6952811-1984_18_08.jpg
Digital In Arbeit

Das waren Österreichs letzte Kaiser

Werbung
Werbung
Werbung

„Die Fabel, daß Franz Joseph lediglich zubereitete Bruchstücke der Presse erhalten habe, ist eine unsinnige Erfindung. Sowohl die Morgen- als Abendzeitungen mußten auch ohne die geringsten Verstümmelungen vorgelegt werden ... Der Kaiser durchblätterte täglich außer dem Fremdenblatt und Pester Lloyd die Neue Freie Presse und das Neue Wiener Tagblatt, und es kam oft vor, daß der Kaiser die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung verlangte ..."

Dies berichtet ein anonym gebliebener Angehöriger des unmittelbaren Stabs des Kaisers, der schon 1919 seine Erinnerungen an fast zwei Jahrzehnte an der Seite des Kaisers veröffentlicht hatte.

Nun, im Zug der Habsburger-Renaissance, legt der Paul Zsol-nay-Verlag sie neu auf — und da wäre es vorteilhaft gewesen, Details, die den Zeitgenossen selbstverständlich gewesen waren, der Nachwelt in einem wissenschaftlichen Apparat zu erläutern, das Namensverzeichnis zu ergänzen, die Identität des Autors zu lüften. 65 Jahre nach Erscheinen müßte dies doch erlaubt sein.

Persönliche Erinnerungen sind subjektiv — das verhehlt auch der Autor keineswegs. So steht er nicht nur dem Thronfolger Franz Ferdinand skeptisch gegenüber, sondern auch dem Nachfolger Karl, der bei ihm wohl unverdient ungünstig wegkommt.

In „Gegenposition" dazu ist die von Erich Feigl herausgegebene Sammlung von Aufzeichnungen, Zeugnissen und Dokumenten des Kaisers Karl eine zu unkritische Apotheose des letzten Herrschers — auch sie, wie jene des Anonymus, eine reiche Sammlung vielfach noch unbekannten Materials.

Für die Spätzeit des alten Österreich ist die Tragödie von Mayerling entscheidend — deswegen kann sie auch in Darstellungen nicht fehlen, die eigentlich erst um die Jahrhundertwende einsetzen.

So bietet der Anonymus gleich drei Varianten zur Klärung des „Geheimnisses", verständlich, wenn der Autor—1919 - auf die am

Hof umlaufenden Gerüchte angewiesen war.

Weniger erklärlich ist die abenteuerliche Fassung Feigls, vermutlich beruhend auf der Darstellung, wie sie die Kaiserin Zita in der „Kronen-Zeitung" veröffentlicht hatte. Obwohl die umfassenden Darstellungen aus letzter Zeit — Fritz Judtmann, Brigitte Hamann, Adam Wandruszka — die Ereignisse vom 30. Jänner 1889 weitestgehend geklärt haben, und höchstens noch Motive und letzte Anstöße offengeblieben sind, bleibt Feigl bei der Mörderversion, bei den durch das verbarrikadierte Fenster eingedrungenen Killern... Er verfolgt die Spur der „Verschwörung Georges Cle-menceaus" über Mayerling hinweg bis nach St. Germain, bleibt aber jeden echten Quellennachweis schuldig.

Zu Mayerling verhalten sich die beiden ungarischen Autoren Imre Gonda und Emil Niederhauser von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften sehr zurückhaltend. Ihnen kommt es bei der Behandlung des Hauses Habsburg auf das „europäische Phänomen", in der Behandlung der franzisko-josephinischen Ära vor allem auf das Zusammenleben der verschiedenen Völker in der Habsburgermonarchie an. Hier ist vor allem Niederhausers Darstellung erfreulich objektiv — gerade im Hinblick auf die marxistische Basis der herausgebenden Institution.

Das Zusammenleben der Völker — das war jedoch nicht nur eine Frage der um Autonomie ringenden Politiker, der gegen die Differenzen anrennenden Regierungsfunktionäre, der polemisierenden Journalisten. „Auf ebener

Erd'" scheint es meist gar nicht so wild zugegangen zu sein.

Etwa bei den Seeleuten zwischen Triest und Fiume, die untereinander im dalmatinischen Kroatisch, mit den Beamten und Offizieren im Triestiner Italienisch verkehrten und doch alle treue Untertanen des alten Kaisers im fernen Wien waren, auch wenn nur die durch höhere Schulen Gegangenen seine Sprache sprachen.

Wer weiß heute noch mit Namen wie Cherso, Lussinpiccolo, Veglia etwas anzufangen? Die Touristensilos auf Cres, die FKK-Strände von Malij Losinj, die modernen Hotels von Krk haben mit jener Zeit nichts mehr gemein. Höchstens bei Namen wie Abba-zia, Fiume, Spalato dämmern noch Assoziationen.

Wenn aber in den Geschichten der drei Triestiner Journalisten der alte Bortolo vom Kaiserbesuch im — künstlich gefüllten — Gefängnis von Cherso erzählt, vom Deserteuer Polidrugo, der, auf die Eisenbahn-Schienen klopfend, sich von Galizien bis in die Heimat absetzt, vom König Nikita von Montenegro und seinem Orden - Anekdoten, die teils schon damals erzählt wurden —, dann zerfließt die Mär vom Völkerkerker zur Propagandamasche ehrgeiziger Politiker und Publizisten. Denn „Österreich war ein ordentliches Land!" wie Bortolo stets zu beteuern pflegt.

KAISER FRANZ JOSEPH UND SEIN HOF. Erinnerungen und Schilderungen aus den nachgelassenen Papieren eines persönlichen Ratgebers. Herausgegeben von Josef Schindler. Paul Zsolnay-Verlag Wien, Hamburg 1984. 284 Seiten, Ln., öS 175,-.

KAISER KARL. Persönliche Aufzeichnunfen, Zeugnisse und Dokumente. Herausgege-en von Erich Feigl. Amalthea-Verlag 1984. 574 Seiten, geb.. öS 298,-.

DIE HABSBURGER. Von Imre Gonda und Emil Niederhauser. Aus dem Ungarischen von Heribert Thiery. Verlag Kremayer & Scheriau, gemeinsam mit Corvina Kiadö, Budapest 1983. 430 Seiten, Ln., öS 289,-.

DENN OSTERREICH WAR EIN ORDENTLICHES LAND! Ein k. u. k. Bilderbogen. Von Lino Carpinteri, Mariano Faraguna und Fu-rio Bordon. Aus dem Italienischen von Marielore Calica. Paul Zsolnay-Verlag, Wien 1984. 302 Seiten, Ln., öS 250,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung