6823042-1973_48_03.jpg
Digital In Arbeit

Das Vorurteil der Chancenlosigkeit

19451960198020002020

Der Nahostkrieg hat mit aller Deutlichkeit der ganzen Welt neue politische und strategische Überlegungen aufgedrängt. Dabei geht es nicht nur um neue oder überholte Waffensysteme, sondern um die Tatsache, daß politische (außenpolitische) und militärische Fragestellungen auf das engste miteinander verquickt sind. Neue Überlegungen: sie sollten nach diesem „Stellvertreterkrieg“ auch für das Land Österreich gestellt werden, das als neutraler Kleinstaat zwar nicht im Spannungsfeld von akuten Konflikten, aber im Vorderfeld potentieller Auseinandersetzungen liegt.

19451960198020002020

Der Nahostkrieg hat mit aller Deutlichkeit der ganzen Welt neue politische und strategische Überlegungen aufgedrängt. Dabei geht es nicht nur um neue oder überholte Waffensysteme, sondern um die Tatsache, daß politische (außenpolitische) und militärische Fragestellungen auf das engste miteinander verquickt sind. Neue Überlegungen: sie sollten nach diesem „Stellvertreterkrieg“ auch für das Land Österreich gestellt werden, das als neutraler Kleinstaat zwar nicht im Spannungsfeld von akuten Konflikten, aber im Vorderfeld potentieller Auseinandersetzungen liegt.

Werbung
Werbung
Werbung

Österreichs Sicherheitspolitik ist durch eine sehr aktive Außenpolitik und durch relativ geringe Anstrengungen für die Landesverteidigung gekennzeichnet: relativ gering im Verhältnis zu den großen Anstrengungen etwa der Schweiz und Schwedens.

Nun erklärt die Regierung, daß eine gute Außenpolitik die beste Landesverteidigung sei. Es wird auch erklärt, daß Österreich als kleiner Staat gar nicht die Voraussetzungen für eine wirksame Landesverteidigung hätte und schon deshalb die Sicherheit mit guter Außenpolitik angestrebt werden müsse. Gute Außenpolitik ist aber wohl nur dann gute Landesverteidigung, wenn sie bereits im Frieden mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit erwarten läßt, bei Konfliktsfällen kriegerische Einwirkungen auf Österreich weitgehend abwenden zu können. .Kann die Außenpolitik eine derartige Zusicherung geben?

Die österreichische Außenpolitik entfaltet zum Erreichen ihrer neutralitätspolitischen Ziele zunehmend große Aktivitäten. Dazu gehören vor allem die intensive Mitarbeit in der UNO und das Bestreben, wichtige UNO-Onganisationen in Wien anzusiedeln; Wien soll ein internationales Konfererizzentrum werden.

Österreich arbeitet auch nach besten Kräften an den europäischen Entspannungsbestrebungen mit. Österreich bemüht sich außerordentlich um gute Beziehungen zu vielen Staaten, insbesondere zu den Nachbarn und den Großmächten in Ost und West. Das Ziel all dieser Bemühungen ist es, „Österreich als neutralen Staat für andere Staaten unentbehrlich zu machen“.

Aber: kann für den Fall von Konflikten in unserer geographischen Umgebung mit außenpolitischen Aktivitäten allein in optimaler Weise die Sicherheit für Österreich garantiert werden?

Mit den ihm zur Verfügung stehenden außenpolitischen Möglichkeiten kann Österreich auf das Unterbinden von Konflikten in seiner Umgebung wohl kaum einen wirksamen Einfluß nehmen. Der Erfolg einer vorwiegend auf außenpolitische Maßnahmen abgestützten Sicherheitspolitik ist daher weitgehend von der von Österreich kaum beeinflußbaren politisch-strategischen Entwicklung rund um Österreich abhängig-

Österreich liegt im Zentrum Mitteleuropas; über sein Gebiet führen wichtigste Verbindungen; infolge des Gebirgscharakters des Landes lassen sich aber wichtige Verbindungen wiederum leicht sperren.

Österreich liegt überdies an der Grenze gegensätzlicher politischer Systeme, was Österreich zusätzlich eine beträchtliche strategische Bedeutung zuweist.

In Konfliktsfällen hätte die österreichische Neutralität wohl nur in jenem Maße Aussicht, für andere Staaten nützlich, ja vielleicht sogar unentbehrlich und daher auch weitgehend respektabel zu werden, wie sie von Österreich wirksam geschützt werden kann. Ist dieser Schutz gegeben, dann kann das neutrale Territorium nämlich die für kriegführende und nichtkriegführende Staaten wichtige Funktion einer Sicherheitszone, eines Flankenschutzes ausüben.

Entscheidend wichtig für die Sicherheit Österreichs in Konfliktsfällen anderer Staaten ist es, daß das

Ausland Vertrauen zum Willen und zur Fähigkeit Österreichs hat, daß dieses Land seine Neutralität wirk-

sam schützt — und das bereits im Frieden. Die an der strategischen Funktion Österreichs interessierten Staaten müßten veranlaßt werden, die Verläßlichkeit der österreichischen Neutralität noch im Frieden in ihre eigenen strategischen Überlegungen einzubeziehen. Dies kann aber nur durch große und allgemein sichtbare Anstrengungen Österreichs für seine Landesverteidigung erreicht werden. Tritt aber durch die Schwäche der Verteidigung die mangelnde Fähigkeit Österreichs zu wirksamem Schutze seiner Neutralität bereits im Frieden deutlich in Erscheinung, dann kann dies andere Staaten bewegen, bereits im Frieden Präventivmaßnahmen zur Sicherstellung ihrer strategischen Interessen in Österreich vorzubereiten. Die mangelhaft geschützte Neutralität könnte so zur ernsten Gefahr werden; darüber hinaus aber auch zu einem Unsicherheitsfaktor für die Umgebung und damit zu einem Erschwernis für die Entspannung.

Nicht nur militärische Anstrengungen

Über den Umfang der Anstrengungen, welche für wirksamen Schutz der Neutralität erforderlich wären, bestehen in Österreich bekanntlich geteilte Meinungen. Österreich hat sich verpflichtet, seine Neutralität „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ zu schützen. Das Ausmaß dieser Mittel bestimmt Österreich selbst. Ob aber damit auch Österreichs Neutralität ausreichend geschützt erscheint, wird mehr von der Einschätzung dieses Neutralitätsschutzes durch jene Staaten abhängen, die an der strategischen Funktion Österreichs direkt interessiert sind!

Das Ausland wird sein Urteil vor

allem nach den allgemein bekannten Anstrengungen Österreichs zum Aufbau seiner Landesverteidigung richten. Hiebei wird es wohl von eigenen Anstrengungen ausgehen. Es ist daher aufschlußreich, die Bemühungen Österreichs für seine Landesverteidigung mit den Bemühungen der Nachbarstaaten und etwa denen der neutralen Schweiz und Schwedens zu vergleichen.

Vergleichsmaßstäbe können dabei Wehrverfassungen, Heeresbudgets und Dauer der Militärdienstzeiten sein.

Unter Wehrverfassung wird die Gesamtheit aller gesetzlichen Regelungen für die Landesverteidigung

verstanden. Der moderne Krieg bedroht umfassend den Staat und alle seine Bürger. Eine moderne Verteidigung muß daher alle geistigen, personellen und materiellen Kräfte des Staates und seiner Bürger für die Abwehr von Bedrohungen einsetzen können. In unseren Nachbarstaaten und auch etwa in Schweden ist der Aufbau einer derartigen umfassenden Landesverteidigung zum Teil schon sehr weit fortgeschritten. In Österreich gibt es bereits seit 12 Jahren einen Regierungsbeschluß für den Aufbau einer sogenannten geistigen, zivilen, wirtschaftlichen und militärischen Landesverteidigung.

• Geistige Landesverteidigung bedeutet das Erwecken und die Erhaltung des Willens des ganzen Volkes zur Selbstbehauptung gegen alle Bedrohungen. Dieser Wille ist anscheinend im Unterbewußtsein weiter Bevölkerungsteile vorhanden. Er wurde aber bisher noch kaum geweckt. Derzeit fehlt es vor allem an der Aufklärung des Volkes über die Notwendigkeit und Möglichkeit der eigenen Verteidigung.

• Bei der zivilen Landesverteidigung fehlt es an ausreichenden Vorkehrungen für das Aufrechterhalten der Verwaltung in allen Stufen im Konfliktsfalle. Es fehlen die Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung und für die lebenswichtigen Füh-rungs- und Versorgungseinrichtungen; erfreulich ist allerdings der hohe Leistungsstand der Feuerwehr, des Roten Kreuzes und anderer freiwilliger Hilfsorganisationen.

• Die Unzulänglichkeit der wirtschaftlichen Landesverteidigung, das Fehlen von Bevorratung und Rationierungsvorkehrungen wird gerade äerzeit der Bevölkerung besonders Dewußt.

• Für die militärische Landesverteidigung geben pro Kopf der Bevölkerung (1973) aus: Österreich: S 700.— (1974 werden es voraussichtlich S 840.— sein). Schweiz 2180 — Bundesrepublik 3016.— Italien 1140.— Jugoslawien 806.— Ungarn 1174.— CSSR 3170.— Schweden 3720.—.

Die Militärdienstzeit beträgt in Österreich 6 Monate (plus 2 Monate Waffenübungen; also 8 Monate). Demgegenüber in der Schweiz 12 Monate, in der Bundesrepublik 15 Monate, in Italien 15 Monate, in Ju-

goslawien 18 Monate, in Ungarn und der CSSR je 24 Monate, in Schweden 9 Monate und zusätzlich noch beträchtliche Waffenübungen.

Fragwürdiger Widerstandswille

Das wesentliche Ergebnis von nun schon 17 Jahren österreichischer Wehrpolitik ist der Aufbau eines Mobilmachungsheeres (Stärke zirka 150.000 Mann) mit brauchbarer personeller Zusammensetzung, Ausbildung und Ausrüstung. Mit diesem Heere könnte Österreich die Aufgaben eines Krisenfalles (etwa wie Ungarnkrise 1956 oder CSSR-Krise 1968) bewältigen; in einem Neutralitätsfalle wäre wahrscheinlich auch das Verhindern größerer Grenzverletzungen möglich; in einem Verteidigungsfalle wäre auch noch die Abwehr begrenzter Angriffe möglich.

Für einen nachhaltigen Widerstand gegen eine Aggression mit starken militärischen Kräften aber wäre ein wesentlich leistungsfähigeres Heer erforderlich (die Schweiz hat eine Armee von 500.000 Mann). Für einen nachhaltigen Widerstand wären überdies weitere Voraussetzungen der Widerstandswille des ganzen Volkes und der intensive Ausbau der übrigen Bereiche der umfassenden Landesverteidigung.

Es ist daher anzunehmen, daß das Vertrauen des Auslandes zur Fähigkeit Österreichs, seine Neutralität wirksam schützen zu können und damit zur Festigkeit und Beständigkeit dieser Neutralität in Konfliktsfällen beizutragen, nicht im anzustrebenden Umfange gewonnen wurde. Dies wird durch zahlreiche ausländische Pressestimmen, insbesonders in der Schweiz und der Bundesrepublik bestätigt, in denen immer wieder Besorgnis über die Schwäche Österreichs zum Ausdruck gebracht wird.

Die österreichische Außenpolitik wird das Entstehen von Konflikten kaum verhindern können; die österreichische Landesverteidigung würde gegen Bedrohungen durch diese Konflikte zu wenig Schutz gewähren. Sollte Österreich — ohne eigenes Verschulden — in den Wirkungsbereich militärischer Konflikte kommen, dann müßte sich das, je nach Intensität der Konfliktseinwirkung, beim derzeitigen Leistungsstande der Verteidigung sehr nachteilig, ja katastrophal auswirken.

Sollte die österreichische Sicherheitspolitik trotz der Gefahr von Konflikten weitgehend auf außenpolitische Aktivitäten beschränkt sein und bleiben (mit der offiziellen Begründung, daß Österreich ja gar keine Möglichkeiten für eine wirksame Verteidigung besitzt), dann erscheint es für die Sicherheit Österreichs dringend geboten, auch diese Meinung einer eingehenden Überprüfung ihrer Richtigkeit zu unterziehen. Es wäre zu überprüfen, wie-

weit diese Meinung ein Vorurteü, eine vorgefaßte Meinung ist.

Eine realistische Beurteilung der Bedrohung ergibt, daß sich Österreich primär nicht auf einen atomaren Vernichtungskrieg und auch nicht auf die Angriffe riesiger Großmachtarmeen auszurichten hat. Derartige Bedrohungen sind ziemlich unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher sind begrenztere Bedrohungen, wie sie sich im Rahmen von wesentlich wahrscheinlicheren begrenzten Konflikten, darunter auch „Stellvertreterkriegen“ ergeben könnten.

Eine realistische Beurteilung der eigenen potentiell verfügbaren Verteidigungsmöglichkeiten ergibt, daß Österreich sehr wohl über die geistigen, personellen und materiellen Voraussetzungen verfügt, gegen Bedrohung einen nachhaltigen Widerstand zu leisten und einen wirksamen Schutz für die Bevölkerung zu errichten. Eine wirksame „Strategie des hohen Eintrittspreises“ ist durchaus in bedeutendem Umfange möglich: vorausgesetzt, daß Österreich sein tatsächliches Verteidigungspotential besser als bisher ausnutzt.

Auf eine allgemeine Entspannung — vor allem in unserer engeren Umgebung — zu hoffen, ist verständlich. An der Entspannung. mitzuarbeiten, ist notwendig. Die Sicherheit aber weitgehend auf Entspannungshoffnungen aufzubauen, wäre bedenklich.

Gute Außenpolitik ist daher wohl nur in dem Maße als beste Landesverteidigung Österreichs anzusehen, wie sich die Außenpolitik auch auf ein leistungsfähiges militärisches Potential abzustützen vermag. Die Forderung nach vermehrter Leistungsfähigkeit der Landesverteidigung sollte, ja müßte, daher vor allem von der Außenpolitik erhoben werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung