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Das steinerne Testament des Buddhismus auf Java wird gerettet

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Reiseprospekte nennen Borobodur „eines der größten, gewaltigsten alten Bauwerke Südostasiens”. Wer sich darunter etwas Kolossales wie die Shwe-Dagon-Pagode in Rangun oder die Tempelanlage von Angkor in Kambodscha vorstellt, wird enttäuscht sein. Der Tempel von Borobodur in Zentraljava ist vergeistigte Architektur, er wirkt aus der Feme unscheinbar. Trotz seiner Hügellage eignet er sich wenig als Hintergrund für Renommierphotos. Erst wenn man die hohen Stufen zu den sieben Terrassen erklimmt, offenbart sich die geniale Konzeption und die großartige Kunst Bor- obodurs. Die vier unteren Terrassen sind quadratisch angelegt. Mehr als tausend Reliefs schildern die Schicksale des Buddha, seine Menschwerdung, seine irdischen Verstrickungen und seinen Weg zur Erleuchtung.

Diese grau-braunen Reliefflächen, die Menschen, Pflanzen, Tiere, Geräte überaus anschaulich darstellen, sind eine künstlerische Glanzleistung für sich. Den buddhistischen Pilgern wurden hier die Freuden und Verfehlungen des Lebens, die Strafen und Belohnungen für schlechtes und gutes Tun vor Augen geführt. Die drei oberen Rundterrassen hingegen führen in eine abstrakte Welt, hier symbolisieren glok- kenförmige Stupas die geistige Vollendung des Menschen, seine Nichtigkeit, die absolute Ruhe, die Erlösung. Die abschließende Hauptstupa bedeutet Nirwana. Vom Zwang der Wiedergeburt befreit, erreicht der Mensch die letzte Stufe, das Nichtmehr sein.

Ein „Testament in Stein” und „eine einzigartige Umwandlung religiöser Ideen in Architektur” hat man Borobodur genannt. Der Name Borobodur heißt in Sanskrit soviel wie „Kloster des Buddha auf den Höhen”. Uber die Erbauer des Tempels ist wenig bekannt. Höchstwahrscheinlich entstand er im 8. Jahrhundert nach Christus, zur Zeit der Sailendra-Dynastie und im Wettbewerb mit den hinduistischen Mataram, die sechzig Kilometer von Borobodur entfernt die imposante Tempelanlage in Prambanan errichteten. Sowohl Buddhismus wie Hinduismus kamen aus Indien nach Java und wurden später vom Islam verdrängt.

Jahrhundertelang war der Tempel verschüttet, von Lava bedeckt und vom Urwald überwuchert. War Borobodur von den Sailendras nach einem Krieg mit den Nachbarn oder nach einer Naturkatastrophe aufgegeben worden? Hatten glaubenstreue Buddhisten, als der Islam auf Java vordrang, die Tempelanlage mit Erde überhäuft? Die Gelehrten haben auf diese Fragen noch keine stichhaltige Antwort gefunden. Nach wie vor wird über die Entstehung und Bedeutung Borobodurs viel spekuliert. Erst im Jahre 1835 wurde der Tempel wiederentdeckt. Mehr als die holländische Kolonialmacht, haben sich die Engländer um die Restaurierung Borobodurs verdient gemacht.

Dieses erhabene Zeugnis javanischer Hochkultur ist in unserer Zeit vom Verfall bedroht. Schon 1959 kamen aus Indonesien alarmierende Nachrichten. Durch Erdbeben und Wassereinwirkung sind die Fundamente brüchig geworden. Das Wasser verwandelt den Erdkern der Anlage in Schlamm und sprengt die steinerne Schale der Wände. An den Reliefs und Stupas nagt der Steinkrebs. Figuren, die vor zwanzig Jahren noch unversehrt waren, nehmen sich auf vergleichenden Photos heute pockennarbig aus.

Die Fachleute kamen zu dem Schluß: um Borobodur vor dem völligen Verfall zu retten, muß der gesamte Tempel Stein um Stein abgetragen, muß vor allem das Fundament erneuert werden. Mit anderen Worten: rund 20.000 Kubikmeter Tempelsteine müssen sorgfältig gesammelt und bis zur Fertigstellung eines Betonfundaments und eines neuen Wasserabflußsystems aufbewahrt werd’en. Der Abbau und Wiederaufbau wird sechs bis acht Jahre dauern und mindestens 15 Millionen Dollar kosten.

Das Entwicklungsland Indonesien ist nicht in der Lage, die Kosten allein zu tragen. Djakarta hat sich deshalb an die UNESCO und an die Regierungen reicher Länder gewandt. 17 Staaten gaben Zusagen Jur eine Finanzhilfe in Höhe von 2,3 Millionen Dollar. Indonesien wird 2,75 Millionen Dollar beisteuern. Zuwendungen kamen auch von privater Seite. Doch es bleibt ungewiß, ob die UNESCO die restlichen Millionen zu zahlen vermag, zumal die effektiven Kosten wesentlich höher aus- fallen dürften als der Voranschlag.

Inzwischen sind die Rettungsarbeiten in vollem Gange. Nur ein Teil der Tempelanlage ist für Besucher zugänglich. Am Fuße des Tempels stapeln sich Quader und Relief platten. Hier wird fortgesetzt, was mit Hilfe der UNESCO und anderer Geldgeber an Orten wie Abu Simbel in Ägypten und an den Moldau-Klöstern Rumäniens verwirklicht worden ist: die Rettung eines Weltwunders, das zu den schönsten, vollkommensten Bauwerken der Menschheit gehört.

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