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Das stille Modell eines intensiveren Lebens

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Schon um der Einleitung willen müßte man dieses Buch lesen. Der Autor, selbst Angehöriger des Klösterreiches, bietet uns nicht nur einen prächtigen Bildband, der Kultur und Kunst der süddeutschen Klöster dokumentiert, sondern darüber hinaus schildert er das innere Reich und den geistigen Reichtum des Klosterlebens. Von der Tracht bis zum geistlichen Leben, von Lebensweise, Brauchtum bis zur Ordensregel sucht er dem Leser vorzustellen, was ein Klosterleben ausmächt. Die verschiedenen Wandlungen in der Geschichte, die dieses Leben erfahren hat, kommen zur Sprache, Mythisie-rung und Entmythologisierung, Romantisierung und Versachlichung, Hochzeiten und Niedergänge der Orden, in der sehr oft deftigen Sprache früherer Zeiten, die sich kein Blatt vor den Mund nimmt, auch nicht Vorgesetzten gegenüber; „die Mönche klagen, sie müßten stets fasten und beten, in der Kirche Tag und Nacht blärren und man gibt ihnen nicht gut zu fressen und zu trinken und das dennoch nicht genug; aber der Abt lebt in Mütlein, verzehrt für seine eigene Person so viel als der Convent“.

Auch die Moderne bekommt ihren Teil: „Doch kann ich nicht umhin, für Hie so revolutionären Tendenzen, die eine klösterliche Kommunität mit einer Basisgruppe gleichsetzen, auch jene mit Verantwortung zu belasten, die es verabsäumten, dem Wildwuchs des angeblich Charismatischen die Rückkehr zum Wesentlichen entgegenzuhalten ... Jedenfalls wäre das Pendel des angeblichen Fortschritts nicht so weit ausgeschlagen, wenn nicht auf der anderen Seite, am Ausgangspunkt also der Erneuerung unserer Tage, dem Vaticanum II, manch ein Abt oder Verantwortlicher ebendieses Pendel festgehalten hätte.“

Vieles, was in früheren Zeiten als Verweltlichung angeprangert wurde, was heute als Säkularisierung getadelt wird („man ging auch früher aus gegebenem Anlaß in Zivilkleidung aus dem Kloster auf die Straßen und schockiert demnach, wenn man es heute tut, weder sich selbst noch seine Umwelt“), wird aus dem Zusammenhang verständlich gemacht. Kreüzgang, Klausur, Schweigen, Gebet und Arbeit werden in ihrer Entwicklung erklärt und erhalten dadurch, aus der gesunden Tradition des „Neuen und Alten“, rechtes Verständnis und entgehen so der Gefahr, ins Irreale oder Idealistische abzugleiten. Indem der Autor seinen eigenen Weg ins Kloster schildert, „zu den Nutzlosen der Gesellschaft und ihrem Produktionsmechanismus Entzogenen“, setzt er sich mit dem Zeitgeist weltoffen und diszipliniert, ohne Scheuklappen, aber mit kritischer „Unterscheidung der Geister“ auseinander.

In der Beschreibung beschränkt er sich auf den süddeutschen Raum, erklärt viele architektonische Eigenheiten, künstlerische Symbole, Unterscheidungsmerkmale für Klöster und Orden, Titel und Klosternamen, historische Mißverständnisse um das abendländische Mönchtum werden ausgeräumt, antike Vorbilder des Mönchtums, frühes Mönchtum, Mittelalter und Neuzeit bis zur Gegenwart usw. Ein Anhang zählt „Stifte und Klöster in Bayern, Österreich und der Schweiz“ alphabetisch mit den dazugehörigen Daten auf.

Es ist ein wirkliches Vergnügen, dieses Buch zu lesen, man stimmt ihm nahezu vorbehaltlos zu, was bei so heiklen Themen selten der Fall ist; nicht nur das Wissen, auch der Geist erhält seine Nahrung. Und die prachtvollen Photos, „alte“ Stiche, Dokumentationen modernen Klosterlebens erfreuen das Auge. An Stelle weiterer Kommentare soll der Autor ausführlich zitiert werden: „Die vielen Veränderungen und Anpassungsvorgänge, in denen sich jeweils die Zeit als solche spiegelt, sind doch nur Zeichen für das Leben, die Lebendigkeit der Menschen im Kloster ... und stellt bis auf unsere Tage auf vielfache Weise seine Lebenskraft unter Beweis. Es wäre freilich bedauerlich, wollte man sie in die

Rolle lediglich des Konservierens verdrängen; es müßte zu einem Stillstand kommen, der aus Klöstern Museen werden ließe. Auf der anderen Seite aber sind die Klöster die Verbindung zu unser aller Vergangenheit und ist eine Kulturgeschichte Europas ohne eine Geschichte der Klöster nicht zu schreiben, gleichgültig, ob man sie als Institution bejaht, ablehnt oder gar bekämpft... Erneuerung demnach aus der Kontinu-tität? Ist das überhaupt möglich? Die Suche nach dem Wesentlichen kann nur zu den Quellen führen, auch wenn der Weg zu ihnen neu angelegt werden muß. Ist das Kloster eine heile Welt? Die Geschichte seiner Entwicklung vermag diesen Eindruck nicht zu unterstreichen. Denn selbst als eigene, geschlossene Welt steht das Kloster in unserer Welt, für die es ein Zeichen der Hoffnung sein mag: So wie das Wappen von Monte-cassino, der Baumstumpf und dessen Wappenspruch aussagen: succisa vi-rescit - selbst abgeschlagen wird er immer wieder grünen.“

KLOSTERREICH. DIE STIFTE UND KLOSTER IN BAYERN, OSTERREICH UND DER SCHWEIZ. Von Joachim Angerer, mit 146 Farbabbildungen von Gerhard Trumler, 49 Abbildungen im Text, 2 Karten, herausgegeben von Hans Schaumberger, Verlag Fritz Molden, Wien - München -Zürich- Innsbruck, 1. Auflage 1978, 288 S., öS 874,-.

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