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Das Unrecht schreit zum

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Mit einem Mahatma-Gandhi-Zitat („Die WeJt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nieht für jedermanns Gier“) begann der aus Österreich stammende Bischof von Xingu (Brasilien), Erwin Kräutler, kürzlich ein denkwürdiges Referat zum Thema „Entwicklung, was heißt das für uns?“

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Mit einem Mahatma-Gandhi-Zitat („Die WeJt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nieht für jedermanns Gier“) begann der aus Österreich stammende Bischof von Xingu (Brasilien), Erwin Kräutler, kürzlich ein denkwürdiges Referat zum Thema „Entwicklung, was heißt das für uns?“

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Die Parole „Hunger ist kein Schicksal, Hunger wird gemacht I“ ist TKnon sicherlich bekannt. Auf der Welt gibt es an und für sich genügend Nahrungsmittel, um die gesamte Bevölkerung ausreichend zu ernähren, „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse... “. Hunger und Fehlernährung sind nicht eine Mangelerscheinung, sondern die Folgen ungleicher Verteilung zwischen Ländern, Regionen und Einkommensgruppen.

Viele Länder der „Dritten Welt“ werden durch ihre Gläubiger gezwungen, ihre Landwirtschaft auf den Export hin auszurichten. Devisen werden benötigt, um Kredite oder zumindest die Zinsen zurückzahlen zu können. Dadurch entstehen nicht nur die fatalen Monokulturen, sondern die Bevölkerung verliert dabei ihre Anbauflächen, die zu ihrer eigenen Versorgung notwendig wären. Die Preise für die Exportgüter werden zudem von außen diktiert, sodaß immer mehr Land geopfert werden muß, um E innahmen zu erzielen, damit Kredite und Zinsen zurückgezahlt werden können.

Die Industrialisierung der Entwicklungsländer, wie sie jahrelang von außen verlangt und manipuliert wurde, ist keine Lösung, ja sie verschlechtert wegen des fehlenden Kapitals die Lage der breiten Bevölkerung, da die Schuldenlast ins Unerträgliche steigt. Der Ausweg ist die Förderung der Landwirtschaft für die Eigenversorgung und eine Industrialisierung in Form von überschaubaren Projekten, die zuerst den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung Rechnung tragen. Dazu müßten auch gerechte und angemessene Preise für Exportgüter bezahlt werden. Es ist absolut unverständlich und kann einfach nicht akzeptiert werden, daß beispielsweise ein Kilo Äpfel aus der Steiermark teurer ist als ein Kilo Bananen aus Mittelamerika. Wenn Sie die Kosten für den Transport und die Lagerung der Bananen berechnen, dann sehen Sie, daß dem Bauern in Mittelamerika kein Ertrag bleibt, trotz der harten Arbeit.

Die Länder der „Dritten Welt“ sind die größten Rohstofflieferanten. Die Weltmarktpreise werden allerdings nicht von den Lieferländern bestimmt, sondern von internationalen Konzernen gesteuert Die Verarbeitung und Veredelung dieser Produkte erfolgt dann in den Industrieländern. Die Endprodukte werden zu einem weit überhöhten Preis an die Entwicklungsländer angeboten, die ihrerseits wertvolle Devisen für den Ankauf einsetzen müssen. Ein Teuf elskreisl Dazu sind die Rohstoffvorkommen noch zum überwiegenden Teil im Besitz von ausländischen Firmen. Die Arbeiter erhalten keine gerechten Löhne, werden ausgebeutet und die Sozial-und Altersversorgung ist unzureichend, wenn es sie überhaupt gibt.

Eine weitere himmelschreiende Ungerechtigkeit, die viel zu wenig in die Überlegungen einbezogen wird, sind die Anstrengungen im Bereich der Rüstung. Rüstung und Unterentwicklung stehen in einem diabolischen Zusammenhang. Durch die globalen Rüstungsbestrebungen aller Staaten gehen nicht nur wertvolle Geldmittel verloren, sondern die besten Wissenschaftler und Forscher sind im Dienst der Rüstungsindustrie. Durch die Verschwendung dieses finanziellen und intellektuellen Potentials für die Erzeugung immer besserer und damit auch teurer Waffensysteme gehen diese Ressourcen im Kampf gegen Hunger, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und Unterentwicklung verloren.

Die Kosten für einen modernen Panzer könnten die Lagerung von 100.000 Tonnen Reis so verbessern, daß das Verderben von 4.000 Tonnen verhindert werdenkönnte. Diese Menge entspricht einer Tagesration Reis für acht Millionen Menschen Mit der Summe für ein Kampfflugzeug könnten 40.000 Dorfapotheken eingerichtet werden Solche Vergleichskalkulationen könnten wir behebig fortsetzen

1984 betrugen die weltweiten Rüstungsausgaben 970 Milliarden US-Dollar, 1985 waren es bereits 1.000 Milliarden US-Dollar, die für militärische Zwecke ausgegeben wurden. Die von den internationalen Organisationen registrierte weltweite Entwicklungshilfe macht weniger als fünf Prozent dieser gigantischen Summe aus. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie die Situation der Menschen in der „Dritten Welt“ aussehen würde, wenn diese gewaltigen Summen für die Erhaltung des Lebens und für menschenwürdigere Lebensbedingungen ausgegeben würden, anstatt für Geräte, die der Vernichtung des Lebens dienen

Hier trifft wirklich das Wort des Propheten Jesaja zu: „In euren Häusern hegt das geraubte Gut der Armen.“ (Jes 3,14) Heute würde der Prophet noch dazusagen „In euren Waffenarsenalen sperrt ihr die Grundnahrungsmittel ganzer Völker ein und laßt Millionen deshalb an Hunger sterben!“

Die Schulden der Entwicklungsländer werden 1989 etwa 820 Milliarden US-Dollar erreichen Das heißt, daß jede Frau, jeder Mann, jeder alte Mensch, jedes Kind, den Banken und Regierungen der Industrienationen im Durchschnitt 300 US-Dollar schuldet Für Lateinamerika ist dieser Betrag noch höher. Hier hegt die Schuldenlast bei 360 Milliarden Demnach schuldet jeder Mensch in Lateinamerika 1.000 US-Dollar. Diese Summe entspricht dem Durchschnittseinkommen eines Arbeiters in eineinhalb Jahren

Henry Kissinger schrieb schon im Jahr 1983 in der Zeitschrift „Newsweek“: „Unter den gegenwärtigen Bedingungen können die Schuldnerländer in Lateinamerika ihre Schulden nicht bezahlen Die soziale Krise in diesen Landern, hervorgerufen durch die erzwungene Sparpolitik zur Rückzahlung der Schulden, könnte zu gesellschaftlichen Explosionen führen, die sich nicht mehr kontrollieren lassen.“ An dieser Einschätzung hat sich seit 1983 nichts geändert, im Gegenteil, die Situation hat sich dramatisch zugespitzt

Es bedrückt uns, daß die Auslandsverschuldung und die Rückzahlung hauptsächlich den Entscheidungen der Vereinigten Staaten untergeordnet sind. Weiters bedrückt uns die Kapitalflucht: In sieben Jahren (von 1980 bis 1987) gingen 50,4 Milliarden US-Dollar mehr ins Ausland, als Devisen ins Land kamen Aus diesem Grund wurde die gesamte Wirtschaft auf den E xp ort ausgerichtet. Die Löhne werdenniedrig gehalten, die Zinsen sind hoch und die Inflationsrate steigt ins Unermeßliche. Durch die extrem hohe Zinsbelastung und die steigende Auslandsverschuldung werden Armut, Hunger und Elend immer größer, und damit steigt auch die Fremdbestimmung in einem dramatischen Ausmaß. Weitere Kredite werden von Sparmaßnahmen abhängig gemacht, die dem bereits verarmten Volk den Brotkorb noch höher hängen und den Gürtel enger schnüren. Sparprogramme gehen immer zu Lasten der Armen, der schon ungerecht bezahlten Arbeiter und Landwirte, deren Produkte zu Billigstpreisen exportiert werden, sodaß sie kaum davon leben können.

Diese sozialen Ungerechtigkeiten werden mit jedem Tag größer, der innere Frieden ist gefährdet. Bei unzähligen Streiks und Protestaktionen im letzten Jahr und auch heuer machen viele auf die himmelschreienden Ungerechtigkeiten aufmerksam. Metallarbeiter, die Beschäftigten der großen Autoindustrien, ja sogar Bankangestellte und nicht zuletzt die Lehrerinnen und Lehrer staatlicher und gemeindeeigener Schulen streikten tage-und wochenlang, und dennoch wird ihren nur allzu gerechtfertigten Forderungen um Lohnerhöhung nicht stattgegeben oder nur in einem minimalen Ausmaß. Andere werden entlassen, auf die Straße gesetzt, oder mit der Kündigung bedroht, sollten sie in den Streik treten

In Volta Redonda, im Staat Rio de Janeiro, marschierte das Militär auf und ließ die Panzer rollen, um die Streikbewegung zu ersticken, und es büeb im November des Vorjahres nichtnurbeim Aufmarsch der Truppen, drei Arbeiter wurden erschossen Es ist einfach nicht mehr zum Aushalten für das arbeitende und dennoch verarmte Volk. Es muß rasch ein Ausweg aus diesem Teufelskreis gefunden werden Vor allem die Industriestaaten müssen Maßnahmen setzen, um diesen neuen Formen der Versklavung einen Riegel vorzuschieben Gerechte Preise, gerechte Löhnet Menschen dürfen nicht länger ausgebeutet, unsere Mitwelt nicht langer zerstört werden, um den Wohlstand der Industrienationen noch zu steigern oder wenigstens zu erhalten

Die Tatsache, die Papst Johannes Paul IL so formuliert hat „Reiche werden immer reicher auf Kosten der Armen, die immer ärmer werden!“ darf nicht länger andauern. (Eröffnungsansprache inPuebla, 28. Jänner 1979)

„Entwicklung“ - „der neue Name für Frieden“ wird von Johannes Paul IL weiter ausgeführt, wenn er sagt „Auf solche Weise wird die Solidarität, wie wir sie vorschlagen, der Weg zum Frieden und zugleich zur Entwicklung. Der Weltfriede ist in der Tat nicht denkbar, wenn nicht von seiten der Verantwortlichen anerkannt wird, daß die wechselseitige Abhängigkeit schon von sich aus die Überwindung der Politik der Blöcke, den Verzicht auf jede Form von wirtschaftlichem, militärischem oder politischem Imperialismus auf die Verwandlung des gegenseitigen Mißtrauens in Zusammenarbeit fordert Und dies ist gerade der ureigene Akt der Solidarität zwischen Einzelpersonen und Nationen“ (Sollicitudo rei socialis, Nr. 39).

Nun werden Sie die berühmte Frage stellen: „Was können wir tun?“

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