt, die Grundlage für ihr Funktionieren war die höchst rühmenswerte Einsicht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, daß man — wie Johann Böhm, der erste Präsident des Gewerkschaftsbundes, einmal

sagte — in allen diesen Fragen auf demselben Ast sitze, den abzusägen eine große Dummheit wäre. Gewiß waren und sind die Gewichte innerhalb der Paritätischen Kommission nicht unbedingt gleich verteilt. Die Parität ist manchmal nur eine äußere Form, die durch legitime gewerkschaftliche Kampfmittel oder zumindest durch ihre Androhung ebenso Einbuße erleiden muß wie durch den Mangel von Sanktionen gegen wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Preiserhöhungen.

Die Sozialpartnerschaft in ihrer österreichischen Form hat trotz der Freiwilligkeit ihrer Institutionalisierung und ihrer Aktivitäten allerdings auch eine gesetzliche, ja sogar verfassungsgesetzliche Voraus-

setzung in der Schaffung der Kammern mit einer gesetzlich fundierten Zwangsmitgliedschaft. Dieser Umstand, der in anderen Staaten nicht gegeben ist, ist vielleicht auch einer der Gründe für das oben Gesagte, daß das österreichische System keine ausländischen Nachahmungen finden konnte. In Österreich muß jeder Berufstätige Mitglied seiner zuständigen Kammer sein. Diese Zwangsorganisierung der Österreicher, ursprünglich sehr in Frage gestellt, hat sich aber bewährt. Denn damit ist die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit und die Durchschlagskraft der beruflichen Interessensvertre-tungen gegeben. Ein Scherzwort nennt Österreich einen „Kammerstaat“. In Wirklichkeit ist es eine moderne Form des ständestaatlichen Prinzips, wobei die Berufsstände nicht wie in früheren Zeiten vertikal,sondern horizontal organisiert sind. Wir erinnern uns noch, daß man 1934 den Versuch einer ständestaatlichen Ordnung auf vertikaler Basis gemacht hat. Dies ist — von allen historischen und politischen Überlegungen abgesehen — wohl auch ein Grund des Scheiterns eines solchen Versuches gewesen. Nun aber stehen die beruflichen Gruppen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer wohlorganisiert einander gegenüber und können ihre unmittelbaren Berufsinteressen wirkungsvoll vertreten. Diese beruflichen Interessen erstrecken sich aber nicht nur auf Lohn- und Preisfragen, sondern umfassen natürlich den gesamten Bereich der ökonomischen Entwicklung. Das ist wohl auch eine Ursache dafür, daß heute die Paritätische Kommission einen weit über den ursprünglichen Bereich hinausreichenden Wirkungsgrad besitzt. Es gibt kaum irgendeine Frage der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die heute nicht in der Paritätischen Kommission und vor allem in ihren Ausschüssen behandelt würde. Was schließlich auch dazu führte, daß man diese Paritätische Komis-sion als „Nebenregierung“ bezeichnet, was ihre Vertreter nicht gerne hören. Trotzdem steckt ein Körnchen Wahrheit darin, wenn man bedenkt, daß heute auch solche Probleme, zu deren Lösung eine bundesgesetzliche Regelung durch den Nationalrat erforderlich ist, in der Paritätischen Kommission vorberaten werden. Gewiß kann die Paritätische Kommission keine diesbezüglichen Beschlüsse fassen; ebenso gewiß ist aber, daß das auf dieser Ebene Ausgehandelte zumindest die prinzipielle Grundlage nachfolgender parlamentarischer Beschlüsse darstellt. Es gibt auch keinen Grund, in dieser Tatsache eine Schmälerung unserer demokratischen Ordnung zu sehen; nicht nur die politischen Parteien sind die Träger der Demokratie, auch die Berufsstände sind es. Dazu kommt im Bereich der politischen Parteien auch noch, daß sich vor allem nichtsozialistische Parteien heute vielfach berufsständisch organisieren, wie etwa die Österreichische Volkspartei oder die drei bürgerlichen schwedischen Parteien. Damit entsprechen diese Parteien aber auch der herrschenden gesellschaftspolitischen Entwicklung und nicht zuletet der Tatsache, daß heute die Innenpolitik jedes demokratischen Staates weitgehend von Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik beherrscht wird. Anderseits nehmen die politischen Parteien auf die Zusammensetzung der Berufskammern einen starken Einfluß, indem die Wahllisten in den Kammern in der Regel nach parteipolitischen Gesichtspunkten organisiert sind. Darin spiegelt sich ein Zusammenspiel der Kräfte eines Landes, und solange dieses funktioniert, wird auch das System der Sozialpartnerschaft funktionieren.

Gerade in dieser Hinsicht ist noch eine Bemerkung zu machen: Die für jede Demokratie notwendige Wechselwirkung zwischen Regierungsund Oppositionsparteien hat, wie das österreichische Beispiel deutlich zeigt, insofern ihre besondere Bedeutung, als die WirkungSimöglich-keit von Oppositionsparteien gegenüber den Regierungsparteien dann eine verstärkte ist, wenn der politische Einfluß der Oppositionsparteien in einer oder mehreren Berufskammern dominiert. In Österreich wird die Parität von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ergänzt durch die politische Parität der beiden Großparteien auf der Ebene der Kammern und des Gewerkschaftsbundes. Die Einflußnahme der Österreichischen Volkspartei als Opposition auf das öffentliche Geschehen erfährt durch ihre Dominanz in der Bundeswirtschaftskammer und in den Land-wirtschaftskammern solange eine Verstärkung, als die Regierungspartei bereit ist, nach den Grundsätzen unserer Sozialpartnerschaft die Interessen derjenigen Berufsgruppen zu respektieren, in denen sie nur eine kleine Minderheit darstellt.

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