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DAS WALLFAHREN WIRD WIEDERENTDECKT
Schon in vorchristlicher Zeit pilgerten die Menschen zu heiligen Stätten, an Quellen, Steinen oder Bäumen gelegen. Ebenso hat die Wallfahrt der Juden nach Jerusalem eine lange Tradition und konzentrierte sich seit der Kultreform des Joschija auf Jerusalem.
Schon in vorchristlicher Zeit pilgerten die Menschen zu heiligen Stätten, an Quellen, Steinen oder Bäumen gelegen. Ebenso hat die Wallfahrt der Juden nach Jerusalem eine lange Tradition und konzentrierte sich seit der Kultreform des Joschija auf Jerusalem.
Wir stehen am Beginn des Monats Mai, des Marienmonats. In den letzten Jahren werden die Wallfahrten, meist zu Orten, an denen Maria verehrt wird, zahlreicher. Der moderne Mensch entdeckt wieder die Kraft der Erneuerung, die beim Pilgern geschenkt wird.
Redaktionelle Gestaltung: Christof Gaspari
Beim christlichen Wallfahrten kommt aber eine ganz neue Dimension hinzu. Das Pilgern ist Sinnbild des irdischen Lebens, das auf ein ewiges Ziel hinzielt: auf das himmlische Jerusalem. So wird seit dem zweiten Jahrhundert Jerusalem und dann ganz Palästina zum Ziel des Pilgers, denn dort hat Gott mit seinen Füßen gestanden. Deswegen wird Palästina auch „Heiliges Land" genannt.
Nach den blutigen Christen Verfolgungen entfaltete sich das Pilgerwesen auf alle Hauptorte des Wirkens Jesu, sowie auf die Gotteserscheinungen im Alten Testament. Ein bedeutendes Dokument ist dafür das Reisetagebuch der Pilgerin Aetheria. In dieser Zeit begann schon die Wallfahrt zu den Märtyrergräbern oder auch zu deren Reliquien sowie zu verstorbenen beziehungsweise zu lebenden Heiligen. Die bedeutendsten Zentren sind dabei Rom mit den Apostelgräbem des heiligen Petrus und Paulus sowie Santiago de Com-postela mit den angeblichen Reliquien des Apostels Jakobus. Das sind die drei großen Pilgerwege, die „pe-regrinationes maiores". Bald traten die „peregrinationes minores" zu überregionalen beziehungsweise zu lokalen Heiligtümern hinzu.
Hatte eine Wallfahrt nach Jerusalem einen wahrlich eschatologischen Charakter - sie war oft eine Reise ohne Wiederkehr -, so traten in den
kommenden Jahrhunderten noch viele andere Motive hinzu, eine Wall-fahrt zu unternehmen: Mit der Ausrufung eines Heiligen Jahres im Jahre 1300 durch Papst Bonifaz VIII. und dem damit verbundenen Ablaß begann zugleich die periodische Wallfahrt im Abendland. Bald wurde auch für andere Wallfahrten ein Ablaß gewährt, der eine immer steigende Anziehungskraft ausübte, bisweilen war es ein regelrechtes Sammeln von Ablässen.
Mit dem Ablaß war und ist oft das Motiv der Buße verbunden. Eine Pilgerfahrt wird unternommen als Buße für eigene Sünden oder auch als Sühne für die Sünden anderer. In enger Verbindung dazu steht die Strafwall-
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...da verkleidete Kriminelle Ende des Mittelalters auch auf Wallfahrt gingen...
Li
fahrt, die in unseren Gebieten aber wenig verhängt wurde. Sie wurde für eine begangene Straftat - vor allem Totschlag - verhängt und betrug oft die tiefsinnige Dauer von etwa neun Monaten. Als Nachweis dienten Pilgerabzeichen, die aber später,kommerziell ausgenützt wurden und das Sozialprestige des Pilgers steigerten. Sie verloren dabei aber ihren Sinn und mußten durch Bestätigungen des Kirchenrektors ersetzt werden.
Bedenkt man das Ausgeliefert sc in des Menschen an die unbezähmbaren Mächte der Natur, so eröffnet sich als weiteres Motiv die Bitte einerseits um Genesung von körper-
lichen oder seelischen Leiden oder andererseits um Abwendung von Katastrophen. Bei Verschonung war damit oft das Gelübde einer Gemeinde verbunden, jährlich für die Erhörung der Bitte zu danken und zugleich den Schutz Gottes von Maria weiterhin zu erbitten. Zahlreiche Votivta-feln und -bilder zeugen von diesem Glauben der Vorfahren.
Der Dank an den allmächtigen Gott bewegt immer wieder Menschen zu dieser Form der Wallfahrt. Aus jüngster Vergangenheit sei hier die Dankwallfahrt des jetzigen Papstes nach dem Attentat nach Fatima genannt und die Wallfahrt von etwa 20.000 Pilgern aus den ehemaligen Ostblock -ländern nach Mariazell, die für die wunderbare Befreiung aus kommunistischer Diktatur der Gottesmutter Maria dankten.
Der Bekenntnischarakter einer Wallfahrt spielte in unserem Jahrhundert, vor allem nach der Hitlerherrschaft, eine große Rolle. Getragen wurde die Wallfahrt von der Katholischen Jugend. Ebenso haben Prozessionen und Fußwallfahrten in unserer säkularisierten Welt diesen Charakterzug nicht verloren.
Zu all diesen Motiven kommt noch das eine entscheidende hinzu: Zu allen Zeiten empfand der Mensch die „loca sanctorum" als Orte der besonderen Nähe Gottes.
Was nun die Kritik des Wallfahrtswesen betrifft, so erfährt es in Martin Luther und der Reformation eine grundsätzliche Ablehnung. Damals war die Wallfahrt eng mit dem Ablaß, oder genauer gesagt, mit dem Ablaßhandel verbunden. Gegen diesen Ausverkauf aber wandten sich nicht nur Martin Luther, sondern schon vor und zu seiner Zeit Bischöfe im deutschsprachigen Gebiet. Die inner-
kirchliche Kritik an Auswucherungen und Entartungen im Pilgerwesen ist fast so alt wie das Pilgern selbst. Es setzt mit dem vierten Jahrhundert ein und dauert ununterbrochen bis heute fort: Es war die ernste Gefährdung für allein pilgernde Frauen und Nonnen sehr wohl vorhanden; sie war gegeben, da Abenteurer, verkleidete Kriminelle oder Arbeitsscheue Ende des Mittelalters auch auf Wallfahrt gingen; sie war auch gegeben, da häretische Auffassungen (zum Beispiel Geißlerwesen) verbreitet wurden. Nie wurde aber das Wallfahrten an sich von den Kritikern abgelehnt. Mit der Kritik der Mißstände war zugleich ein Bemühen um Belebung der Wallfahrt verbunden. Viele Heilige handelten in dieser Weise.
Zuletzt sei noch gefragt, was den heutigen Mensch bewegt, eine Wallfahrt zu unternehmen. Vor allem sucht er, insbesondere der junge Mensch, geistige Einkehr und Selbstfindung, sowie die Eroberung neuer beziehungsweise schon verschütteter Dimensionen des Glaubens. Dafür sind heilige Orte als Stätten besonderer Gotteserfahrung besonders geeignet, denn die Beschwerlichkeit des Weges als eine Form der persönlichen Buße bereitet gut darauf vor. In der Monatswallfahrt kommt dies zeitgemäß zum Ausdruck und es leuchtet darin ein ganz neuer Typ von Wallfahrt auf. Vorrangig geht es bei den schon genannten Beweggründen zu Wallfahrten - Heiliges Land, Märtyrer, Heilige, Ablaß, Genesung, Abwendung von Katastrophen, Gelübde, Dank - um das körperliche oder seelische Heilwerden des einzelnen Menschen oder der ihm Anvertrauten. Bei der monatlichen Wallfahrt stehen die großen Anliegen der Kirche im Vordergrand.
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