6822540-1973_45_08.jpg
Digital In Arbeit

„Das war kein Volkskrieg“

Werbung
Werbung
Werbung

Nach der ersten Schrecksekunde herrschte in Beirut die Ruhe eines künstlichen Sommers. Das offizielle Beirut versuchte den Krieg zu ignorieren. Und die Palästinenser waren vom Krieg ausgeschaltet worden — nicht durch den Libanon, sondern durch die arabischen Staaten. Im offiziellen Libanon sollten die Gesten der Solidarität mit der arabischen Welt sorgfältig auf das Ruhebedürf-nis der politischen und der wirtschaftlichen Welt abgestimmt werden. In den Lagern der Palästinenser herrschte eine allgemeine Lähmung — aus der Unfaßbarkeit, von diesem Krieg nicht informiert, aber ausgeschlossen worden zu sein. Der Krieg hat Libanon noch weiter vom arabischen Lager entfernt — und den Palästinensern die Sicherheit gegeben: Die offiziellen Kriegführenden, alle offiziellen Kriegführenden — vielleicht mit Ausnahme des Irak — haben die Palästinenser selbst als Werkzeuge und als Exekutivorgane abgeschrieben. In den Lagern der Palästinenser leben heute die Faustpfänder und die Gefangenen im Spiel der Araber.

Die libanesische Armee war natür-

lich im Alarmzustand — mit dem Befehl: Diskretion! Die Banken und die Geschäftswelt fürchtete den drohenden ölkrieg der arabischen Staaten als die wahre Katastrophe für den Libanon. Und neben dem ölkrieg — noch zerstörender für den Libanon — lag schon die Kampagne der dollarreichen ölstaaten gegen den US-Dollar in der Luft. Der ölkrieg hätte zuerst und am schwersten die westeuropäischen und die neutralen Staaten Asiens getroffen. Die westeuropäischen ölinteressenten haben sich aber in Beirut ihre Schalt- und Dispositionsstelle für den mittleren Osten errichtet. Die meisten neutralen Staaten wickelten einen großen Teil ihrer öltransaktionen über Konten im Libanon ab. Jeder Schaden für die europäischen ölinteres-sen, jede Krisensituation in der öl-wirtschaft muß eine Katastrophe in der libanesischen Wirtschaft und Bankwelt auslösen. Von 6500 Millionen Dollar, die Saudi-Arabien, Kuwait, Libyen als Devisenreserven gehortet haben, liegen ungefähr zwanzig Prozent im Dispositionsbereich der libanesischen Banken. Einer Dollarmanipulation als Kriegsabschnitt

gegen die USA und den Westen wäre zuerst der Libanon zum Opfer gefallen. Der Libanon konnte nur hoffen, daß eine Kriegsentscheidung oder ein Waffenstillstand zustande kommt, bevor ein öl- oder ein Devisenkrieg ausgelöst wird. Der Libanon war stets nur ein sehr stiller Teilhaber an der antiisraelischen Front gewesen. In diesen Tagen des arabischen Angriffes gegen Israel sank das Interesse an jeglicher Form der Teilhaberschaft unter den Nullpunkt. Und seltsam ruhig im sommerlichruhigen Libanon verhielten sich auch jene, die noch vor drei Monaten zur Kraftprobe mit der libanesischen Armee bereit waren: die Palästinenser.

Vage und mangelhaft vorbereitet, lagen die Mitglieder der Hauptorganisationen der Palästinenser in ihren Lagern. Vollständig unvorbereitet, erfuhren die Mitglieder von Habaschs linksextremistischer Volksfront die Meldungen vom Kriegsbeginn aus den Zeitungen. Ratlos trieben sich die militanten Mitglieder der Volksfront in den ersten Tagen des Krieges auf den Straßen der Städte und auf den Dorfplätzen im Libanon herum. Die Rückwege, alle Zufahrtsstraßen in die Lager der Volksfront waren von der Armee und der Polizei abgeriegelt worden. Eine Flucht nach vorne, in die Frontbereiche war nicht möglich; Ägypter und Syrer jagten vereinzelte Freischärler davon.

Und so entsprach die Stimmung und die Vorahnung der militanten Palästinenser der unfaßbaren Situation. „Unser Volkskrieg ist es nicht“, sagte mir in Beirut ein Mann der Volksfront, den ich drei Monate vorher als Attache der irakischen Mission in Bangladesh kennengelernt hatte. Er hatte sich im Irak als Freiwilliger bei Habasch gemeldet. „Ich fühlte, daß der Krieg bevorstand. Jetzt ist es ein Krieg ohne mich und ich weiß, daß der Ausgang dieses Krieges gegen mich, gegen uns gerichtet sein wird.“

Das war kein frustrierter Diplomat, sondern ein frustrierter Soldat

der Volksfront inmitten einer Gruppe verbitterter Genossen.

Ich hatte diese Gruppe in einem Nachtcafe kennengelernt — temporäre Unterkunft der unterstandslos gewordenen Volksfrontpartisanen. Die Meinung war einhellig; das Geld komme von den Erdölfeldern, das Kriegsmaterial aus der UdSSR, die Initiative, die Kriegführung, jeder einzelne Infanteriekampf sei Angelegenheit der Armee, der kriegführenden Regierungen. „Ohne uns; aber nicht, weil wir nicht wollen, sondern weil sie uns nicht wollen“, sagte als Sprecher der immer größer werdenden Gruppe von Volksfrontpartisanen der ehemalige Attache. „Wir sind das fünfte Rad am Wagen, das sich nicht einmal mitdrehen darf. Wir sind vom ägyptischen Angriff auf Israel genauso überrascht worden wie 1967 die ägytische Luftwaffe vom israelischen Angriff. Doch zum Unterschied vom ägyptischen Generalstab 1967 ist unsere Führung heute an ihrer Ahnungslosigkeit unschuldig. Es war die Taktik der Regierungen und der Generale.“ Diese Männer der Volksfront hegten über die reaktionären Hintergründe der arabischen Geheimhaltung keine Zweifel. „Denn die Entscheidung, wie immer sie sein wird, wird auf jeden Fall ,eine Entscheidung gegen uns sein.“

Die Gemäßigten der anderen El-Fatah-Gruppen sind genauso deprimiert, aber weniger haßerfüllt — zumindest im Gespräch mit Fremden. Sie geben auch ihrer eigenen Führung die Schuld, daß sie so uninfor-miert geblieben sind, daß ihre

Kriegsposition nicht im Rücken des israelischen Feindes und nicht im israelischen Hinterland ist, sondern in den vom libanesischen Militär fest abgeriegelten Lagern. Doch selbst die Gemäßigten haben Gründe, am Vertrauen der arabischen Kriegsund Staatsführungen zur El-Fatah zu zweifeln; mehr noch am guten Willen, an der Bereitschaft, die Palästinenser als irgend etwas anderes denn als Werkzeug und Exekutivorgane in Friedenszeiten zu verwenden.

Die syrischen Palästinenserorganisationen, sonst willenlose Werkzeuge der syrischen Armee, waren, wie die unabhängigen El-Fatah-Organisa-tionen, ausgeschaltet: die Entscheidung war bei den kriegführenden arabischen Staaten einhellig und allgemein gegen die Palästinenser gerichtet. Einige verstreute Gruppen versuchten dennoch das Undurchführbare: Sabotage, Propaganda, lokale Rebellion auf israelischen Territorien. Alle Versuche scheiterten bereits am dritten Tag des Krieges. Im Gazastreifen, auf den von den Israelis zurückeroberten Golanhöhen, auf Sinai, gibt es heute keine palästinensische Widerstandsgruppe mehr, gibt es keinen ägyptischen Widerstand mehr, nachdem die Schlachten an den Fronten geschlagen sind.

Die Schlußfolgerung des irakischen Führers der Volksfront: „Weniger als wir es bisher waren, werden wir in Zukunft an ihre Beschlüsse, an ihre Vereinbarungen gebunden sein.

Und er meinte sie alle, die arabischen Staaten, und die Großmächte — nur China nicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung