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Das Wunder von Taize

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Wer behauptet, daB es heutzuta-ge keine Wunder mehr gabe und man daher auch die biblischen Berichte iiber solche njcht nachvollziehen konne, wurde durch das Wiener Treffen von iiber hunderttausend Jugendli-chen, die aus aller Herren Lander hierher stromten, um Gott zu loben und zu danken, widerlegt. Mitten im kalten Winter begab sich eine Wiederholung des Pfingstwunders, eine moderne Abwandlung der religiosen Ergriffenheit der christlichen Urgemeinde.

Dieses Treffen reicht schon der Zahl nach an die groBten Jugendversammlungen und -kundgebungen heran, die in diesem Jahrhundert in Wien stattgefunden haben. Als Ver-gleich seien zwei GroBveranstal-tungen politischer Natur heran-gezogen: das internationale sozialistische Jugendtreffen, das im Juli 1929 stattfand und das noch von der Siegeszuversicht des sich nahe dem Ziel aller seiner Wiinsche wahnenden Sozialismus und Austromarxis-mus befliigelt war, und die Weltjugendfestspiele 1959, die als kommunistische Propaganda-veranstaltung geplant waren, durch die AbwehrmaBnahmen der osterreichischen Offentlich-keit aber zu einer Gelegenheit wurden, nach Wien komman-dierte und zu einem billigen Urlaub verfiihrte junge Men-schen durch eine intensive Aufklarung mit der Realitat zu konfrontieren und sie von den Trugbildern der Veranstalter loszureiBen.

Die bloBe Vorstellung, es hatte auch diesmal eine Gegenveran-staltung und abwerbende Aufklarung geben konnen, muB in das Reich der Absurditat verwiesen werden. Denn welche Kraft hatte diese Arbeit leisten konnen und welche Gegenbotschaft hatte sie anzubieten gehabt?

Doch schon diese Uberlegung macht deutlich, daB die alten Ideologien und sakularisierten Ersatzreligionen, die noch vor Jahrzehnten imstande waren, Massen zu mobilisieren und zu kommandieren, abgewirtschaf-tet haben und heute nicht mehr in der Lage waren, auch nur einen Bruchteil der Jugend-lichen hinter dem Ofen hervorzu-locken, die in Wien im Geiste von Taize beisammen waren. Wahrend die ideologischen Zerrbilder und Kopien verblaBt sind, leuchtet die verblaBt scheinende wahre Urbotschaft des Christentums wieder auf und schlagt auch junge Menschen in ihren Bann.

Die Busse und Bahnen der Wiener Verkehrsbetriebe, die die Aufschrift „Taiz6” trugen, fiihrten wirklich nach Taize, denn der Geist, der bekanntlich weht, wo er will, breitet sich wie der Wind auch an andere Orte aus und hat sich um die Jahreswende fiir einige Tage zu unserer aller Freude auch in Wien niedergelassen.

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