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DAS VOLKSBEGEHREN ATMET

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Jörg Haider und seine FPÖ starten ein Volksbegehren. Und der Titel ist schon Programm: „Österreich zuerst”. Ein Informationsheft erläutert die einzelnen Punkte und will zur Unterschrift motivieren. Aber eine genaue Lektüre macht wider die Absicht der Verfasser klar, warum man dieses Volksbegehren nicht unterschreiben kann und darf.

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Jörg Haider und seine FPÖ starten ein Volksbegehren. Und der Titel ist schon Programm: „Österreich zuerst”. Ein Informationsheft erläutert die einzelnen Punkte und will zur Unterschrift motivieren. Aber eine genaue Lektüre macht wider die Absicht der Verfasser klar, warum man dieses Volksbegehren nicht unterschreiben kann und darf.

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Vorweg sind einige Klarstellungen vonnöten:

□ Die Österreicher sind zwar keine Heiligen, aber sie sind weder rassistisch noch besonders ausländerfeindlich eingestellt.

□ Wer meint, Diebe, Schmarotzer und Schwarzhändler sollten auch dann belangt werden, wenn sie aus dem Ausland kommen, ist „kriminellen-feindlich” und nicht „ausländerfeind-lich”.

□ „Was ist, wenn eine Million Chinesen nach Österreich kommt?” Darüber sollte man reden, wenn sie wirklich kommen. Zur Lösung unserer heutigen Fragen tragen solche Argumente nichts bei. Ganz im Gegenteil, sie verwirren.

Was will Jörg Haider?

Was will die FPÖ, was will Jörg Haider mit dem Volksbegehren? Folgt man den Ausführungen der offiziellen FP-Informationsbroschüre, ergibt sich folgendes Bild:

□ Die Grundthese, bereits in der Einleitung enthalten, lautet: „Der ötsterreichischen Bevölkerung ist aufgrund der in den letzten Jahren unkontrolliert verlaufenden Einwanderungsbewegung eine große Belastung erwachsen.”

□ Die weiteren Ausführungen erklären, worin die „große Belastung” besteht, und so werden verschiedene Problembereiche aufgezählt: Kriminalität, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Schulprobleme mit ausländischen Kindern und Mißbrauch von Sozialleistungen. Die Bedrohlichkeit der Situation untermauert der Text mit statistischem Material.

□ Abhilfe versprechen sich die Verfasser des Textes von verschiedenen Maßnahmen, die allesamt nur ein Ziel haben: einerseits die Ausländer in Österreich besser zu kontrollieren und andererseits denen, die erst kommen wollen, die Einreise zu erschweren oder - durch im Grunde unerfüllbare Bedingungen - unmöglich zu machen.

□ Jemandem etwas zu unterstellen, was er weder denkt noch sagt, ist nicht nur ungerecht, sondern auch der Ruin jedes sinnvollen Gespräches. Das gilt natürlich auch für eine Auseinandersetzung mit Jörg Haider und seinem Volksbegehren, und darum muß man zur Kenntnis nehmen:

Wie Haider ausdrücklich betont, sollte das Volksbegehren weder die Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention betreffen, noch will er die Rechtslage jener Gastarbeiter in Frage stellen, die in Österreich bereits ihre zweite Heimat gefunden haben. Außerdem gehöre es auch zum Parteiprogramm der FPÖ, Ausländer menschlich und gerecht zu behandeln. Das Leben schwermachen will das FP-Begehren erklärtermaßen nur jenen Leuten, die die österreichischen Gesetze nicht einhalten.

„Soziale Krankheitserreger”

So vernünftig manche Punkte und Erläuterungen zunächst auch klingen, es bleibt ein tiefes Unbehagen. Und zwar aus folgenden Gründen:

Der Text drängt dem Leser eine verengte Sichtweise auf, in der der Ausländer nur als Verursacher von Problemen sichtbar wird, als „sozialer Krankheitserreger”, dessen einzige Wirkung in Österreich das Ansteigen von Kriminalität, Wohnungsverknappung und Arbeitslosigkeit zu sein scheint. Vereinfacht ausgedrückt lautet die Botschaft: „Ausländer schaden uns!” Der Text suggeriert: Schuld an all den Problemen sind „die Ausländer”, und, hätten wir sie nicht, hätten wir auch die Probleme nicht.

Wehe den Ausländem und noch mehr wehe uns, wenn eine Mehrheit der Österreicher so zu sehen und so zu denken beginnt. Denn wer einen anderen für einen Schädling hält, wird ihn irgendwann „bekämpfen” wollen. Man solle, wird gesagt, den Oststaaten doch kein Steuergeld unkontrolliert „in den Rachen werfen”. Es mag nur eine Redeweise sein, aber ist es nicht vielleicht doch ein Freudscher Versprecher, der zeigt, wofür der Verfasser diese Menschen hält: nämlich für „Ungeheuer”, die gerne österreichisches Steuergeld fressen?

Aber selbst wenn an unseren Problemen hauptsächlich die Ausländer schuld wären - was so gar nicht stimmt -, so müßte sich ein Politiker immer noch wohl überlegen, wie er darüber spricht. Denn diese Sündenbock-Argumentation bildet zusammen mit tatsächlichen Nöten oder schlechten Einzelerfahrungen „mit den Ausländern” - diese Erfahrungen gibt es natürlich - ein explosives Gemisch. Und zwar gerade bei jenen, die an ihrem wirklichen oder vermeintlichen Unglück selbst schuldig sind und, weil sie das nicht zugeben können, einen Schuldigen brauchen.

Zu allem Überfluß aber werden die Probleme auch noch vereinfacht, wie man sich an einem Beispiel leicht klarmachen kann: Wahr ist, daß zu wenig Wohnungen angeboten werden, und wahr ist auch, daß manche Wohnungen von Ausländem „besetzt” sind. Um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen müßte man aber auch sagen, daß die Wohnungsknappheit viele Gründe hat - etwa bestimmte Mieter-Schutzgesetze, die Wohnungsbesitzer abschrecken, die Wohnung zu vermieten, dann die höheren Ansprüche der Österreicher, die zur Zusammenlegung vieler Altbauwohnungen führen, und auch die Scheidungen, die auf ihre Weise einen neuen Wohnungsbedarf schaffen. Außerdem leben die Ausländer oft in Quartieren, die ein Österreicher als Wohnung nicht mehr akzeptieren würde. Und nicht zuletzt: Viele Ausländer hätten auf Grund ihrer Leistung für Österreich einen Anspruch auf eine Wohnung -viel mehr Anspruch als mancher „Schmarotzer”, der zufällig in die österreichische Staatsbürgerschaft hineingeboren wurde.

Indern über all das und vieles andere nicht gesprochen wird, entsteht beim Leser, der vielleicht selbst eine Wohnung sucht, keineswegs ein Verständnis für das Problem, sondern nur eines: eine aggressive Stimmung gegen „die Ausländer”, die ihm, dem Österreicher, sozusagen „seine Wohnung” wegnehmen. Dieses Gefühl ist oft vor allem dann besonders stark, wenn der österreichische „Herr Karl” selbst zur Schaffung von Wohnraum kaum etwas beigetragen hat.

Unklare Begriffe

Das Haider-Volksbegehren arbeitet an entscheidender Stelle mit unscharfen Begriffen, die mehrere Deutungen zulassen. Das heißt aber: Wer unterschreibt, weiß nicht, ob das, was er unterschreiben will, dasselbe ist, was auch Jörg Haider meint, und darum weiß er nicht, was er mit seiner Unterschrift wirklich unterstützt. Auf diese Weise gibt er Haider eine Blan-ko-Unterschrift, und das ist im politischen Bereich vielleicht noch gefährlicher als im wirtschaftlichen - vor allem bei Kleingedrucktem.

Ein Beispiel für die unklaren Begriffe: Haider fordert eine Verfassungsbestimmung darüber, daß Österreich „kein Einwanderungsland” ist. Was ist aber ein „Einwanderungsland”? Daß Österreich keine Einwanderung zur Urbarmachung unbesie-delter Landstriche braucht, weiß jedes Kind. Ein Gesetz dazu machen zu wollen, wäre etwa so unsinnig, wie ein Walfischfangverbot am Neusiedler See. So bleibt der begründete Verdacht, daß die Rede vom „Einwanderungsland” keinen anderen Zweck verfolgt als das später geforderte Einwanderungs-Verbot durchzusetzen. Dieses wird zwar als befristet präsentiert, ist aber durch die zugefügten Bedingungen praktisch unbegrenzt.

Das Entweder-Oder stimmt hier insgesamt nicht: Österreich ist weder Einwanderungsland noch eine geschlossene Gesellschaft, sondern ein Land, das mit Menschen verschiedener Kulturen einen lebendigen Austausch pflegen kann, weil es sich seiner eigenen Identität klar bewußt ist.

Falsche Alternativen

Auch an anderen Stellen begegnet man solch falschen Gegenüberstellungen. Etwa, wenn ein Nein zum Ausländer-Wahlrecht gefordert wird. Durch die falsche Alternative (Wahl-

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