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DAS WARTEN AUF EIN WUNDER

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Im Sog des Nationalismus können sich Christdemokraten in Osteuropa nur schwer behaupten. Der Pluralismus macht ihnen ebenso zu schaffen. Ein Dossier über die Schwierigkeit, im ehemals kommunistischen Osten heute Christdemokrat zu sein.

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Im Sog des Nationalismus können sich Christdemokraten in Osteuropa nur schwer behaupten. Der Pluralismus macht ihnen ebenso zu schaffen. Ein Dossier über die Schwierigkeit, im ehemals kommunistischen Osten heute Christdemokrat zu sein.

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Wenn auch noch so fein gesponnen, es kommt doch an das Licht der Sonne. Für die Christdemokraten in den neuen Bundesländern Deutschlands ist dies in der aktuellen politischen Situation sprichwörtlich. Als Regierungspartei ist die CDU einer massiven Kritik nicht nur von Seiten der Opposition, sondern breiter Bevölkerungskreise in der Ex-DDR ausgesetzt. Selbst die Kirchen sind dabei keinesfalls zimperlich, wie dies der Heilige Abend in der kleinen Eichs-feldstadt Bischofferode zeigte, als gemeinsam mit Landtagsabgeordneten, Pfarrern und Ordensschwestern für soziale Sicherheit gegen die Schließung des letzten nordthüringischen Kalibergwerkes demonstrierten. Selbst Bischof Joachim Wanke von Erfurt schickte einen Solidaritätsbrief.

Gegen Funktionärs-Importe

Betroffenheit ist keine Sprache, wenn ein noch amtierender CDU-Landesvorsitzender gegen die Landesregierung polemisiert oder wenn ein CDU-Landrat an einem solchen Tag bei einer derartigen Gelegenheit offen erklärt: wir haben alle die deutsche Einheit gewollt. Aber wir haben von der Bundesrepublik Deutschland mehr Anständigkeit, mehr Korrektheit, mehr Ehrlichkeit erwartet, als das was wir erleben.

Schon seine Nichtidentifizierung als Bundesbürger gräbt den Graben zwischen Ost- und Westdeutschland tiefer. Ein Bild, das sich noch vielfach in den Mitgliederkreisen widerspiegelt, man ist empfindlich gegen „Funktionärs-Importe” aus den alten Bundesländern.

Wann lernt man endlich in Bonn? Ist die CDU noch glaubwürdig? Diese Frage tritt sofort auf, sie kann aber erst am Ende einer Legislaturperiode zum Teil beantwortet werden. Eine komplexe Einschätzung der CDU in den neuen Bundesländern ist von pro und kontra begleitet und lokale Ereignisse, wie jenes im katholischen Eichsfeld, einst ein geschlossenes Siedlungsgebiet neben der sorbischen Lausitz in der Ex-DDR, zeigen zwar ein momentanes Bild, aber sie widerspiegeln keinesfalls die Gesamtsitution.

In allen neuen Bundesländern, ohne Brandenburg, ist die CDU Regierungspartei und verfügt in den Landtagen über die erforderliche parlamentarische Mehrheit. In Sachsen regiert sie allein und stellt die absolute Mehrheit der Landtagsabgeordneten. Auf Kreis- und kommunaler Ebene ist dies sehr unterschiedlich.

In Sachsen istjederzweite Bürgermeister CDU-Mandatsträger und der überwiegende Anteil der Landräte sind CDU-Mitglieder. Ein ähnliches Bild weist die kommunalpolitische Landschaft von Thüringen aus. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern geht der Anteil zurück, während er in Brandenburg gering ist.

Nach der Wiedervereinigung 1990 stand die Ost-CDU vor scheinbar unlösbaren Problemen und Aufgaben vor Ort. Sie mußte zu einem neuen Selbstverständnis finden und ihre Vergangenheit bewältigen. Diese innerparteiliche Aufgabe der Erneuerung der Partei stellten sich alle Landesverbände, die ebenfalls neu gebildet wurden. Innerparteiliche Umstrukturierung und eine Reorganisation stellten die CDU im Osten Deutschlands in allen fünf Bundesländern vor schwierige Aufgaben und es verlief teilweise nicht ohne Komplikationen, denn jeder Umdenkprozeß erfordert Zeit.

Als Regierungspartei wurde die CDU in Deutschland vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt, die ihr mit Erreichen der historischen Chance der deutschen Einheit zufiel. Die Bewältigung der politisch-geistigen, kulturellen und materiell-ökonomischen

Erblast der Ex-DDR, ist und bleibt die größte Herausforderung für die Christdemokraten Ostdeutschlands.

Jeder falsche Schritt, jede Fehlentscheidung eines parlamentarischen Gremiums oder einer staatlichen Dienststelle löst sofort Kritik im breiten Umfeld der Bevölkerung aus, zumal Fehlentscheidungen in allen Ländern auf allen Ebenen zur Tagesordnung gehören. Und es ist kein Geheimnis, daß im ostdeutschen

Raum die CDU-Mandatsträger versagten. Andererseits erwarten Mitglieder, wie auch die Bevölkerung Wunder. 40 Jahre sozialistische Mißwirtschaft sind in drei Jahren nicht aufzuholen. Eine interessante Rückkopplung tritt zntage, die bei Bürgern, speziell der jüngeren Generation, eintritt: Resignation, politisches Desinteresse oder Neigung zum Rechtsextremismus. Noch stellt der Freistaat Sachsen ein Musterland der neuen Bundesländer dar. Dies ist dem autoritären Verwaltungsstil ihres bewährten Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf bei Wahrung der Demokratie zuzuschreiben.

Musterland Sachsen

So ermittelte das Bielefelder EMNID-Meinungsforschungsinstitut zum Jahresende 1992 die CDU mit 38 Prozent nach wie vor als stärkste Partei in Sachsen. Die SPD liegt bei 36 Prozent, die FDP bei sieben Prozent, PDS bei sieben, das Bündnis 90/Grüne bei sieben Prozent, während die Republikaner mit drei Prozent keine Chance haben.

Bemerkenswert ist, daß nach wie vor 45 Prozent der Bürger die eigene wirtschaftliche Lage als „sehr gut” oder „gut” betrachten, zwölf Prozent im Mittelfeld und nur sieben Prozent als „schlecht”. Interessant ist, wie sächsische Wähler ihren Ministerpräsidenten einschätzen: Für 73 Prozent hat er die Erwartungen erfüllt, ja übertroffen. Die anderen CDU-Landesverbände Ostdeutschlands sind kein Aushängeschild für eine Regierungspartei. In Thüringen fehlt es an einem Führungsstil.

In Sachsen-Anhalt macht die CDU wenig von ihrem Image Gebrauch und in Mecklenburg-Vorpommern hat sie eine äußerst schwache Basis. Alle drei Landesverbände sind durch Rücktritte der Ministerpräsidenten krisenanfällig. Zerstritten ist die CDU in Brandenburg, selbst der auf Empfehlung der Bonner Parteizentrale gewählte linksorientierte CDU-Mann Ulf Fink vermochte der Partei kein Profil zu verleihen, während bewährte CDU-Leute wie Diestel zu politischen Querdenkern wurden. Fakt ist, daß alle Landesverbände viele Mitglieder verloren haben.

Der zweiten großen Herausforderung, ihre Basis zu stärken, kommt die CDU in den neuen Ländern überhaupt nicht nach. Es ist eine politische Betriebsblindheit eingetreten. DieOp-position, gerade christlich orientierte SPD-Funktionäre, wissen sehr gut christliches Gedankengut, ja selbst die katholische Soziallehre als Bestandteile ihres Programmes und Ideengutes zu vermarkten, wie es der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Wolfgang Thierse anläßlich der traditionellen „Dresdner Herbstvorträge” in der St. Annenkirche im Oktober 1992 demonstrierte.

Erst wenn die christlich-konservative Wählerschaft sieht, daß die geistige Wende, die von der Union versprochen wurde, tatkräftig in Angriff genommen wird, kann sie das Vertrauen breiter Bevölkerungskreise wieder gewinnen. Im Laufe des Jahres 1993 sollte diese Wende sichtbar werden, sonst wird sich die Befürchtung bestätigen, daß die CDU 1994 bei den Wahlen abstürzt.

Für die CDU stehen die Zeiger in Ostdeutschland auf fünf Minuten vor Mitternacht. Noch kann die CDU-Parteizentrale in Bonn, noch können die Landesverbände im Osten wie im Westen Deutschlands vieles verändern. Es ist Zeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Ihre Grundherausforderung besteht darin, wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen; weniger durch politisches Taktieren, sondern durch aktives Handeln.

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