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„Das Wort vom letzten Preußen“

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Auf dem Parteitag der CSU in München, zwei Wochen vor den Kommunalwahlen, ist Franz Josef Strauß mit 426 von 459 gültigen Stimmen eindrucksvoll in seinem Amt als Vorsitzender für weitere zwei Jahre bestätigt worden.

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Auf dem Parteitag der CSU in München, zwei Wochen vor den Kommunalwahlen, ist Franz Josef Strauß mit 426 von 459 gültigen Stimmen eindrucksvoll in seinem Amt als Vorsitzender für weitere zwei Jahre bestätigt worden.

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Die Delegiertenversammlung der CSU, die diesmal wegen der Olympiatermine nicht in der großräumig-nüchternen Bayernhalle, sondern in der eleganten Enge des neuen „Sheraton-Hotels“ ablief, stand neben den Wahlen, die auch in der übrigen Parteispitze mehr Bestätigung als Veränderung bewirkten, und einigen eher nebensächlichen Satzungsdiskussionen ganz im Zeichen der jüngsten Bonner Ereignisse: Ostverträge, Patt im Bundestag und Spannungen mit der CDU. Strauß hatte den Namen Barzels in seiner Rede bewußt ausgelassen; als der CDU-Vorsitzende, der sonst anwesend zu sein pflegt, telegraphisch aus der Ferne zur Neuwahl gratulierte und dabei einer Hoffnung auf „gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Interesse der großen Sache“ Ausdruck verlieh, blieb der Applaus mäßig.

Der Stellvertretende CDU-Vorsitzende Kohl fand dagegen mit seinem Gastreferat durchaus positive Aufnahme. Spannungen — so meinte der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz — gehörten zum normalen Alltag seiner Volkspartei. Die CSU habe aber noch in jeder kritischen Lage bewiesen, daß sie in der Lage sei, „in voller Würdigung ihrer Eigenart“ auch ihre Verantwortung für das Ganze zu sehen und danach zu handeln.

Strauß hatte im Verlauf seines zweieinhalbstündigen Rechenschaftsberichts insbesondere zur Ost- und Europapolitik, zu Wirtschafts- und Finanzproblemen sowie ebenfalls zu Neuwahlen Stellung genommen. Die Ostverträge — so präzisierte der CSU-Vorsitzende vor seiner Wiederwahl — seien zwar parlamentarisch abgeschlossen, als „politische Belastung mit noch nicht übersehbaren

Auswirkungen auf die deutsche und europäische Zukunft“ würden sie jedoch weiterhin auf dem Tisch bleiben. Moskau sehe darin lediglich die erste Etappe einer langfristigen Strategie, nach deren Durchführung man nicht nur Deutschland nicht wiedererkennen, sondern auch Europa etwas anders vorfinden werde, als sich das die innerdeutschen und westlichen Befürworter der Verträge vorgestellt hätten. Es handle sich somit um einen Auftakt, „bei dem man Kooperation verkündigt, um Konfrontation zu praktizieren und Expansion zu betreiben“.

Im Hinblick auf die Sicherheitskonferenz und die zu erwartende Aufwertungswelle zugunsten der DDR forderte Strauß die Regierung auf, eine Europapolitik zu betreiben, die nicht in den Volksfrontkräften uic xxunuuiig am ein cuianicij^aiusiertes, nationalstaatlich zersplittertes, wehrloses, von Moskau kontrolliertes Europa verstärke.

Im Verlauf seiner weiteren, plastisch-farbigen Ausführungen war Strauß bestrebt, der Regierungskoalition und ihren hauptsächlichsten Vertretern ein ständig wachsendes Abrücken von ihrem ursprünglichen Demokratieverständnis nachzuweisen. Brandt habe nicht nur als Bundeskanzler, sondern auch als Parteivorsitzender versagt. Er habe es zugelassen, daß aus der Volkspartei des Godesberger Programms eine Volksfrontpartei mit der logischen Konsequenz dieser Verträge geworden sei. Die Bundesregierung wage es gar nicht, den Linksradikalismus ernsthaft anzupacken, weil sie die zarten Bande zwischen Bonn und Moskau nicht belasten wolle.

Bei den Podiumsdiskussionen fand insbesondere die vom Sprecher des außenpolitischen Ausschusses der CDU/CSU, Marx, und vom Vorsitzenden der CDU-Landesgruppe in

Bonn, Stücklen, bestrittene Debatte über die Ostverträge die größte Aufmerksamkeit der Delegierten. Hier manifestierte sich recht deutlich Unzufriedenheit, insofern „die überwiegende Mehrzahl der CSU nicht einverstanden ist mit dem, was die Landesgruppe und die CDU/CSU entschieden haben“, wie es ein Landtagsabgeordneter unter großem Beifall formulierte. Die CSU-Parlamentarier und Strauß wurden aufgefordert, das Wort vom „letzten Preußen“ wenigstens beim noch ausstehenden Vertrag mit Prag wahrzumachen. Ein Mitglied der Jungen Union plädierte beredt für eine „offensive Politik“.

Strauß nahm dieses Motiv am Schluß seiner Parteitagsrede wieder auf, als er das Funktionieren der Politik der CDU/CSU von einer starken CSU abhängig machte, die man nicht nur zur klaren Aussage, sondern auch zum entschlossenen Handeln benötige. Diese Partei müsse nicht nur als Führungskraft für Bayern erhalten, „sondern auch als Kraftquell und Hort des Vertrauens für viele Deutsche außerhalb Bayerns glaubwürdig“ gemacht werden.

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