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Das wirksamste Korrektiv ist noch immer das Volk

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In ihren Länder-Beilagen will die FURCHE nicht nur über das jeweilige Bundesland berichten, sondern auch prominente Politiker aus dem betreffenden Land zu allgemeinen politischen Fragen Stellung nehmen lassen. Beschäftigte sich in der letzten Oberösterreich-Beilage der Linzer Altbüxgermeister Ernst Koref(SPÖ) mit dem innenpolitischen Klima in Österreich, so brachte diesmal der Niederösterreicher Hermann Withalm seine Gedanken über die Entwicklung der Republik von 1918 bis zur Volksabstimmung über Zwentendorf zu Papier. Withalm, der kürzlich erklärte, er werde nicht mehr für den Nationalrat kandidieren, ist als Obmann des Seniorenbundes der ÖVP nach wie vor hochaktiv. Seinen Beitrag will er nicht als Plädoyer für eine große Koalition, aber als Ausdruck der Sorge angesichts einer immer schmäler werdenden Gesprächsbasis zwischen den Parteien verstanden wissen.

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In ihren Länder-Beilagen will die FURCHE nicht nur über das jeweilige Bundesland berichten, sondern auch prominente Politiker aus dem betreffenden Land zu allgemeinen politischen Fragen Stellung nehmen lassen. Beschäftigte sich in der letzten Oberösterreich-Beilage der Linzer Altbüxgermeister Ernst Koref(SPÖ) mit dem innenpolitischen Klima in Österreich, so brachte diesmal der Niederösterreicher Hermann Withalm seine Gedanken über die Entwicklung der Republik von 1918 bis zur Volksabstimmung über Zwentendorf zu Papier. Withalm, der kürzlich erklärte, er werde nicht mehr für den Nationalrat kandidieren, ist als Obmann des Seniorenbundes der ÖVP nach wie vor hochaktiv. Seinen Beitrag will er nicht als Plädoyer für eine große Koalition, aber als Ausdruck der Sorge angesichts einer immer schmäler werdenden Gesprächsbasis zwischen den Parteien verstanden wissen.

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Die verschiedenen Veranstaltungen zum 60. Jahrestag der Gründung der Republik Österreich boten nicht nur Anlaß zu einer Rückschau, sondern vor allem auch zu einer Bestandsaufnahme und zugleich zu einem Blick in die Zukunft unseres Vaterlandes.

Bevor ich mich mit der Gegenwart und Zukunft auseinandersetzte, scheint es mir nicht nur zweckmäßig, sondern sehr notwendig zu sein, einen Blick zurück zu tun. Es kann für jeden, dem das Wohl und Wehe seines Volkes wirklich am Herzen hegt, nur von Nutzen sein, wenn er sich mit offensichtlichen Fehlentwicklungen nicht nur auseinandersetzt, sondern, wenn er die sich daraus ergebenden Konsequenzen auch tatsächlich zu ziehen, d. h. also aus Fehlern zu 1er-nen.bereit ist.

Wenn ich von Fehlentwicklungen in der Ersten Republik spreche, möchte ich gar nicht so sehr von Ereignissen sprechen, die gemeiniglich

„Es war unbestreitbar ein Unglück für Österreich, daß es damals nicht möglich war, eine gemeinsame Basis zu finden...“

als die entscheidenden für das letztendliche Scheitern der Ersten Republik angesehen werden. Hier muß der 15. 7. 1927 genauso genannt werden, wie der 4. 3. 1933, der Tag der sogenannten Selbstausschaltung des Parlamentes, oder der 12. 2.1934, an dem es zum Schrecklichsten, was es im Leben eines Volkes geben kann, zum Bürgerkrieg, kam. Ich möchte auch nicht vom 25. 7. 1934, dem Tag der Ermordung von Engelbert Dollfuß und auch nicht vom 11. 3. 1938, mit welchem Tag Österreich faktisch zu bestehen aufhörte, sprechen.

Ich möchte vielmehr auf Ereignisse hinweisen, die vor den ebenerwähnten, schicksalhaften Tagen lagen und die mehr oder weniger erst die Voraussetzung dafür geschaffen haben, daß es dann zu einem 15. 7. 1927, zu einem 4. 3. 1933, zum 12. 2. 1934 und schließlich zum Untergang Österreichs kommen konnte.

Ich halte nicht viel davon, darüber zu reden, wie die Entwicklung im Leben eines Volkes gewesen wäre, wenn sich bestimmte Ereignisse nicht oder anders abgespielt hätten. Wir haben uns mit den historischen Fakten auseinanderzusetzen.

Und trotzdem scheint es irgendwie reizvoll, ja darüber hinaus vielleicht gar nicht ganz nutzlos zu sein - dies allerdings nur dann, wenn man ent-

sprechende Lehren zu ziehen bereit ist - Überlegungen in der Richtung anzustellen, ob die Entwicklung der Ersten Republik den gleichen Lauf genommen hätte, ob es etwa zum 15. 7. 1927 auch dann gekommen wäre, wenn die Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten im Jahre 1920 nicht zerbrochen wäre, sondern wenn sie weiterbestanden hätte.

Wenn ich soeben von der gescheiterten Koalition des Jahres 1920 gesprochen habe, dann drängt sich mir

die Frage auf, ob es wohl zum 4. 3. 1933 und zum 12. 2. 1934 auch dann gekommen wäre, wenn Otto Bauer der beschwörenden Aufforderung Ignaz Seipels nachgekommen wäre -als es um die Zustimmung zur Lau-sanner Anleihe ging - im Interesse Österreichs alles Trennende zurückzustellen und sich zu einer gemeinsamen Arbeit zusammenzufinden?

Es war unbestreitbar ein Unglück für Österreich, daß es damals nicht möglich war, eine gemeinsame Basis zu finden, wie es anderseits ein ausgesprochener Glücksfall für unser im Jahre 1945 wiedererstandenes Vaterland war, daß sich die beiden großen politischen Lager, die sich erst elf Jahre vorher in einem blutigen Bürgerkrieg als Feinde gegenübergestanden waren, die Hand reichten und den Wiederaufbau gemeinsam in Angriff nahmen.

Wenn ich nun von drei bedeutungsvollen Ereignissen in der Geschichte unserer Republik gesprochen habe - einer zerbrochenen, ei-

ner nicht zustandegekommenen und der geglückten Zusammenarbeit des Jahres 1945 -, dann komme ich nun zu einem Ereignis, dessen Bedeutung für die weitere Entwicklung unseres Staatswesens ich ungemein hoch einschätze. Ich spreche von der nicht zustandegekommenen Zusammenarbeit nach den Wahlen vom 1. 3. 1970.

Heute steht wohl für jeden, der sich bemüht, die Entwicklung der Dinge objektiv zu beurteilen, fest, daß die fast neun Jahre, die seit damals ver-

gangen sind, unserem Staatswesen nicht gerade gut bekommen sind, wie gerade in diesen Tagen und Wochen mehr und mehr offenbar wird. Die Entscheidung des Jahres 1970, eine Minderheitsregierung zu bilden, war ganz eindeutig und ausschließlich von parteipolitischen Gesichtspunkten diktiert und dies kann letzten Endes, wie uns die Beispiele aus der Er-

„... dies kann letzten Endes, wie uns die Beispiele aus der Ersten Republik eindrucksvoll vor Augen führen, zu nichts Gutem führen.“

sten Republik eindrucksvoll vor Augen führen, zu nichts Gutem führen.

Ohne mich jetzt mit der momentanen Situation unseres Staatswesens und vor allem mit der parlamentarischen Demokratie, wie sie bei uns in

Österreich derzeit gelebt und praktiziert wird, im Detail auseinandersetzen zu wollen, möchte ich als einer von vielen, denen die gegenwärtige Entwicklung manche ernste Sorge bereitet, zu einigen Schlußfolgerungen kommen.

Als die sozialistische Minderheitsregierung im Jahre 1970 die alleinige Macht übernahm, war viel von „Demokratisierung aller Lebensbereiche“, vom „Kampf gegen die Armut“ die Rede. Mittlerweile hat sich in den mehr als acht Jahren, die seither ver-

gangen sind, gezeigt, daß die unumschränkte Machtausübung die größte Gefahr für die parlamentarische Demokratie und vor allem für denjenigen, der sie innehat und ausübt, bedeutet. Was mir eine ganz besondere Sorge für die Zukunft bereitet, ist der Umstand, daß die Gesprächsbasis zwischen den ehemaligen Partnern schmäler und schmäler wird und daß ich vor allem auch immer weniger Gesprächspartner sehe, die miteinander wirklich reden können.

Ich würde mit meinen Ausführungen vollkommen mißverstanden, wenn sie als Plädoyer für eine große Koalition, die möglichst bald wieder kommen soll, verstanden würden. Darüber, wie in den nächsten Jahren in Österreich regiert werden wird, entscheiden ausschließlich die Wähler bei den nächsten Nationalratswahlen. Wie immer diese Entscheidung ausfallen wird; eines muß heute schon feststehen: Bei den den Wahlen folgenden Regierungsverhandlungen muß das staatspolitische Ver-

antwortungsbewußtsein absolute Priorität vor allen parteitaktischen Überlegungen haben.

Ein Weiteres, ganz Entscheidendes muß sodann noch hinzukommen: Der beste Garant gegen ein zu starkes Hervortreten pärteitaktischer Überlegungen ist der Ausbau und die Festigung der parlamentarischen Demokratie und die unmittelbare Kontrolle der Machtausübenden durch das Volk. Nichts ist dazu besser geeignet als eine Stärkung und eine wesentliche Ausgestaltung der unmittelbaren Demokratie.

Es ist ungemein bedauerlich, daß die erste Volksabstimmung in Österreich am 5. 11. 1978 an einem völlig untauglichen Objekt zur Anwendung kam und daß sie daher kein Dienst an der unmittelbaren Demokratie sein konnte. Das darf jedoch unter gar keinem Umstand der Anlaß dafür sein, mit der unmittelbaren Demokratie, kaum daß wir mit ihr begonnen haben, auch schon wieder Schluß zu machen. Das wäre der schlechteste Dienst, den wir uns selbst und unserer Demokratie erweisen könnten.

Ich plädiere daher mit aller Entschiedenheit dafür, daß wir uns dadurch, daß das Instrument der Volksabstimmung bei seiner erstmaligen Anwendung an einem völlig untauglichen Objekt durchexerziert wurde, nicht entmutigen lassen. Das wirkungsvollste Korrektiv gegenüber jeder Regierung, aus welchen Parteien sie immer zusammengesetzt sein mag, ist noch immer das Volk selbst, wenn man ihm nur die entsprechenden Möglichkeiten in Form von Volksabstimmungen und Volksbegehren nach Schweizer Muster einräumt.

Davon sind wir in Österreich momentan noch weit entfernt Je eher wir uns dazu entschließen, desto segensreicher wird sich dies für die Festigung und Stärkung der parlamentarischen Demokratie in unserem Vaterland auswirken.

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