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Datenschutz total

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In der Wochenendausgabe der „Neuen Freien Tageszeitung“ stand es. Unter Kleinanzeigen, versteckt und verschämt, dennoch nicht zu überlesen: „Suchen dringend Daten aller Art, auch gebraucht oder mehrfach übertragen, Datenmassen bevorzugt, aber nicht Bedingungen, schon vorgenommener Datenschutz kein Hindernis. Zahlen jeden Preis. Belohnung nicht ausgeschlossen. Auszeichnungen nach Vereinbarung. Eilofferte an den Verlag. Kennwort Bumidasch“.

Damit freilich hatte sich der Datenwerber verraten, denn Bumidasch war und ist nichts anderes als das Bundesministerium für Datenschutz und Datenschützer, das damals im Jahre 52 nach Wat-

son, also Ende des 20. Jahrhunderts veralteter Zeitrechnung, nach einem Volksbegehren, dem über 99,7 Prozent der Datenschutzberechtigten zugestimmt hatten, durch den Regierungschef selbst eingerichtet worden war.

Die Effektivität des neuen Ministeriums kannte keine Grenzen, auch Anlaufschwierigkeiten und Einarbeitungszeiten gab es keine, da, einem der zahlreichen Genieblitze der Regierung folgend, einfach die Beamten der Inneren und Äußeren Geheimdienste mit dem Schutz der Daten des Staates und der Staatsbürger betraut wurden. Landauf, stadtab durchstreiften Datektive Büros und Archive, Kaffeehäuser und Telefonzellen, Sekretariate und Sekretäre (Möbel!) auf der Suche nach Daten. Denn Daten mußte man ja erst einmal haben, bevor man sie füglich schützen konnte.

Und die Bevölkerung hatte nicht nur ein Einsehen — die Einführung einer schulfreien Datenschutzwoche, direkt im Anschluß an die Großen Ferien, hatte den Datenschutz über die Maßen populär gemacht! — sie half auch kräftig mit. Es entwickelte sich ein allgemeines Datenschutzbewußtsein: zunächst wollte man nur Daten geschützt wissen, bald erkannte man, daß es viel gründlicher wäre, Daten erst gar nicht entstehen zu lassen.

Was früher für wenige, Privilegierte galt, wurde jetzt allgemein Mode: Jeder bekam seine Geheimnummer, das Telefonbuch magerte ab. In den Schulen unterwarfen fortschrittliche Schüler zunächst die Klassenbücher - mit ihren freiheitseinschränkenden Eintragungen -, dann die Notenbüchlein der Lehrer — mit ihren diskriminierenden Aufzeichnungen -, schließlich die Zeugnisse - mit ihren klassenkämpferischen Diskriminierungsdaten — dem allgemeinen Datenschutz. Keiner hat je mehr etwas von Schulnoten gehört.

Nachdem bereits in der ersten Phase der Arbeit des Bumidasch das allgemeine Adreßbuch öffentlich dem Aktenwolf zum Fraß vorgeworfen worden war, folgten im zweiten Abschnitt das „Who’s who“, alle Verzeichnisse öffentlicher und privater Beherbergungsbetriebe, schließlich auch die Listen der Ärzte und der Krankenhäuser. Niemand sollte mehr wissen können, wo sich wer behandeln ließ, überhaupt wollte und sollte man niemanden durch freischwebende Daten zu ungeschützter Kontaktaufnahme mit anderen Beschützbürgern verleiten.

So verbot man durch Runderlaß zunächst die privaten Visitenkarten, später auch die öffentlichen Geschäftskarten. Schließlich wurden auch die Ausweise und die Erkennungskodes der in der

Zwischenzeit aufgestellten Datenschutzpolizei wiederum eingestellt. Auch ein Datenschutzpolizist hat schließlich ein Recht auf den Schutz seiner Daten!

Die datenmündig gewordenen Bürger schützten sich und ihre Daten aber auch ohne Bumidasch. Zunächst montierten sie die Türschilder, dann die Hausnummern, schließlich die Straßentafeln ab. Sodann übermalten sie die Erkennungsdaten an ihren Kraftfahrzeugen. Und nach einem öffentlichen Aufruf über die Massenmedien — kurz bevor diese aus Datenschutzgründen die Weitergabe jedweder Informationen einstellten — verzichtete man sogar sowohl im dienstlichen als auch im privaten Verkehr auf die persönliche Vorstellung.

Ja, und dann waren plötzlich die Daten weg, alle. Auch die persönlichen Daten hatte man vor den Personen in Sicherheit gebracht. Es gab ja genug unbenutzte Zwischen- und Endlager, die von weniger fortschrittlichen Regierungen vergangener Jahre eigentlich für Atommüll vorgesehen waren. Bumidasch hatte ein beträchtliches Wachstum mit sich gebracht: hier fanden alle die arbeitslosen Informationsexperten aus Presse, Funk und Fernsehen, die freigestellten Datenverarbeiter aus Wirtschaft und Verwaltung neue Arbeitsplätze. Nur ihre neue Emsigkeit brachte die eigene Beschäftigung in Gefahr.

Als man dies erkannte, schlug Stimmung und Meinung öffentlich um. Schon las man auf Hauswänden Parolen wie „Gott schütze uns vor den Datenschützern“, der private Datenschutzbund änderte Statuten und Namen und sorgte sich künftig als „Datenschützerbund“ um die Sicherung der Arbeitsplätze. So stürzte, nachdem auch die vom Regierungschef eigenhändig geführte Wünschelrute nicht fündig wurde, nach dutzendjähriger Amtszeit die Regierung.

Die neue Mannschaft entschloß sich in einer Blitzklausur — das sei hier streng vertraulich verraten — zum neuen Konzept. „Wir müssen nicht nur um das Vertrauen, sondern auch um die Daten der Bürger werben.“ Ob’s Bumidasch zu neuen Daten verhilft?

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