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Digital In Arbeit

Das Strudelteig-Prinzip

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Auch nach seinem großen Kongreß beschreitet der ÖGB in Sachen Vollbeschäftigungs- und Arbeitszeitpolitik ausgetretene Pfade—freilich solche, die eher im Kreis herum als zum Ziel führen dürften. Die angepeilte 35-Stun-den-Woche, so hörte man es wieder, könnte die Arbeit besser verteilen und die Beschäftigungslo-sigkeit wirksam bekämpfen.

Auch Fritz Verzetnitsch scheint also davon auszugehen, daß es in unserer Volkswirtschaft sozusagen einige fixe Größen gäbe, über die man mit kühnem staatlichem Zugriff disponieren kann.

Hier das benötigte Quantum an Arbeit, das aus dem Versorgungsbedarf der Bevölkerung resultiert. Da die Gesamtzahl der Arbeitswilligen. Dazu als drittes Datum das Nationalprodukt, aus dem die Löhne gespeist werden, und das man eben dann einfach auf mehr Arbeitende als vorher verteilt.

Folgen wir dem ÖGB-Präsiden-ten in seiner Argumentation weiter. Er geht also von globalen Daten aus und sieht die Summe volkswirtschaftlicher Arbeit als insgesamte Größe.

Das bedeutet, daß wir — nunmehr bezogen auf das Individuum — die Lebensarbeitszeit im Auge haben müssen. Sie bemißt ja das Quantum von Leistung, das der einzelne Erwerbstätige der Volkswirtschaft insgesamt zur Verfügung stellt. Daß diese Lebensarbeitszeit in den letzten Jahren aus mancherlei Gründen ohnedies kräftig reduziert wurde, ist bekannt.

Nun beginnt die Sache aber wirklich interessant zu werden. Beim selben OGB-Kongreß trat Sozialminister Alfred Daliinger auf, der in Sachen Wochenarbeitszeit mit dem ÖGB-Präsiden-ten absolut konform geht. Er teilte den Delegierten der Gewerkschaften mit, daß man in den kommenden Jahren mit einer Hinauf setzung des Pensionsalters rechnen müsse.

Was bedeutet dies? Verzetnitsch plädiert dafür, Vollbeschäftigung dadurch zu sichern, daß man die Erwerbszeit des einzelnen durch die 35-Stunden-Woche um etwa ein Achtel gegenüber dem bisherigen Stand herabsetzt. Dallinger will, daß man sie aus Gründen der Pensionssicherung gleichsam „nach hinten“ wieder verlängert.

Wir sind damit sozusagen-man verzeihe die spöttische Anmerkung — beim sozialpolitischen Strudalteigprinzip angelangt. Zwei gesellschaftspolitische Kö-

che bearbeiten ein und dasselbe Quantum eines Teiges, der in verdünnter Form ausgezogen werden soll.

Führen wir uns schließlich vor Augen, daß unser Pensionssystem auf dem sogenannten Umlageprinzip beruht. Alle Aktiven leisten einen Einkommensverzicht, um der alten Generation ein anständiges Auskommen zu sichern.

Will der Sozialminister also längere, das heißt mehr Arbeit, um die Pensionslast tragen zu können, geht er offenbar davon aus, daß mehr Arbeit mehr Einkommen verschafft, über welches dann im Sinne der sozialen Umverteilung verfügt werden kann.

Damit belegt er eigentlich — wahrscheinlich ungewollt — eine Binsenweisheit. Daß man nämlich Einkommen und Arbeit nicht trennen darf, weder in bezug auf den einzelnen als Wirtschaftssubjekt, noch in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung.

Wenn das nun so ist, kann allerdings die Forderung nach „vollem Lohnausgleich“ im Zusammenhang mit der sogenannten AZV (Arbeitszeitverkürzung) nicht stimmen. Denn dann müßte es ja auch eine Lebensarbeitszeitverkürzung durch Frühpensionierung „mit vollem Lohnausgleich“ geben — wenn es nämlich für die Wohlstandssituation aller, also auch der Pensionisten, belanglos wäre, wie die Lebensarbeitszeit von Herrn und Frau Österreicher aussieht.

„Darf s ein bisserl mehr sein?“ sagt das Angebot des Sozialpolitikers D. „DarFs ein bisserl weniger sein?“ lautet das Offert des Gewerkschafters V.

Ziehen wir einen vorläufigen Schluß: Das nun schon Jahre andauernde Geburtendefizit wird ä la longue den Anteil der Erwerbsfähigen an der Gesamtbevölkerung drastisch reduzieren. Damit wird zwangsläufig das zur Verfügung stehende Quantum an Arbeitsleistung in bezug auf den Lebensbedarf und die Versorgungsnotwendigkeiten der Bevölkerung erheblich reduziert.

Dies sieht Sozialminister Dallinger. Wollte er konsequent sein und aus dieser Erkenntnis die notwendigen Schlüsse ziehen, dann müßte er eigentlich dahin gelangen, daß die geringer werdende Zahl der Erwerbstätigen sich länger und mehr anstrengen muß, um die gesamte Bevölkerung zu erhalten. Daher also sein Hinaufsetzen des Pensionsalters.

Ein gleichzeitiges Herabsetzen des Arbeitsquantums durch kürzere Betriebszeiten pro Woche widerspricht dieser Erkenntnis diametral. Sie ist unter dem Gesichtspunkt der geschilderten Gesamtzusammenhänge sogar in gewissem Sinn als verantwortungslos anzusehen.

Zugegeben, dies ist nur sehr simplifizierend dargestellt. Aber man kommt uns ja auch mit recht simplen Argumenten für die 35-Stunden-Woche. In Wahrheit ist alles—worauf einmal der gemeinsame Parteivorsitzende der beiden genannten Herren hinwies — reichlich kompliziert. Weiteres und gründlicheres Nachdenken darf daher empfohlen werden.

Der Autor ist Sozialvenicherungsange-stellter und OVP-Abgeordneter tum Nationalst

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