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Das Ziel heißt: Gesellschaftsreform

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„Gelingt es, ein Seminar oder Institut der spätkapitalistischen Hochschule plebiszitärer Kontrolle zu unterwerfen und Wissenschaft an ihm aus dem kapitalistischen Verwertuhgs-zusammenhang zu desintegrieren mit dem Ziel, Wissenschaft in revolutionäre Praxis einzubringen, ist diese Institution befreites Gebiet.“ Das steht in einer „ASTA-Information“ vom 12. Dezember 1968, Nummer 30, Seite 4. ASTA ist die offizielle bundesdeutsche Studentenorganisation, die etwa unserer „Hochschülerschaft“ entspricht. Data Zitat stammt aus einem Bericht über eine „Exemplarische Demokratisierung“ am Psychologischen Institut Hannover.

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„Gelingt es, ein Seminar oder Institut der spätkapitalistischen Hochschule plebiszitärer Kontrolle zu unterwerfen und Wissenschaft an ihm aus dem kapitalistischen Verwertuhgs-zusammenhang zu desintegrieren mit dem Ziel, Wissenschaft in revolutionäre Praxis einzubringen, ist diese Institution befreites Gebiet.“ Das steht in einer „ASTA-Information“ vom 12. Dezember 1968, Nummer 30, Seite 4. ASTA ist die offizielle bundesdeutsche Studentenorganisation, die etwa unserer „Hochschülerschaft“ entspricht. Data Zitat stammt aus einem Bericht über eine „Exemplarische Demokratisierung“ am Psychologischen Institut Hannover.

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Inzwischen haben verschiedene Hochschulgesetze in der Bundesrepublik einen Zustand geschaffen, der faktisch darauf hinausläuft, die wissenschaftliche Arbeit an den deutschen Hochschulen weitgehend einer Art plebiszitärer Kontrolle zu unterwerfen. Damit wird das, was man nach dem bisherigen europäischen Standard unter wissenschaftlicher Sachlichkeit und akademischer Selbstverantwortung verstand, unter dem Namen der Demokratisierung einer immer mehr fortschreitenden Politisierung ausgeliefert.

Helmut Schelsky hat in einem sehr beachtenswerten Aufsatz über das Thema: „Mehr Demokratie oder mehr Freiheit?“ nachgewiesen, wie komplex die Probleme sind, und wie die sogenannte „Demokratisierung“ der Sachbereiche zwangsläufig auf ihre Politisierung hinausläuft. Diese Politisierung aber führt — entgegen allen Beteuerungen — statt zu einer Erhöhung der Sachlichkeit zur Irra-tionalisierung. Jede auf Mehrheitsentscheidungen angewiesene Gruppierung von Nichtsachverständigen, die über äußerst komplexe Fragen entscheiden müssen, erfordert „Methoden der .Reduzierung von Komplexität'“. Eine dieser Methoden besteht, wie Schelsky darlegt, „in einer gesteigerten ideologischen Primitivi-sierung der anstehenden Entscheidungen“. Diese Methoden zur „Senkung der politischen Rationalität oder Entsachlichung hat“, wie er weiter sagt, „der Soziologe Karl Mannheim — wie Schumpeter ein sozialistisch gesinnter Demokrat — als den Vorgang der .Fundamentaldemokratisierung' ausführlich beschrieben.“

Die Art der Verwendung des Begriffes der Demokratisierung im Zusammenhang mit Fragen der Hochschulreform ist bereits in sich ein anschaulicher Beweis für jene ideologische Primitivierung, von der Schelsky spricht. Es wird so getan, als ließen sich die überaus komplexen Fragen der Hochschulreform dadurch lösen, daß die bisher allein entscheidungsbefugten Professoren ihrer „Privilegien“ endlich entkleidet und einer „demokratischen“ Kontrolle unterworfen werden. Dabei ist es leicht, in der öffentlichen Meinung Ressentiments gegen die angeblich reformunwilligen und autoritären Professoren zu schüren, denen man die „Reform“ eben gegen ihren Willen über die Ohren ziehen müsse. Und wenn sich die „bürgerlichen Parteien“ gegen diesen „Fortschritt“, gegen die Befreiung der Hochschulen aus der autokratischen Alleinherrschaft der Professoren, stellen wollen, dann wird, wie bereits wiederholt angekündigt, eben die sozialistische Parlamentsmehrheit das allein durchsetzen. Dazu ist noch später ein Wort zu sagen. Aber nun zunächst zu jenen Privilegien der Professoren, um die es gehen soll.

Das Grundrecht

Was wir heute im Sinne des Staatsgrundgesetzes von 1867 „über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“ als Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre verstehen (Art. 17, Abs. 1 StGG.), erscheint in den Berliner Universitätsstatuten von 1816 tatsächlich noch in Gestalt eines „Zensurprivilegs“ für Professoren. Die moderne Fassung dieses Grundrechtes hat sich aus diesem Zensurprivileg gegenüber der damals absoluten Monarchie entwik-kelt. Will man nun dieses Grundrecht, das als große Errungenschaft und als Fortschritt der Freiheit ge-

feiert wurde und das die rechtliche Grundlage für die Entwicklung einer von allen sachfremden Einflüssen freien Wissenschaft bildet, wieder in den Stand eines Privilegs zurückversetzen, um es dann abschaffen zu können? Oder welche Privilegien haben die Professoren sonst? Alles, was im Rahmen der Hochschulautonomie den Professoren an Entscheidungsbefugnissen gesetzlich durch die demokratische Volksvertretung einge-

räumt wurde, hat seinen Ursprung in diesem Grundrecht. Im übrigen sind die Professoren der Rechtsordnung unterworfene Beamte des Bundes. Es mögen doch einmal jene angeblichen Privilegien genannt werden, die man abschaffen will.

Daß es leider auch unter den Professoren solche gibt, die ihre Pflichten nicht ernst nehmen oder die im Rahmen der Hochschulautonomie eingeräumten Rechte als Narrenfreiheit mißverstehen oder gar zu po-tentatenhaftem Gehaben mißbrauchen, soll nicht geleugnet werden. Solche Mißstände müßten mit allen geeigneten Mitteln bekämpft werden. Aber solche Mißstände gibt es nicht nur im Bereich der Hochschulen. Wer näheren Einblick in die staatliche Verwaltung in anderen Bereichen bekommen hat, kann darüber ein Lied singen, welchem „Übermut der Ämter“ und welchen Absurditäten er sich oft gegenübersieht. Dies ist besonders auch im Bereich der Gemeindeautonomie der Fall, die man als solche deswegen gewiß nicht abschaffen wird.

Hochschulreform ist notwendig — Reform als Verbesserung von etwas Bestehendem.

Seit es menschliches Bemühen um wissenschaftliche Erkenntnis gibt, ist auch erkannt worden, daß eines der grundlegendsten sachlichen Erfordernisse für die wissenschaftliche Forschung nach Wahrheit und für die Vermittlung des so Erforschten in der wissenschaftlichen Lehre die Freiheit des Forschungs- und Lehrvorganges von sachfremden Einflüssen ist. Diesen Erfordernissen hat unser gegenwärtiges Hochschul-Or-ganisationsgesetz weitgehend zu entsprechen versucht. Dennoch ist nicht zu leugnen, daß die gegenwärtige Hochschulstruktur verschiedene Mängel aufweist, die zu beseitigen ein dringendes Anliegen ist. Vor allem haben sich etwa die Mechanismen der verantwortlichen Selbstkontrolle als unzureichend erwiesen. Auch zahlreiche andere Mängel stehen einer optimalen Erfüllung der

Aufgaben der Hochschulen im Wege.

Eine Reform, wenn sie eine solche sein soll, müßte nun nach Strukturen suchen, die eine optimale Erfüllung der Aufgaben der Hochschulen gewährleisten. Als Stätten wissenschaftlicher Forschung haben sie eine hochqualifizierte Ausbildung der Studierenden auf der Grundlage möglichst hochentwickelter Erkenntnisse, die in der Forschung gewonnen wurden, zu bieten. Möglichst gutausgebildete Akademiker (Ärzte, Rechtsanwälte, Richter, Techniker, Chemiker, Apotheker, Mittelschullehrer und was immer) von den Hochschulen zu erwarten, hat die Gesellschaft ein Recht. Dafür wendet sie auch enorme Steuermittel auf. Gleichzeitig müßten Möglichkeiten des Mißbrauches der autonomen Freiheitsrechte — so gut es geht — ausgeschaltet werden.

Kernbereich Institut

Was wird nun im UOG-Entwurf als Lösung angeboten? Darüber ist

bereits viel geschrieben und gesagt worden. Hier soll eine Antwort auf diese Frage an Hand eines Beispiels, nämlich des Instituts, versucht werden. Das Institut ist jene Einrichtung an der Universität, die „Zur Durchführung der Forschungs- und Lehraufgaben“ ( 59, Abs. 1 Hochschul-Organisationsgesetz) geschaffen ist. Daher betrifft die vorgesehene Umwandlung der Institutsstruktur den Kernbereich der Hochschulen.

Bisher wurden die Institute „von ordentlichen und außerordentlichen Hochschulprofessoren geleitet“, ausnahmsweise auch durch „andere Angehörige des Lehrkörpers“ ( 59, Abs. 3, H.-OG.). Darin kommt zum Ausdruck, daß der beamtete Professor, der auf Grund seiner Ausbildung und durch die Berufung an eine Universität als geeignet befunden wurde, die wissenschaftliche Forschung und Lehre eines Faches zu übernehmen, auch dazu qualifiziert ist, das zur Durchführung der Forschungsund Lehraufgaben eingerichtete Institut seines Faches zu leiten, genauso wie etwa ein Abteilungsleiter in der Verwaltung die ihm unterstellte Abteilung verantwortlich zu leiten oder der unabhängige Richter seine Pflichten zu erfüllen hat.

Der Entwurf eines UOG 1972 bestimmt aber zunächst, daß der Institutsvorstand „von der Institutskonferenz für eine Funktionsperiode von zwei Jahren aus dem Kreise der Universitätsprofessoren ... zu wählen“ ist. Dieser Institutsvorstand ist aber nach dem Entwurf nicht mehr der verantwortliche Leiter der Forschungseinrichtung, sondern nur noch Funktionär, der auch im Zentralbereich der Forschungsaufgaben einer Richtlinienkompetenz der „Institutskonferenz“ unterliegt ( 17 Abs. 3 lit. a). Die Institutskonferenz hat auch jene Fragen zu entscheiden, die unmittelbar die Forschungsaufgaben betreffen. Sie entscheidet „über die Anträge des Institutsvorstandes zum Budget und zum Dienstpostenplan des Instituts“ und über „die Aufteilung der dem Institut

zugewiesenen Mittel auf einzelne, näher umschriebene Verwendungszwecke“ ( 47 Abs. 3 lit. d und e). Die Institutskonferenz ihrerseits setzt sich zusammen aus den am Institut tätigen Professoren, weiters aus so vielen Vertretern des wissenschaftlichen Personals und der Studierenden, „als am Institut Professoren vorhanden sind“, sowie aus zwei Vertretern des nichtwissenschaftlichen Personals ( 45 Abs. 3—7). Unter der Annahme, daß am Institut zwei Professoren tätig sind, setzt sich die Institutskonferenz also aus zwei Professoren, zwei Assistenten, zwei Studenten und zwei Vertretern des nichtwissenschaftlichen Personals zusammen. Hier herrscht also Viertelparität. Bei mehr Professoren nähert sich das Verhältnis der Drittelparität. Dabei kann jede der in der Institutskonferenz vertretenen Gruppen für sich jederzeit die Einberufung einer Institutskonferenz verlangen, wobei zur Beschlußfähigkeit die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder der

Institutskonferenz genügt ( 47 Abs. 2 und 4). Das heißt, daß im oben angenommenen Fall die Anwesenheit der Studenten und des nicht-wissenschaftlichen Personals (wohl mit dem Insitutsvorstand) genügt, um über die Richtlinien für die Forschung, die Verwendung der Mittel sowie über den Dienstpostenplan und das Budget rechtswirksame Beschlüsse zu fassen. Für das Zustandekommen eines für den Institutsvorstand bindenden Mehrheitsbeschlusses würden die Stimmen der beiden Studenten und eines Angehörigen des nichtwissenschaftlichen Personals genügen.

Es können hier nun leider nicht alle bereits bekannten und noch möglichen Auswirkungen einer solchen Situation dargelegt werden. Die Erfahrungen in der Bundesrepublik, wo man freilich keineswegs so weit gegangen ist wie im vorliegenden Entwurf, böten ein erschütterndes Anschauungsmaterial.

Freilich ist in einer neuen Hochschulordnung eine Mitbestimmung des wissenschaftlichen Personals vorzusehen. Auch gibt es sehr viele Studenten, deren Mitwirkung in verschiedener Weise sehr wünschenswert wäre und sicher auch vorgesehen werden sollte. Die konkrete Ausgestaltung der Mitbestimmung oder Mitberatung bedarf jedoch sorgfältiger Differenzierung. Die Erfahrungen haben nämlich gezeigt, daß die weitaus überwiegende Mehrheit der Studierenden, und zwar gerade der besten, nur am Studium interessiert ist. Daher bemächtigen sich im Effekt Agitatoren radikaler Gruppen jener Institutionen, die ihnen zur Machtergreifung an der Universität zur Verfügung gestellt werden. Solche Institutionen werden dann wirklich „befreites Gebiet“, aber befreit wovon und wozu? Befreit von der Alleinherrschaft der Ordinarien? Wie die Erfahrungen zeigen, ist die häufige Folge solcher Konstruktionen die „Befreiung“ von der nach anerkannten wissenschaftlichen Metho-

den vorgehenden, auf die Sachfragen bezogenen Arbeit.

Die für den Entwurf Verantwortlichen werden einwenden, es sei doch ausdrücklich die Wahrung des Grundrechtes nach Art 17 Abs. 1 StGG. vorgesehen. Dem ist entgegenzuhalten, daß dieses Grundrecht gerade dort, wo es zum Tragen kommen muß, nämlich in der Forschungsarbeit im Institut und in der Lehre, einer quasiplebiszitären, rechtlich bindenden Kontrolle und Richtlinienkompetenz unterworfen und damit seines Inhalts beraubt wird. Eine Mitbestimmung in reinen Verwaltungsfragen würde denkbar, wenn auch kaum sinnvoll sein. Dje reine Verwaltung könnte man besser zur Entlastung der Professoren ganz qualifizierten Beamten übertragen. Hier gäbe es viele Möglichkeiten einer sinnvollen Reform. In Fragen wissenschaftlicher Forschung und Lehre aber ist die Unterwerfung unter parademokratische Mehrheitsbeschlüsse das Ende der Freiheit und damit der Wissenschaft selbst. Wissenschaftliche Fragen und das Suchen nach Wahrheit entziehen sich ihrem Wesen nach einer demokratischen Mehrheitsentscheidung.

Hinter dem vorliegenden Entwurf steht aber in Wahrheit gerade das Ziel, die Hochschulen aus Stätten freier wissenschaftlicher Forschung und Lehre in Stätten eines gesellschaftspolitischen Interessenausgleiches umzuwandeln. Damit werden sie aber nicht reformiert, sondern in ihrem Wesen total verändert. Im Ergebnis werden sie damit zerstört. Dazu kommt, daß die Vertreter der einzelnen vom Entwurf vorausgesetzten Interessengruppen nach keinen sachlichen Regeln der demokratischen Bestellung von Interessenvertretern ausgewählt, sondern willkürlich bestimmt werden.

In diesem Zusammenhang nun gewinnt die Absicht der Regierung, den Entwurf eines verfassungsrechtlich so bedenklichen Gesetzes auch nur mit den Stimmen der gegenwärtigen, knappen Parlamentsmehrheit durchzusetzen, eine kennzeichnende Bedeutung. Wenn man noch hinzunimmt, daß der Verfassungsgerichtshof in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung die Verfassungwidrigkeit eines solchen Gesetzes unbeanstandet lassen könnte, dann würde sich der Weg zur Aushöhlung unserer Verfassung und zur Umwälzung unserer auf den Grundrechten aufgebauten freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung durch den Willen einer Partei eröffnet haben. Andere Grundrechte sind im Begriffe zu folgen, wie etwa der Entwurf eines Arbeitsverfassungsgesetzes.

Es geht also bei der vorgesehenen Umwandlung der Hochschulen um Maßnahmen mit weittragenden gesellschaftspolitischen Zielen. Ob die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung, vor allem aber auch die Mehrheit der Studierenden, tatsächlich das wollten, was hier angestrebt wird, wenn sie wüßten, worum es geht, darf mit Fug bezweifelt werden. Aber das österreichische Volk wird jene Hochschulen haben, die seine demokratisch gewählten Vertreter ihm bescheren, ebenso wie es jene Gesellschaftsordnung haben wird, für die es sich bei den jeweiligen Wahlen entscheidet. Wenn es will, daß die Hochschulen in Stätten politisierender Agitation umgewandelt werden, wird es so kommen. Die Professoren werden es gegen die Mehrheit des Parlaments nicht verhindern können. Das österreichische Volk muß aber dann auch wissen, daß es dabei nicht um Privilegien von Professoren geht. Professoren haben dabei außer der Forschungs- und Lehrfreiheit nichts zu verlieren. Österreich aber kann seine wissenschaftlichen Hochschulen verlieren und ein Stück seiner Grundrechte. Das Nichtwissen um die Konsequenzen aus den vorgesehenen Maßnahmen wird diese Konsequenzen nicht aufhalten können. Ernst Topitsch hat bereits 1970 in einem Aufsatz über das Thema: „Wie totalitär ist die neue deutsche Universität?“ darauf hingewiesen, daß diese Entwicklung eine Folge der Blindheit und Hilflosigkeit ist, „mit welcher die liberale Linke und der demokratische Sozialismus der gegenwärtigen Herausforderung gegenüberstehen“. Er schließt seine überaus beachtenswerten Ausführungen mit der Feststellung: „Mit den Blinden und Hilflosen aber kennt die Geschichte kein Erbarmen.“

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