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Das Superfest der Sowjetpropaganda

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E. Kabanow, Zentralsekretär des Vorbereitungskomitees „Olympiad-80", gab es unumwunden zu: „Es geht nicht nur um die simple Übertragung des olympischen Stabes ... Die noblen Ideale der olympischen Bewegung sind im vollen Einklang mit den Prinzipien der Außen- und Innenpolitik unserer kommunistischen Partei und der Sowjetregierung."

Noch deutlicher sprach es I. Nowi-kow, der Präsident des Organisationskomitees, aus, der erklärte, die Olympischen Sommerspiele würden eine nie wiederkehrende Gelegenheit darstellen, „die Vorzüge des sowjetischen sozialen und wirtschaftlichen Systems der Außenwelt vorzuführen". Moskaus Hintergedanken bei der Abwicklung dieser Sommerspiele sind also klar: Sie sollen zu einer beispiellosen Propagandaveranstaltung für das Sowjetregime werden.

In der sowjetischen Hauptstadt tut man derzeit noch so, als ob es keine größeren internationalen Komplikationen gebe und alles planmäßig und ungestört ablaufen würde. Dennoch ist natürlich eine gewisse Nervosität unverkennbar, hervorgerufen durch US-Präsident Carters Boykottinitiative. Ein Beispiel für diese Nervosität: Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS bezichtigte Carter, die Athleten als „politische Geiseln" mißbrauchen.zu wollen.

Vom sowjetischen Standpunkt aus ist durchaus verständlich, daß die Organisatoren der Moskauer Sommerolympiade versuchen, Gegendampf abzulassen und die westliche Initiative zu paralysieren. Russische Verlagshäuser bereiten derzeit nicht weniger als 350 Bücher und Broschüren vor, die sich alle mit den Moskauer Spielen beschäftigen. Bis Ende März 1980 sollen weitere 150 Titel folgen: eine wahre Flut propagandistischer Stimmungsmache. '..

Abgesehen, vom politisch-propagandistischen und ideologischen Ringen werden die letzten praktischen Vorbereitungen in Moskau energisch vorangetrieben. Die meisten Bauarbeiten wurden im Frühjahr 1977 angefangen, Dutzende waren bereits Ende 1979 fertig. Elf Projekte wurden sogar schon versuchsweise während der Probeolympiade, der „Spartakiade 1979", in Betrieb genommen und getestet.

Gegenwärtig werden überall die neuen technischen Einrichtungen montiert, Baubataillone der Armee, Tausende „Freiwillige" der Jugendmassenorganisation Komsomol und Spezialisten aus den verschiedensten Industriezweigen sind eingesetzt. Die Versorgungsbetriebe und Einrichtungen müssen bis Mitte Mai 1980 übergeben werden.

Zahlreiche kosmetische Operationen am Antlitz Moskaus sollen Potemkins modernste kommunistische Modellstadt hervorzaubern. Die hotwendige Koordinierung der Fachministerien, der Betriebe, der freiwilligen Arbeitsbrigaden und Agenturen geht natürlich nicht ohne Reibung und Verspätungen.

Während drei Wochen müssen voraussichtlich 300.000 ausländische Gäste - davon 150.000 in Moskau allein - untergebracht und verpflegt werden. Laut Vorkalkulation sind für ihre Versorgung 14.800 Handelsangestellte, 25.400 Personen in der Verpflegungsbranche, 18.700 Beschäftigte im Transportwesen, 12.300 im Gesundheitsdienst sowie 8700 Fremdenführer, Eisverkäufer und dergleichen notwendig.

Die berufsfremden Elemente werden in, Fachkursen vorbereitet. Höflichkeit, Leutseligkeit, Verständnis werden ihnen eingeimpft. Die mehr als 10.000 Ubersetzer werden als Propagandisten geschult, damit sie die Ausländer über ideologische und politische Themen unterrichten und beeinflussen können. Zu diesen Themen gehören:

• der Aufbau des Kommunismus in der Sowjetunion;

• die führende Rolle der KPdSU im Aufbau des Kommunismus;

• grundlegende Vorteile des sozialistischen Weltsystems;

• die Verfassung der UdSSR;

• Sowjetdemokratie-höchste Form der Demokratie;

• der Kampf des Sowjetlagers für Frieden, Demokratie und sozialistischen Fortschritt.

Die Organisatoren glauben, daß die Ausländer höchstens ein Drittel ihrer Zeit auf den Sportplätzen verbringen werden. Sie wollen die Sowjetunion mit eigenen Augen sehen und persönliche, direkte Erfahrungen sammeln. Natürlich können nicht alle Gelegenheitskontakte mit der einheimischen Bevölkerung ständig kontrolliert werden. Soweit möglich, sollen individuelfe Ausflüge, Besichtigungen und Einzelverbindungen unterbunden werden, dafür Gruppenbesuche in Museen, zu historischen Plätzen, exotischen Städten, in Konzerte und Theatervorstellungen attraktiv gestaltet werden.

Unter den gegebenen Umständen müssen noch mehr ideologische, polit-psychologische Warntafeln ausgestellt werden als geplant. Die Sowjetpresse muß während der Sommerspiele ständig zur „ideologischen Wachsamkeit" mahnen. Für das olympische Personal werden Spezialkurse abgehalten, auch die Sport- und Literaturzeitungen werden mobilisiert.

In der „Moskowskaja Prawda" hat der Erste Parteisekretär der Stadt bereits mehrere Warnschüsse abgefeuert. Die „politische Arbeit" wird schon jetzt in den Reihen der hauptstädtischen Arbeiterschaft intensiviert. Vom Ersten Parteisekretär Georgiens erfuhr man, daß dort gegen fremde „Olympiaspione" agitiert und psychologisch gerüstet wird. Besagter Genosse E. A. Shewardnadscha mobilisierte bereits im Juni 1979 die Parteiaktiven im Interesse erhöhter Wachsamkeit, um „ideologische Feinde", die politische Angriffe und ideologische Subversion im Schilde führen, bloßzustellen und unschädlich zu machen.

Organisationspräsident Nowikow leitete schon im September 1979, als von einem Boykott der Moskauer Olympiade noch keine Rede war, eine Propagandakampagne gegen vermutliche antikommunistische Organisationen ein, die seiner Ansicht nach eine weltumspannende Diffamierungsaktion inszenieren möchten oder wenigstens die Atmosphäre zu vergiften gedenken. Ihre Waffen seien „Lüge, Verleumdung und politische Provokationen".

Der höchstverantwortliche Organisator, S. P. Pawlow, beschuldigte schon vor dem Ausbruch der großen Krise „die reaktionären Kräfte in einer Anzahl von Ländern", daß sie die

Moskauer Olympiade torpedieren wollen. Er beschrieb sogar präzise diese sportfeindlichen Gruppen: „Zionisten, Rassisten, alle Arten von Emigranten, gewöhnliche Sowjetfeinde und zahlreiche konservative Politiker".

Ideologie, Parteiinteressen und Staatssicherheit rangieren in Moskau also vor allen anderen Fragen, sie sind wichtiger als die sportlichen Wettkämpfe. Welche verheerende Wirkung ein internationaler Boykott bedeuten würde, ist schon daraus ersichtlich, daß momentan Hunderttausende Menschen mit den Vorbereitungen beschäftigt sind. Denn die Parteiführung und die Sowjetregierung wollen ja nicht nur eine reiche Ernte an Gold- und Silbermedaillen einbringen, sondern dem Ausland ihre konsolidierte Macht und politische Stabilität vordemonstrieren.

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