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Das „Zweite Kino“

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Andrzej Wajda, Krzysztof Zanussi und Roman Po-lanski heißen die bekanntesten polnischen Regisseure der Gegenwart. Ihre Filme bieten nicht Kabarett, sondern fordern zum Engagement heraus.

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Andrzej Wajda, Krzysztof Zanussi und Roman Po-lanski heißen die bekanntesten polnischen Regisseure der Gegenwart. Ihre Filme bieten nicht Kabarett, sondern fordern zum Engagement heraus.

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1930 wurde von Eugenius Cekal-si, Wanda Jakubowska, Tadeusz Kowalski, Stanislaw Wohl und Jerzy Zarzycki die Gesellschaft der Freunde des künstlerischen Films, kurz „Start“ genahnt, gegründet. Diese Filmenthusiasten sagten dem kommerziell orientierten Film den Kampf an und traten für die soziale Nützlichkeit des Films ein. Aleksander Ford brachte den Inhalt dieses Kampfes auf folgenden Nenner: „Das Kino darf nicht Kabarett, sondern muß Schule sein.“ Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gingen diese Hoffnungen in Erfüllung.

Der große polnische Filmhistoriker Jerzy Toeplitz, Aktivist und Gründungsmitglied von Start, meinte dazu in einem Gespräch: „Das war ein Wunder, das nur einmal in der Filmgeschichte passierte, daß dieselben Leute, die diese Ideen hatten, diese jungen Avantgardisten, nach 1945 Macht im polnischen Film bekommen hatten. Das war ein Wunder, das sonst nie passierte, weil alle Avantgardisten überall in der Welt für eine Maschinerie von Bürokraten oder Privatproduzenten oder staatlichen Produzenten gearbeitet hatten, aber nie Leiter dieser Maschinerie waren ... Das dauerte einige Jahre, bis 1949/50, und dann kamen andere Leute...“

Bevor nun die Probleme der Jugendlichen, die in der neu. entstandenen Gesellschaft keinen Platz finden konnten, in den Mittelpunkt des filmischen Interesses rückten, verdient der Film „Die Fünf von der Barska-Stra-ße“ (1954) von Aleksander Ford besondere Erwähnung.

Der Streifen schildert das Leben von jugendlichen Delinquenten, die nach dem Krieg nicht den richtigen Weg finden konnten. Der Held des Films ist ein Krimineller, und man weiß nicht, was am Ende des Films mit ihm passiert, ob er einen Prozeß haben wird oder nicht. „Er hat sich geändert, aber das war nicht wie in anderen Filmen, daß er kommt und sagt: Ich habe mich geirrt, ich habe einen Fehler gemacht und jetzt bin ich ein anderer Mensch; nein, so klar war das nie.“ (J. Toeplitz über diesen Film)

Andrzej Wajda („Kanal“ 1956, .Asche und Diamant“ 1958), Andrzej Münk („Ein Mann auf den Schienen“ 1956, „Eroica“ 1957) und Jerzy Kawalerowicz („Nachtzug“ 1959) begründeten mit ihren Filmen den weltweiten Ruf der „Polnischen Schule“. Die Filme dieser Zeit wurden in Polen auch als das „Zweite Kino“ bezeichnet, in Abgrenzung zum „Ersten Kino“ der Nachkriegsjahre.

Die Filme dieser Regisseure „zeigten von Anfang an einen eigenen, sich von der Vergangenheit distanzierenden Stil: sie verstanden sich als entschiedene Absage an jeden phrasenhaften Optimismus und an die Klischeehaf-tigkeit des .positiven Helden'... es waren Filme einer charakteristischen Düsterkeit, Bitterkeit, die die jüngste Geschichte Polens untersuchten, Fragen nach der gesellschaftlichen Moral oder nach der nationalen Identität stellten.“ (Ü. Gregor)

Nach diesem Zeitraum der Aufarbeitung der Erfahrung der Kriegs- und Nachkriegsjahre konstatierte Jerzy Passendorfer in seinem Film „Schatten der Vergangenheit“ (1960) die Unmöglichkeit einer Verständigung zwischen den einen, deren Denken und Fühlen von den Kriegswirren bestimmt ist, und den anderen, die schon in die neugegründete Gesellschaftsordnung hineingewachsen sind.

Roman Polanskis erster Spielfilm „Das Messer im Wasser“ (1962) zeigt deutlich die Abkehr von der vom existentialistischen Gedankengut bestimmten Vergangenheitsbewältigung an. Für Polanski waren die äußeren Ereignisse „das sichtbare Echo der inneren Erlebnisse“.

Ende der 60er Jahre kam es vor allem durch Krzysztof Zanussi zu einer grundsätzlichen Änderung der Thematik und der filmischen Betrachtungsweise. Weder die existentialistisch geprägte „Polnische Schule“ noch der „Kleine Realismus“ der Folgezeit bestimmten das künstlerische Schaffen von Zanussi, Kluba, Zu-laski und Krolikiewicz. Mit der kühlen Distanz eines Wissenschaftlers betrachteten. diese Filmregisseure ihre Protagonisten, die in schwierigen Situationen eine Entscheidung treffen mußten.

„Ich bin so sehr gewöhnt zu denken, daß wir alle in unseren Entscheidungen konditioniert sind, ... aber es bleibt immer ein Rest von individueller Freiheit; und das interessiert mich sehr: wie kann man gegen eigene Bedingungen entscheiden und wie kann man Freiheit verwirklichen?“ (K. Zanussi)

Mit „Das gelobte Land“ (1975) wandte sich Andrzej Wajda den barbarischen Anfängen der Industrialisierung in Lodz zu, mit „Der Mann aus Marmor“ (1976) und „Der Mann aus Eisen“ (1981) legte Wajda als unnachgiebiger Chronist die allzu schnell verwischten Spuren der jüngsten polnischen Geschichte frei. „Kunst als Show ist nie eine Stärke des polnischen Films gewesen, ebensowenig der Literatur oder der Malerei. Unsere Stärke lag immer im Engagement für eine Sache. Das war so bei Wyspianski, bei Malczewski, bei Zeromski, bei vielen anderen. Vielleicht fühlen wir uns aus diesem Grund als ihre Erben.“ (A. Wajda, 1977)

Und Roman Polanski? Sein letzter Film „Tess“ hatte keine freundliche Aufnahme bei den Kritikern gefunden, mit „Piraten“ realisierte er aber sein Lieblingsprojekt. In einem Interview erklärte er zu seinem Werk: „Dieser Film hätte vor zehn Jahren gedreht werden sollen. Damals, als ich ihn zum ersten Mal machen wollte... Vor einem Jahrzehnt wollten die Leute Abenteuer sehen, sie wollten Unterhaltung und sonst nichts. Mir ging es genauso... Jemand, der mehr will, wird enttäuscht sein. Es ist also ein Spaß für junge Leute und nicht mehr.“

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