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Das wahre Ärgernis

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„Sie, Herr Bundeskanzler, hinterlassen der nächsten Regierung eine ungeheure Schuldenlast… Noch nie hat es in Österreich ein so gigantisches Defizit gegeben wie diesmal. Das alles sind sehr ernste Dinge ,..“

Also sprach im Wahlkampf 1970 der SPÖ-Herausforderer Bruno Kreisky zum damaligen ÖVP- Bundeskanzler Josef Klaus.

Das Budgetdefizit machte damals sieben Milliarden Schilling aus — heute sind es an die neunzig. Die Schulden stiegen unter der Regierung Klaus von 28 auf 49 Milliarden Schilling. Heuer werden es 390 Milliarden sein.

„Noch bedenklicher ist das Ansteigen der Auslandsschulden,“ wetterte am 28. Jänner 1970 auch die sozialistische „AZ“. Die ÖVP- Regierung nahm im Schnitt pro Jahr drei, die SPÖ-Regierung aber acht Milliarden Auslandsschulden auf.

Schon im Juni 1969 klagte ein SPÖ-Inserat: „Diesen Schuldenberg der ÖVP muß die nächste ‘ Regierung wieder abtragen.“ Wie das „Abträgen“ ausgesehen hat, wissen wir: 1970 mußte der Bund pro Sekunde 1500 Schilling an Finanzschuld zurückzahlen — 1982 waren es 11.000 Schilling Sekunde für Sekunde, tagaus tagein, 365- mal.

Hübsche Zitatvergleiche von damals und heute trug Theodor Faulhaber vom Institut für Wirtschaft und Politik in einer Broschüre zusammen, die als „Bilanz einer Ära“ in der Reihe „Contu- ren“ (Nr. 8) erschienen ist.

Dort kann man auch nachlesen, warum das Schuldenmachen eine schwere Verfehlung ist: Es handelt sich dabei um einen „gewissenlosen Vorgriff auf die Zukunft“, verkündete ein Wahlinserat der SPÖ im Jahr 1970.

„Politische Korruption darf in einer echten Demokratie nicht allein den Gerichten überlassen werden“, verkündete Bruno Kreisky laut „AZ“ vom 7. Februar 1970, gelobte auch politische Konsequenzen und sagte: SPÖ zu wählen biete „die Gewähr, daß sich derartige Skandale nicht wiederholen“.

Der ÖVP-Regierung wurde von der SPÖ auch vorgeworfen, daß sie trotz Erhöhung von Steuern und Tarifen die Mehreinnahmen des Staates verschwende: „Die öf-

fentlichen Investitionen gingen sogar zurück“, hieß es in der „AZ“ vom 12. Februar 1970.

Damals machten die öffentlichen Investitionen 4,66 Prozent des Brutto-Inlandproduktes aus — 1982 waren es nur noch 3,54 Prozent.

Oder der Wohnbau: „Falsche Methoden“ der Förderung und „falsche Gesetze“ hätten, so hieß es in einem Wahlinserat 1970, ein Debakel verursacht. Die SPÖ werde für Abhilfe sorgen: „775.000 neue Wohnungen in den nächsten zehn Jahren, ab 1980 jährlich

100.000 neue Wohnungen.“

Die Fakten: Im Schnitt baute die ÖVP-Regierung jährlich

51.000 Wohnungen, die SPÖ-Regierung in den siebziger Jahren durchschnittlich 47.000 und 1981 statt der versprochenen 100.000 genau 51.038 Wohnungen.

Die Beispiele sind vermehrbar. Der Zorn, den sie nähren, sollte freilich in die rechte Richtung gelenkt werden.

Nicht, daß auch die SPÖ keine Wunder wirken, daß auch sie die internationale Krise nicht ungeschehen machen konnte, daß Defizite wie Schulden stiegen und Korruptionsfälle auftraten, die alles Bisherige in den Schatten stellten, ist der SPÖ in erster Linie anzulasten.

Was in diesem Zusammenhang vor allem junge Mitbürger zutiefst empören muß, ist die Unverfrorenheit, mit der politische Agitatoren Argurfiente einmal für und einmal gegen eine Partei kehren, die Logik auf den Kopf stellen, dem politischen Gegner so gut wie alles Üble in die Schuhe schieben und für sich selber so gut wie totale Perfektion in Anspruch nehmen.

Jedem Finanzminister kann seit Jahren zu jedem beliebigen Zeitpunkt vorgeworfen werden, daß er gerade das größte Defizit der Geschichte produziert. Aber daß es von ein und derselben Partei einmal als Argument für die Abwahl und dann für die Wiederwahl einer Regierung gebraucht wird — das ist das Ärgernis.

In einer Schülerdiskussion mit einem Spitzenpolitiker sagte dieser Tage ein junger Steirer: „Einmal möchte ich erleben, daß ein Politiker einen Fehler zugibt!“ Genau das ist eine Kernfrage des Verfalls der politischen Kultur: Meine Partei irrt nie, die andere immer!

An diesem Verfall der politischen Kultur sind, wenn auch unterschiedlich, alle Parteien und ein Großteil der Politiker mit schuld. Ohne selbstkritische Umkehr wird es keinen Abbau der Politikverdrossenheit geben. Keine neu auftretende politische Gruppierung, die es in diesem Punkt nicht radikal anders hält, wird Erneuerung glaubhaft machen können.

Das Problem ist seit langem bekannt. Niemand hat bisher eine Lösung gefunden. Eine Beseitigung dieses Ärgernisses setzt eine Haltungsänderung bei allen voraus — auch bei den Wählern.

Für einen neuen konzentrierten Anlauf sollte sięh niemand zu gut sein. Immerhin ist die Demokratie einmal schon an dieser Malaise kaputtgegangen.

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