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Das Wort der Wähler

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Mit der Durchführung einer Abstimmung über Probleme der Parteireform, an der alle ihre Mitglieder teilnehmen konnten, hat die ÖVP zweifellos ein Zeichen gesetzt. Sie hat zum ersten Mal dem Grundsatz „Partizipation" Raum gegeben, den sie in ihrem 1971 beschlossenen Salzburger Programm wie folgt definierte:

„Die ÖVP will, daß immer mehr Menschen immer stärker an den gesellschaftlichen Vorgängen beteiligt werden, die ihr Leben bestimmen. Mehr Demokratie ist mehr Teilnahme von mehr Menschen an mehr gesellschaftlichen Entscheidungen. Darin liegt die aktuelle Verwirklichung der Idee der Volkssouveränität" (3.7.1).

Plebiszitäre Entscheidungsvorgänge sind in Österreich an sich nichts Neues. Zwar werden sie weitaus sparsamer eingesetzt als in der volksabstimmungsfreudigen Schweiz, doch sind Volksbegehren wie jenes über die Rundfunkreform und Volksabstimmungen wie jene über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes dafür um so relevanter für die politische Entwicklung.

Das Besondere an der ÖVP-Ab-stimmung war, daß sich eine politische Partei bei der Erneuerung ihrer organisatorischen Struktur an die eigenen Mitglieder "wandte. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil die Führungsgremien und Führungsfunktionäre dabei ziemlich sicher sein konnten, daß die Ergebnisse zu einer Verringerung der Autonomie der Führungseliten und -Oligarchien führen würden. Die Ergebnisse geben dem kommenden Bundesparteitag dementsprechend auch deutliche Aufträge:

Direktwahl der Leitungsgremien durch die Parteitage, Leistungsnachweise durch Funktionäre und strengere Bestimmungen gegen Ämterhäufung sowie Initiativrecht für Mitgliederbefragungen für ein Zehntel der Mitglieder wurden von jeweils mindestens drei Viertel der Abstimmenden gefordert. Dieser überwältigenden Mehrheit nicht zu folgen, erscheint kaum möglich.

Die praktischen Folgen der ebenfalls mehrheitlich geforderten Vorrangstellung der Gesamtpartei werden demgegenüber vergleichsweise gering sein. Denn einerseits heißt es bereits im geltenden Parteistatut (§ 4 Abs. 6), daß die Teilorganisationen „den Vorrang der Gesamtpartei zu wahren und für die Ziele der ÖVP einzutreten (haben)". Anderseits wäre es für die in den Teilorganisationen organisierten großen Mitgliedergruppen weder psychologisch möglich noch politisch zweckdienlich gewesen, für das Ende ihrer eigenen Interessengruppen einzutreten.

Insofern war die erste der gestellten Fragen von vornherein an der Grenze der Augenauswischerei angesiedelt. Ihr Ergebnis kann als Resolution zur besseren Einhaltung des geltenden Statuts interpretiert werden. Und auch die Frage, ob man zuerst der Partei und dann einem Bund beitritt oder umgekehrt, ist in der Praxis so relevant wie jene, ob man zuerst die Fahrkarte löst und dann die Platzkarte oder umgekehrt.

Was das Ergebnis der Urabstimmung aber in anderem Zusammenhang interessant macht, ist die Frage der Organisationsdichte und der politischen Geschlossenheit der ÖVP -' insbesondere in regionaler Hinsicht.

In den Analysen der Tagespresse hat man sich damit begnügt, die einzelnen Ergebnisse an der Gesamtzahl der versendeten Stimmzettel zu messen. Im folgenden soll deshalb versucht werden, noch einige zusätzliche Aspekte zu beleuchten (vergleiche hiezu die untenstehende Tabelle).

Durch den Versand von 836.475 Stimmzetteln wurde unterstellt, daß die ÖVP zur Zeit über ebenso viele Mitglieder verfügt. Bei näheren Erkundigungen wurde sofort eingeschränkt, daß es sehr wohl möglich gewesen sei, daß das eine oder andere Mitglied auch mehr als einen Stimmzettel zugeschickt bekommen hat. Doch das soll nicht auf die Goldwaage gelegt werden, kann ja der Mitgliedschaft bei mehreren Teilorganisationen durchaus auch ein mehrfaches Stimmrecht entsprechen, obwohl die bereinigte Zählung nach physischen Personen sicher vorzuziehen wäre.

Was aber besonders auffällt, ist die unterschiedliche Organisationsdichte der ÖVP in den einzelnen Bundesländern. (Unter Organisationsdichte ist der Anteil der ÖVP-Mitglieder an der gesamten Wählerschaft der ÖVP - Stimmen bei der Nationalratswahl 1979 - zu verstehen.) Hier zeigt sich, daß in den stark urbanisierten Bundesländern Wien und Vorarlberg nur etwa ein Sechstel bzw. ein Drittel der Wähler der ÖVP auch Mitglieder sind. Aber auch in Tirol und Kärnten sind es nicht mehr als ein Drittel. Hingegen sind in Niederösterreich nicht weniger als zwei Drittel der Wähler auch Mitglieder der ÖVP.

Sieht man sich in einer zweiten Betrachtung das Ergebnis der Urabstimmung in Prozenten der Wählerschaft der ÖVP an (6. Spalte), so kommt man zu noch größeren Diskrepanzen nach Bundesländern. Während in Wien nur etwas über 5 Prozent der Wähler der großen Oppositionspartei an der Abstimmung teilnahmen und in Vorarlberg 12,8 Prozent, waren es in Niederösterreich erstaunliche 42,7 Prozent.

Das Ergebnis von Niederösterreich und auch vom Burgenland (33,2 Prozent) kann als schlüssiger Beweis dafür genommen werden, daß der wirkliche Kontakt mit der Basis der Wählerschaft nur in ländlichen Gebieten möglich ist, wo ja auch die Abstimmung mehr in Form von Hausbesuchen als auf schriftlichem Wege vorgenommen wurde. In den alpinen Bundesländern konnten zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Wählerschaft mobilisiert werden -auch noch ein hoher Wert.

Als dritte Möglichkeit, die regionale Schlagkraft der ÖVP einzuschätzen, kann noch die Antwort auf die letzte Frage, jene nach der Bereitschaft zur Leistung eines Direktbeitrages von S 5 - an die Gesamtpartei, herangezogen werden. Während in Wien kaum 4 Prozent der ÖVP-Wähler soviel Motivation besitzen, den Gegenwert einer halben Straßenbahnkarte als zusätzlichen Monatsbeitrag an die Parteizentrale abzuführen, steigt diese Bereitschaft auch in den beiden Agrarländern Niederösterreich und Burgenland nur auf 17 Prozent.

Mit diesen Werten (8. Spalte) ist somit der „harte Kern" definiert, den die Bundespartei in den einzelnen Ländern für sich voll begeistern kann. Im Bundesdurchschnitt sind es 200.000 oder 10 Prozent der ÖVP-Wähler.

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