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Das Wahl-Duell einstiger Freunde

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FURCHE: Im "Programm für Polen" findet man das Vorhaben, daß sich Polen künftig für eine Zusammenarbeit mit der CSFR und Ungarn engagieren wird. Geht das in Richtung Pentagonale, an der auch Österreich beteiligt ist? '

TADEUSZ MAZOWIECKI: Die Außenpolitik muß danach streben, Polen zu einem vollberechtigten Mitglied der geistigen und mate-riellen Europagemeinschaft zu machen. Die Zusammenarbeit mit der benachbarten Tschecho-Slowa-kei und dem etwas entfernteren Ungarn ist für Polen ein lebensnotwendiges Bedürfnis. Als ebenfalls wichtig erachte ich die Annäherung zwischen Polen und Österreich - unabhängig davon, ob Österreich Mitglied der Pentagonale oder der EG ist. Die Idee der Pentagonale liegt mir sehr am Herzen - als Ausdruck des Willens der Freundschaft zwischen Nachbarn.

FURCHE: Wie kann die wirt-schaftliche und kulturelle Zusam-menarbeit zwischen Polen und dem Süden verbessert werden?

MAZOWIECKI: Eine politische Annäherung an unsere südlichen Nachbarn, darunter auch Österreich, wird sicherlich auch eine Vertief ung der bislang schwachen wirt-schaftlichen und kulturellen Bezie-hungen mit diesem Teil Europas zur Folge haben. Man soll sich dessen bewußt sein, daß Europa etwas Ganzheitliches ist. Und mein Hauptziel ist der Einstieg Polens in die gesamteuropäische Gemein-schaft. Ich möchte die fortgeschrit-tenen Verhandlungen über einen EG-Assoziierungsvertrag abschlie-ßen. Unser strategisches Ziel ist es, Ende der begonnenen Dekade der EG beizutreten. In den Europarat wird Polen sofort nach den freien und demokratischen Wahlen auf-genommen. Das ist festgeschrieben.

Polen und die anderen Länder, die den Kommunismus zu Fall gebracht haben, haben ein großes Ziel - und zwar die Überwindung der Spaltung in ein armes und ein reiches Europa. Freundschaftliche Beziehungen mit solchen Ländern wie Österreich sollen diesen Prozeß erleichtern.

FURCHE: Sollte Lech Walesa zum Präsidenten gewählt werden, hätte das Folgen für die wirtschaft-liche Zusammenarbeit Polens mit dem Ausland?

MAZOWIECKI: Durch eine kon-tinuierliche Wirtschaftspolitik wird die Zusammenarbeit mit dem Aus-land stabilisiert. Allerlei plötzliche Änderungen entmutigen die Aus-landspartner, besonders Investi-tionsträger, für die die wichtigste Garantie der künftigen Profite eben die Stabilität darstellt.

Meiner Meinung nach wird der Stil wesentlich sein, mit dem auf der Asche des kommunistischen Totalitarismus der Aufbau der Zukunft erfolgt. Ohne Zufluß aus-ländischen Kapitals ist die Moder-nisierung der polnischen Wirtschaft kaum denkbar. Dem Kapital gilt es günstige Bedingungen zu schaffen - vor allem juristische, politische und wirtschaftliche Stabilität.

Dieser Prozeß wurde bereits ein-geleitet und ist fortzusetzen. Wenn Walesa das erkennt, dann wird er sicherlich nicht die polnische Wirt-schaft stören.

FURCHE: Warum hat sich Soli-darnos'c eigentlich aufgespalten?

MAZOWIECKI: Ich bedaure es zwar, aber die Spaltung war unab-wendbar. Ich habe mit ihrer zeitli-chen Verlegung gerechnet, damit die Polen die Tücken der Wirt-schaftsreform und der Umbildung der Gesellschaftsordnung leichter überwinden könnten. Doch war Solidarnos'c' nie eine einheitliche Bewegung. Von Anfang an waren in ihr verschiedene Optionen und politische Richtungen vertreten. Verbunden waren diese durch ein gemeinsames Zukunftsbild: Ein vom Kommunismus befreites Polen. Nach dem Sturz des Systems meldete sich jedoch der Geltungs-trieb zu Wort. Vor allem Lech Walesa versuchte die ohnehin un-abwendbaren Entwicklungsprozesse zu beschleunigen.

Da jede Nervosität unsere Hand-lungen, besonders wirtschaftliche Maßnahmen, beeinträchtigt, be-schloß ich, mich der Beschleunigung entgegenzusetzen; und ich habe daher vorgeschlagen, das bisherige Tempo der evolutionären Entwicklung beizubehalten.

Mit Ministerpräsident TADEUSZ MAZO-WIECKI, dem Präsidentschaftskandidaten der aus Solidarnos'c' hervorgegangenen Bürgerbe-wegung für eine Demokratische Aktion, sprach JOANNA JACHMANNY.

FURCHE: Welche Bedingungen wird Ihrer Meinung nach Polen zu erfüllen haben, wenn es das Land mit einem EG-Beitritt ernst meint?

LECH WALESA: Die Natur kennt keine Grenzen. Der hungrige Hase hoppelt unbekümmert über die Grenze nach Litauen. Der saure Regen fällt gleichfalls, ohne sich um Grenzen zu kümmern. Nur unsere Mentalität stützt sich noch auf Grenzen.

Die Aufhebung der Grenzen wird möglich sein, wenn es ein gleiches Wirtschaftsniveau gibt. Die Men-schen gleichen Wasserbehältern: Gibt es ein unterschiedliches Was-serniveau, muß man Staudämme anlegen; wenn es auf gleicher Höhe ist, erübrigen sich die Dämme.

Mit unseren verfallenen Hütten, Werften und Bergwerken haben wir keine Chance, der EG beizutreten. Was für Lösungswege gibt es also für unser Land, das bald zur Depo-nie von allerlei Müll werden wird? Mein Vorschlag ist: Alles im Allein-gang vorantreiben. Man sollte in Polen derartige ökonomische Be-dingungen schaffen, daß unsere Bürger selbst Geschäfte machen können. Polen hat keine andere Wahl als die Marktwirtschaft. Wir müssen reicher werden. Denn nie-mand wird eine Verbindung mit Armen eingehen. Nur Starke, Kluge und Reiche werden in Europa akzeptiert.

FURCHE: Welches Wirtschafts-programm schwebt Ihnen vor, damit Polen reicher werden kann?

WALESA: Bei Veranstaltungen während des Wahlkampfes erwar-ten die Leute - wie Sie - ein konkre-tes Programm. Das Denken der Menschen ist nicht frei von Verklä-rungen: Wenn ich mein Programm vorlege, verflüchtigen sich plötzlich alle Schwierigkeiten, man meint, ich könnte maßgebend darüber verfügen, wann Wohnungen, wann Geld und Wohlstand da sein werden. Das Gegenteil ist jedoch der Fall.

Meine Philosophie beruht darauf, daß gemeinsam mit den Bürgern bestimmt wird, was Regierung, Parlament und der Präsident ma-chen sollen. Ich will Bedingungen schaffen, die auf die einzelnen Menschen zugeschnitten sind. Reich werden sollen ja die Leute. Und wir sollen ihnen dienen. Ob mir das gelingt? Ich weiß es nicht. Der Erfolg unserer Reformen und der Wohlstand sowie das Engagement in diesem Umwandlungsprozeß verhalten sich direkt proportional zueinander.

FURCHE: Ihre Machtphilosophie unterscheidet sich grundsätzlich von der des - wie er heißt - europa-orientierten Präsidentschaftskandi-daten Tadeusz Mazowiecki. Gibt es auch Unterschiede im innenpoliti-schen Programm?

WALESA: Die Richtung der Re-form-also Marktwirtschaft -wird sicher beizubehalten sein. DerBal-cerowicz-Plan gibt den Weg der Realisierung vor. Dieser Plan unseres Finanzministers bedarf jedoch der Korrektur. So ist beispielsweise die Beschleunigung des Privatisierungsvorganges erforderlich. Der Weg zur Marktwirtschaft kann außerdem weder europäisch noch amerikanisch, sondern muß pol-nisch geprägt sein. Obwohl mir die Argumente einleuchten, wonach die meisten polnischen Betriebe zu schließen sein werden, werde ich nie neun Millionen Arbeiter entlassen (in der polnischen Volkswirtschaft arbeiten zwölf Millionen Menschen, Anm. d. Red.).

Zur Gesell-schaftsordnung: Zur Zeit gibt es nichts Vernünftigeres als Demokratie. Ein Beispiel: Neulich kam ein Mann zu mir und wollte drei Milliarden Zloty für die Wahlkampagne spenden. Ich habe mir überlegt, wenn zwei Millionen Men-schen zu mir kämen, und jeder 100 Zloty gäbe, dann hätte ich zwar weniger Geld, aber wieviele Wäh-ler! Das bedeutet für mich Demokratie, daß es besser ist, alles gemeinsam zu machen.

Natürlich bleiben die Sorgen. Das ist was anderes. Wir haben ein Proporzwahlrecht, wodurch viele unterschiedliche, auch kleinste Parteien ins Parlament kommen können, sodaß die neue politische Situation sehr unstabil sein kann. Aber wir müssen das eben durchmachen.

Als Präsident werde ich sicherlich nicht mit Hilfe der Axt regieren.

FURCHE: Warum mußte sich die Solidarnos'c so dramatisch aufspal-ten, daß nun zwei ihrer bedeutend-sten Repräsentanten in Konkurrenz um das Präsidentenamt gegenein-ander stehen?

WALESA: Nach der Zerschlagung der Kommune durfte ich nicht auf halbem Wege nachgeben. Ich wollte vorangehen. Ich will auch nicht das Monopol der Kommunisten, der ehemaligen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP), durch ein Solidarnos"(5-Monopol ersetzen. Außerdem wollte ich endlich diese 65 Prozent Parlamentssitze (Solidarnos'c'-Abgeordnete besitzen nach den Vereinbarungen vom vorjährigen Runden Tisch nur 35 Prozent der Sitze im Sejm) der Gesellschaft, den Bauern, Arbeitern und der Intelligenz übergeben. Am 31. August verschmähte Tadeusz Mazowiecki während eines Gesprächs jeden Kompromiß. Er sagte, daß er sehr wohl zum Präsi-denten aufsteigen könne - so stark fühlte er sich schon.

Mazowiecki wirkt gemächlich - ich nicht. Vielleicht hätten wir zusammenarbeiten können. Aber es ging nicht.

Ich glaube, daß ich ohne Nachtei-le für das Land den polnischen Wagen führen kann. Es wäre falsch, die Zukunft preiszugeben. Wir müs-sen vorwärts gehen.

Mit LECH WALESA, dem Präsidentschafts-kandidaten der aus Solidarnosc hervorgegange-nen Zentrumsallianz, sprach PIOTR GERCZUK.

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