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Das verflixte hundertste Jahr

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Eingefleischte Wagnerianer blicken dieser Tage nicht voll Ehrfurcht nach Bayreuth. Sie tun's eher mit banger Sorge. Das Festspiel] ubiläum bringt statt Weihrauch Bratwurstdunst, statt hehren Glaubens an die unabdingbaren Werte überkommener Wagner-Dramaturgie einen demontierten „Ring“. Demontiert insoweit, als der junge französische Regisseur Patrice Chereau gewillt ist (und fähig zu sein scheint), eine neue, kritische Sicht auf das Nibelungendrama freizulegen.

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Eingefleischte Wagnerianer blicken dieser Tage nicht voll Ehrfurcht nach Bayreuth. Sie tun's eher mit banger Sorge. Das Festspiel] ubiläum bringt statt Weihrauch Bratwurstdunst, statt hehren Glaubens an die unabdingbaren Werte überkommener Wagner-Dramaturgie einen demontierten „Ring“. Demontiert insoweit, als der junge französische Regisseur Patrice Chereau gewillt ist (und fähig zu sein scheint), eine neue, kritische Sicht auf das Nibelungendrama freizulegen.

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Das wird sich nicht ohne Wunden vollziehen lassen, und die Pilgerschalt der Wagnerianer, die Wieland schon leidenschaftlich bekämpft hatten, wird ihr helles Entsetzen erleben. Soviel steht fest. Bis sich allerdings der Vorhang zu „Rheingold“ heben wird, regiert noch Frau Fama rund ums Bayreuther Festspielhaus. Neuinszenierung heißt in Bayreuth nach Art des Hauses: top secret.

Zwangsläufig gibt es viele Aktivitäten in Bayreuth. Die Hundertjahrfeier soll auch fürs Volk da sein, das ja keine Festspielkarten bekommt, denn der Andrang in diesem Jahr ist besonders arg. An die Computergerechtigkeit bei der Kartenverteilung glaubt im Ernst kein Mensch, aber die Festspielleitung errechnete stolz, daß man ein volles Jahr in Bayreuth spielen müßte, um alle Kartenwün^ sehe zu befriedigen. Das Volk also wird des Ereignisses auf besondere Art teilhaftig: Der „Ring“ Premiere geht am 23. Juli ein Festakt voraus. Es werden Bundespräsident Scheel, der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel, der Bayreuther Oberbürgermeister und Festspielleiter Wolfgang Wagner sprechen, dann folgt eine Aufführung der Festwiesenszene aus den „Meistersingern“ unter Korl Böhm.

Da ist das Volk immer noch nicht dabei. Es bekommt in sonderbarer Art von Demokratieverständnis sein Teil, indem der Festakt per Lautsprecher vom Theater nach draußen übertragen wird, und um den Flanierparcours des Festspielhauses soll allgemeines Festwiesentreiben bei Bier und Bratwürsten herrschen.

Einen ficht das kaum an: Patrice Chereau, der mit seiner „Ring“-Inszenierurig andere Sorgen hat. Er hat viele Überraschungsmomente in sem Konzept verpackt und verrät davon verständlicherweise nichts. Zum Gespräch war er gern bereit, nahm sich sogar mehr Zeit als üblich. Was von ihm zu erfahren war, ergibt im Fazit, daß der Jahrhundert-„Ring“ tatsächlich von Grund auf neu überdacht worden ist, daß die neue In-

szenierung Einsichten vermittelt, die akzeptiert oder verworfen werden können, auf jeden Fall aber interessant genug sind, um festgefahrenes Denkgefüge aufzuweichen, die Skepsis wach zu halten und die Diskussion um Wagner und Bayreuth von neuem zu entfachen. Und Konventionen sind auch von Pierre Boulez nicht zu erwarten. Seit Wochen brodelt es in der Gerüchteküche. Liliputaner seien engagiert, heißt es, Ponys, man suche nach dressierten Dohlen. Ein Wäldchen mittelstarker Bäume ist abgeholzt worden, was den Kiebitzen rund ums Theater längst nicht entgangen ist. Die stärksten Männer des Bayreuther Athle-tikklubs sind mit von der „Ring“-Partie, um die Riesen auf den Schultern zu tragen, obwohl Bengt Rund-gren, Sänger des Fafner, bei zweieinhalb Zentnern Lebendgewicht ohnehin über zwei Meter groß ist. Etablierte Opernsänger stöhnen, es werde artistisch Unmögliches von ihnen verlangt; nie zuvor gab's so viele Probleme mit der Technik wie im hundertsten Jahr.

Doch wie's da drin aussieht, wird man erst erfahren, wenn das grand spectacle läuft. Der Schock ist indes nicht die Absicht des 30jährigen Regisseurs, sondern das Ergebnis ernsthafter Überlegungen, die ihm selbst schockierende Resultate geliefert haben. Chereau sieht die Einheit des. „Ring“ eher in den Widersprüchen. Eine Formel wie „Macht kontra Liebe“ oder. „Walhall ist Wall Street“ gibt es für ihn nicht. Eine ideologische Deutung erfahre sein „Ring“ ganz gewiß, erklärte er, denn jedes Werk müsse ideologisch gelöst werden. „Es geht im ,Ring' um Freiheit, Macht und Revolution; welch anderen Schlüssel gibt es dafür als den der Ideologie? Es ist der Spiegel einer Epoche, in der wir auch noch leben. Ich kann also das Werk nicht archaisch sehen, kann es nicht in einer Frühzeit ansiedeln, sondern nur in einem imaginären 19. Jahrhundert, das zugleich Allegorie für unsere Zeit ist.“ Liebe könne man auch trotz — oder gerade wegen — Macht haben, das beweise unsere Gesell-

schaft, so daß es mit Polarisierung nicht getan sei.

Pessimismus waltet in Chereaus Inszenierung: „Es gibt keine Lösung und keine Lehre im ,Ring'. Zugrunde geht die Welt der Götter. Die Menschheit überlebt. Aber wofür? Was ist zu tun? Die Musik sagt, daß man hoffen muß, aber diese Hoffnung ist in der Versenkung. Es gibt nichts im ,Ring', woran man sich erfreuen könnte. Die Gesellschaft der Machthaber, der Götter, hat durch ihre Gesetze die Menschheit perver-

tiert. Das zeige ich schon im ,Rhein-gold'. Es wird viele Mauern, viel Beton geben, denn die Natur wurde kaputtgemacht. Es wird von Anfang an alles manipuliert.“

Gnadenlos wird Chereau den Heldenmythos Siegfried zerstören: „Er ist von Geburt an negativ. Wotan will einen Helden, um ihn für seine Zwecke zu benutzen. Siegfried ist keinen Moment seines Lebens frei. Siegmund ist der freie Held, wenn Sie so wollen. Er hilft den Schwächeren und Bedrängten und riskiert sein Leben dabei. Das tut Siegfried nie. Der hat gerade fünf Minuten ein

Schwert, und schon begeht er einen zweifachen Mord. Er kommt an den Gibichungenhof, das heißt: er kommt zur Macht und arrangiert sich mit ihr, bietet seine Dienste an,' treibt die Anbiederung so weit, daß er die ekelhafte Blutsbruderschaft mit Gunther macht und ist gleich beflissen und holt ihm Brünnhilde.“

Allerdings, räumt Chereau ein, der große Schuldige sei Wotan. Doch sei er auch monströs und folglich interessant. Für den von keiner Tradition belasteten französischen Regisseur

ist es eine glatte Lüge, wenn Wotan vor der Neidhöhle sagt, er sei zu schauen gekommen, nicht zu schaffen. Die Folge dieser Betrachtung ist Chereaus große Sympathie für Mime. Der sei in seinem Wesen viel positiver als Siegfried. Daß er Intrigen spinnt und Ränke schmiedet, könne man dem Nibelung nicht verübeln, schließlich werde er ja ausschließlich geschlagen, gequält und unterdrückt.

Wie aber stellt sich dies alles auf der Bühne dar? Chereau ist entschlossen, allen Zauber, alle Magie des Theaters walten zu lassen. Was hier gezeigt wird, müsse Theater

bleiben. Die Rollen müßten gebaut werden. „Die Oper ist immer ein Ritual, aber es muß ein aktuelles sein, ein Gleichnis für unsere Zeit. .Siegfried' ist ein Märchen, sicher. Aber zugleich ein Märchen mit großer Maschinierie, denn es gibt eine Natur, die vollkommen falsch ist.“

Ein großes Spiel vom Untergang der Mächtigen wird zweifellos dieser Jahrhundert-„Ring“. Für Brisanz zum Festspieljubiläum ist gesorgt. Von „Tristan“ und „Parsifal“ als den weiteren Werken dieser Saison spricht niemand. Sie sind ein Appendix im Programm. Mäßiges Interesse bringt man allenfalls dem neuen Tristan entgegen, dem Bulgaren Spas Wenkoff, der zur Zeit in Ostberlin an der Staatsoper engagiert ist und den die meisten semer Bühnenpartner bis jetzt nicht gekannt haben.

Eine ganze Stadt rüstet sich. Ausstellungen gibt es wie nie zuvor. Das Wagner-Museum in der Villa Wahnfried wird eröffnet. Doch spricht man weniger von Wagner als von Patrice Chereau, dem nicht wenige schadenfroh die Pleite wünschen. Vielleicht ist es richtig, was ein prominenter Opernregisseur vor kurzem zum Bayreuther Projekt sagte: „Ganz gut kann es nicht werden, weil man das in drei Monaten Probenzeit nicht machen kann. Schlecht kann's auch nicht werden, dafür ist dieser Chereau viel zu gut.“

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