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Willy Lorenz hat in seinem Leitartikel der „Furche“ vom 2. September 1972 Überlegungen zu einer „kleinen Parlamentsreform“ angestellt. Wenngleich es gewichtigere Probleme gibt als die von Dr. Lorenz herausgestellten, so sollte man das Atmosphärische nicht unterschätzen, das durch eine derartige kleine Reform bewirkt würde: Die „Rechten“ sollten links, die „Linken“ rechts sitzen; rechts und links soll nicht mehr Ausdruck und Symbol für ' WeltanschSuungsparteien sein, sondern eine Funktionsbezeichnung werden. Links vom Präsidenten des Nationalrates jene, die Abgeordnete der Opposition sind, rechts jene, die Abgeordnete der Regierungsparteien sind. Ich frage mich, ob die Behandlung dieses Vorschlages wesentlich Ist, da — entsprechend meiner nunmehr einjährigen Intimerfahrung mit dem Parlament — das „Rechts“ und „Links“ im Hause selbst nicht mehr so empfunden wird wie dies zu Zeiten heftiger Weltanschauungskämpfe und zur Zeit der Kulturkämpfe empfunden worden sein mag. Ich persönlich fühle mich als Abgeordneter dadurch, daß ich „rechts“ vom Präsidenten sitze, politisch nicht gestempelt. Ich habe bis jetzt in dieser Frage auch keine Emotionen unter den Abgeordneten feststellen können. Bezogen auf österreichische Verhältnisse wäre es sinnvoll, die Parteien dort zu placieren, wo sie, wenn sie den Verhandlungssaal verlassen, auf kürzestem Weg in die Räume ihres Klubs gelangen. Heute ist es so, daß beim Ende einer Sitzung die Angehörigen des „rechten“ und“ des „linken“ Klubs sich unweigerlich im Thronsaal, in der großen, dem Verhandlungssaal und den Sprechzimmern vorgelagerten Halle kreuzen, da sich die Angehörigen des SPÖ-Klubs von der dem Präsidenten des Nationalrates linken Seite des Verhandlungssaales in den rechten Teil des Hauses und die Angehörigen des ÖVP-Klubs von der dem Präsidenten des Nationalrates rechten Seite des Verhandlungssaales in den linken Teil des Hauses begeben. Nach hitzigen Debatten, nachdem mitunter Freund-Feind-Verhältnisse beschworen wurden, kreuzen sich die Gruppen der Abgeordneten oft gruß-

los. Das ist peinlich. Der Vorschlag Lorenz hätte also im gegenwärtigen politischen Verhältnis der Parteien 'die praktische Auswirkung, daß die Klubangehörigen den jeweiligen Klubräumen näher sind!

Den zweiten Vorschlag, daß Abgeordnete vom Sitz aus sprechen sollen, halte ich für wesentlich. Aus mehreren Gründen: Der Abgeordnete müßte nicht der Regierung, die er kontrolliert, den Rücken zuwenden; er wäre dann, wenn er oppositioneller Abgeordneter ist, davor gefeit, „in die Zange genommen zu werden“. Ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, daß bei brisanten Themen, wie es die Auseinandersetzung um den Minderheitenbericht in der UNIDO-City-Affäre war, Regierungsmitglieder durch im Fernsehen oder auch für einen Großteil der Abgeordneten nicht erkennbare Souffleurtechniken bewußt oder unbewußt versucht haben, einen nicht öffentlichen Sonderdialog mit dem oppositionellen Abgeordneten zu führen, der sich am Rednerpult befand. Dazu kommt, daß die Sondergespräche, die Persönlichkeiten der Regierungsbank während der Rede eines Abgeordneten untereinander führen und die nicht zum Gegenstand der parlamentarischen Debatte gehören, störend wirken. Ganz zu schweigen von der Optik, die etwa im Fernsehen erzeugt wird: hinter dem „kleinen“ Abgeordneten erscheint am Bildschirm die Ministerbank riesenhaft. Zu Beginn der Legislaturperiode, bis hinein in den Frühsommer 1972, war den Ministern zudem ein viel lautstärkeres Mikrophon zur Verfügung gestanden, mit deren Handhabung sie den Eindruck von Stimmgewaltigen erweckten, während die Abgeordneten, einschließlich des redegewandten Zeil-linger, sich mit der Akustik plagen mußten. Vielleicht käme das Sprechen von der Abgeordnetenbank auch der Überwindung einer gewissen Scheu entgegen, die da und dort bestehen mag, isoliert vom jeweiligen Klub zu sprechen.

Wenn ich die verschiedenen Debattenbeiträge verfolge, die zur österreichischen Parlamentsreform bisher geäußert wurden — ich könnte ihnen kraft persönlicher Erfahrungen als Abgeordneter, aber auch als Theoretiker und Kenner mancher ausländischer Parlamente und insbeson-' dere von Versammlungen internationaler Organisationen manches Licht aufsetzen —, so scheint mir ein Problem zu kurz gekommen zu sein. Es gehört aber an die Spitze der Parlamentsreform in Österreich: das Parlament muß in den Besitz einer Informationsdatenbank gelangen! Das Informationsmaterial, das nunmehr von der Regierung allmählich gespeichert wird, muß unter die Aufsicht des Parlaments gestellt, von ihm verwaltet werden. Wenn dies dem gegenwärtigen Parlament nicht gelingt, wird die Information zu einem Monopol der Regierung. Wehe der Demokratie, in der alle elektronischen Informationsmittel im Besitze einer Regierungspartei sind! leb hoffe, daß es gelingen wird, die Machthaber in diesem Staate davon zu überzeugen, daß es aus Gründen der demokratischen Informationsfreiheit notwendig ist, die gespeicherten Informationen vom Parlament, besser von allen im Parlament vertretenen politischen Parteien verwalten zu lassen.

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