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Das Strohfeuer

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„Die Exporterfolge beweisen die Richtigkeit der Regierumgspolitik.” Diese Standardphrase fehlt beinahe in keiner Enunziation von offizieller Seite. Tatsächlich nimmt sich die Expartstatistik für das abgeiaufene Jahr auf den ersten Blick imposant aus: Die österreichischen Ausfuhren sind in den ersten elf Monaten 1974 um nicht weniger als 32 Prozent auf 122,9 Milliarden Schilling gestiegen. Zwar waren die Importe gleichfalls stark expansiv, aber sie stiegen nur um 23 Prozent auf 155,5 Milliarden Schilling. Allerdings war deren Ausgangsposition eine höhere als die der Exporte, so daß in der Berichtszeit das Handelsbilanzpassivum nur um 1 Milliarde zurückging und 32,6 Milliarden Schilling ausmachte. Trotz den Exporterfolgen ist also das Außenhandelsdefizit weiterhin alarmierend hoch.

Das summarische Jahresresultat kaschiert aber das wenig erfreuliche Faktum, daß die Exportzuwachsraten im abgelaufenen Jahr in raschem Tempo geschrumpft sind. Im Jänner 1974 war der Export noch um 50 Prozent über dem Resultat des gleichen Monats 1973 gelegen, im November hingegen nur mehr um 18 Prozent. Der Trend nach unten ist unübersehbar.

Zweifellos waren 50 Prozent ein Extrawert, welcher auf die Dauer nicht gehalten weiden konnte, zweifellos sind auch 18 Prozent noch immer ein übemormaler Anstieg, mit dem wir eigentlich zufrieden sein könnten. Das Fatale ist nur die kontinuierlich sinkende Tendenz, welche auch weiterhin anzuhalten droht: Im November lag der Ordereingang in den meisten Branchen schon unter dem Niveau des gleichen Monats im vorhergegangenen Jahr. Auch alle übrigen Indikatoren lassen eine weitere Reduktion der Zuwachsraten erwarten, deren Ende noch gar nicht abzusehen ist. Ein Absinken unter das Vorjahresniveau liegt durchaus im Bereich der Möglichkeiten.

Die grandiosen Exporterfolge im Vorjahr erweisen sich also immer mehr als Strohfeuer, welches durch eine Kombination von Zufallsfaktoren entstanden ist und keineswegs eine strukturell gestärkte Position des österreichischen Außenhandels indiziert.

Eine Betrachtung der einzelnen Branchen zeigt die Tendenzumkehr, welche im Sommer oder im Herbst gerade bei den van der österreichischen Exportkonjunktur vorher besonders begünstigten Industrien eingetreten ist, noch akzentuierter. Dies ist beispielsweise sehr deutlich bei der Sägedndustrde, der Papiererzeu- gung sowie bei der Holz- und bei der Papierverarbeitung der Fall, weiters bei der Kunststoff-, Glas- sowie der Eisen- und Metallwarenindustrie und bei Untergruppen der übrigen Branchen.

Aus dieser Entwicklung resultieren bei Vielen Unternehmen Kapazitätsüberschüsse, welche bereits — glücklicherweise bisher nur vereinzelt — zu Kurzarbeit und Arbeitskräftefreistellungen geführt haben.

Uber die Gründe dieses außerordentlichen Expartbooms, welcher eigentlich bereits in eine Rezessionsphase der internationalen Konjunktur fiel, sind dil Meinungen stark divergent. Vorauszuschicken ist, daß die zunehmende Inflation die Erfolge größer erscheinen läßt als sie tatsächlich sind, weshalb von den angeführten nominellen Zahlen zirka 10 Prozent abgezogen werden.müssen. Was dann übrig bleibt, ist nicht mehr ganz so imposant, obwohl noch immer beachtlich.

Zweifellos hat zu den Erfolgen eine — trotz rezessiver Tendenzen eingetretene — Intensivierung des internationalen Warenaustausches beigetragen, was auf eine zunehmende Arbeitsteilung in globalen Dimensionen hinweist. Des weiteren machte sich zu Jahresanfang in diversen Staaten eine gewisse konjunkturelle Hektik bemerkbar, welche aber wegen der expansiven Defizite in Außenhandel und Staatsfinanzen nicht durchgehalten werden konnte. Außerdem herrschte bei Österreichs wichtigstem, Handelspartner, der Bundesrepublik Deutschland, zu Jahresanfang noch gute Konjunktur, von der die österreichischen Exporte gleichfalls profitierten, wogegen sie seit Herbst durch die nunmehr dort durchgeführten restriktiven Stabilisierungsmaßnahmen stark in Mitleidenschaft gezogen sind.

Zugute kam Österreich auch seine — konträr zu vielen anderen Industriestaaten — geringe Streikquote, was seiner Wirtschaft infolge eines anderweitigen Lieferausfalls zusätzliche Aufträge verschaffte. Darüber hinaus wurde überhaupt die österreichische Induetriestruktur durch die Konjunkturentwicklung — zumindest in der ersten Jahreshälfte — begünstigt. Die momentane Krisenbranche Nummer 1 — die Automo- bllinduistrie — ist in Österreich so gut wie nicht existent. Dagegen waren alle Holz be- und verarbeitenden Branchen bis zirka Jahresmitte noch Konjunktuirfavoriten. Gerade sie sind aber in Österreich stark vertreten.

Der Import hingegen stieg schwächer als der Export, was wegen der gigantischen Preishausse bei Erdöl und bei diversen anderen Rohmaterialien, die für die Quantitäten einen viel höheren Devisenaufwand notwendig machte, bemerkenswert war. Dies verdanken wir zum Teil auch der österreichischen Industriestruktur: Gerade daß wir keine Autoindustrie haben, kam uns sehr zugute, da die durch den „ölschock” in dieser Branche eingetretene Käuferzurückhaltung in Österreich kaum Arbeitsplätze gefährdete, sondern im Gegenteil die erfreuliche Wirkung einer Entlastung der Importbilanz hatte.

Weniger erfreulich ist, daß sich auch die Maschinenimporte negativ entwickelten, was eine Folge des Rückgangs der für die Konkurrenz- und damit Exportfähigkeit der Industrie so wichtigen Investitionskonjunktur ist. Dies ist teilweise auf die Kreditbremse zurückzuführen, teilweise auf die wirtschaftliche Unsicherheit, welche viele Firmen neue finanzielle Engagements scheuen läßt.

Gemeinsam ist den im Vorjahr günstigen Faktoren sowohl auf der Export- als auch auf der Importseite, daß sie nicht durch die inländische Wirtschaftspolitik planmäßig herbeigeführt wurden, sondern die Konsequenz aus hauptsächlich internationalen Entwicklungen waren. Die internen Abwebrkräfte gegen eine Tendenzumkehr sind daher eher unterentwickelt.

Sehr wahrscheinlich sind exportseitig in diesem Jahr empfindliche Rückschläge zu erwarten, während der Importbedarf — nicht zuletzt wegen des inländischen „Konsum- Stoßes” — weiterhin steigen dürfte. Wir müssen also mit einem sehr empfindlichen Anstieg des Außenhandelsdefizits rechnen, was uns nach den Nationalratswablen zweifellos unangenehme Austerity-Maß- nalhmen bescheren wird.

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