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Das Wort, das in der Wüste wächst

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Auszug aus der Rede des Diözesanbischofs von Gurk-Klagenfurt bei der Überreichung der Preise des Styria-FURCHE-Wett- bewerbes am 13. Jänner 1983 in Wien.

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Auszug aus der Rede des Diözesanbischofs von Gurk-Klagenfurt bei der Überreichung der Preise des Styria-FURCHE-Wett- bewerbes am 13. Jänner 1983 in Wien.

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„Wenn das Wort wächst, dann mindern sich die Wörter“, hat Augustinus in einer Predigt gesagt: „Verbo crescente verba deficiunt“. Wort ist hier gemeint als Spruch, Zuspruch Gottes, der sich in jenem Jesus Christus vollendet, den der Johannesprolog einfach das „Wort“ nennt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“.

Diesen ungeheuren, Christen wie Nichtchristen bewegenden Spruch nimmt der Lyriker Ernst

Jandl in Dienst, um zeitkritisch die nichts verschonende Zerstörung der Sprache und so auch die Zerstörung der Humanität anzuklagen. Durch Weglassen und Umstellen von Buchstaben und Silben wird das johanneische Ur- wort allmählich in ein sinnloses Lallen verwandelt. Jandl nennt sein kritisches Sprachgebilde „fortschreitende Räude“.

Der Kärntner Maler Giselbert Hoke hat eben diese Kritik am Verderb und Verlust der Sprache in einem neuen Fresko in einer Linzer Studentenkapelle zu bewegendem Ausdruck gebracht. Das Bild zeigt Christus am Kreuz und Menschen, die, auf Leitern stehend, dabei sind, einen schlotähnlichen Turm um den Gekreuzigten zu bauen.

Dieser Turmbau neuer Art ist schon weit gediehen, der Gekreuzigte teilweise schon dem Blick entzogen. Ringsum aber sind Rednerpulte aufgestellt, von denen Demagogen ihre Parolen schmettern, die wie Geschoße davonfliegen, aber schon im Flug zerfallen. Der Christus am Kreuz und seine Botschaft widerstehen, meint der Maler wohl, dem räudigen, demagogischen, banalen Wort der Demagogen.

Die Klage über Sprachnot und die Anklage des Mißbrauches der Sprache sind freilich nicht neu, spannen vielmehr große Bögen:

von der Einrede des Propheten Jeremias gegen seine Berufung „Ich kann nicht reden“ und von seinem Zorn auf die Falschpropheten bis zu Goethes gelassener Feststellung, daß die Sprache nicht auf alles eingerichtet sei, von den Vorsokratikern bis zu Hölderlin, der in seinem letzten an die Mutter gerichteten Brief schreibt: „Mich auszudrücken; ist mir so wenig gegönnt gewesen im Leben“.

„Unsere Epoche, die redseligste von allen, äußert sich unaufhörlich und bringt sich dennoch nicht zu Wort“, hat Manės Sperber angemerkt. Unser Zeitalter des Kunststoffs produziert auch sprachlich viel solchen Kunststoffs und verschont auch Religionen und Kirchen nicht, wenn sie nicht—wie die orthodoxe Christenheit-zäh am Überkommenen festgehalten haben.

In der erneuerten katholischen Liturgie wird zu viel geredet, hat die russische Dissidentin Tatjana Goritschewa beklagt. Es fehlen

das Schweigen, die Schönheit, die mystische Dimension.

Die leisen, zuweilen prophetischen Stimmen werden heute vielleicht noch leichter überhört als in anderen Zeiten.

„Wenn die Propheten einbrächen

durch Türen der Nacht mit ihren Worten Wunden reißend

in die Felder der Gewohnheit …

Wenn die Propheten einbrächen

durch Türen der Nacht und ein Ohr wie eine Heimat suchten —

Ohr der Menschheit du nesselverwachsenes, du mit dem kleinen Lauschen beschäftigtes, würdest du hören?“

Das Werk der Nelly Sachs, die solche Verse aus der Kraft jüdischen Leidens und Mitleidens geformt hat, war eine solche leise Stimme. Wo aber und wie könnte sich die Heilung des Gehörs und des Sprachvermögens ereignen?

Hölderlin: „Der Ort aber war die Wüste“. Jesus war in der Wüste, bevor er anfing, in Vollmacht so zu reden, daß die Menschen außer sich gerieten durch die Kraft seiner Botschaft.

Nur wenige gehen freiwillig in die Wüste—was immer Wüste sein mag: die Wüste Juda für Jesus, das Krankenbett für viele, die Zürcher Bibliothek für Lenin, der Archipel Gulag für Solschenizyn.

Denn in dieser Wüste ist zwar ein Brunnen, der hinabreicht in die Tiefe des Seins. Wüste ist aber auch ein Ort der Anfechtung, der Versuchung, aufzugeben oder sich den Dämonen auszuliefern. Auch Dostojewskijs Großinquisitor war in der Wüste und ist verhärtet wiedergekommen.

In der Wüste wächst das Wort: das leise oder laute Wort, Lob, Klage, Anklage, Beschwörung.

Arm wie das.Kind von Betle- hem ist das neue religiöse Wort, das neue kirchliche Wort inmitten der Wörter und Worte heutiger Literatur. Dieses Wort wird nur wachsen, wenn Menschen, die es sagen sollen, sich der Wüste, dem Schweigen und dem Leiden nicht entziehen. Wenn genug geschwiegen und gelitten sein wird, dann wird sich wieder einmal der Traum Dietrich Bonhoeffers erfüllen, den er kurz vor seiner Hinrichtung in einem Brief ausgesprochen hat:

„Es wird eine Zeit kommen, ich weiß nicht wann, da werden Menschen das Wort Gottes so neu sagen können, daß andere aufhorchen und erstaunen und sich verändern.“

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